Charmantes vom Rande der Gesellschaft
Freitags Woche
Wer es mit Nationalismus oder seiner gelasseneren Version Patriotismus hält, erlebt bei der WM ein Parallelturnier. Es findet zwar in Brasilien statt, doch nirgends lassen sich die Überbietungswettbewerbe ausschweifender Vaterlandsliebe besser bestaunen als am Bildschirm. Da werden die Zuschauer Zeugen von Teams, deren Ergriffenheitsgrad beim Absingen der Nationalhymne zwischen Orgasmus und Geburtserlebnis liegt. Da bejubeln im Bierspot schicke Schanzen-Hipster, die man in realen Stadien unter den Bieder- bis Ballermannfans vergebens sucht, deutsche Tore hitziger als Sechser im Lotto. Und immer vorneweg eine Personengruppe, die berufsbedingt überparteilich sein sollte: Moderatoren.
Es ist eine Schande für den Journalismus, wie kritiklos sie einen Patriotismus als Information verkaufen, der vom Nationalismus nur einen inneren Reichsparteitag entfernt ist. Katrin Müller-Hohensteins Lobrede auf Hansi Flicks Gesichtsbräune etwa (»Manchmal auch ein bisschen in die Sonne? Sie haben eine tolle Farbe.«) steht stellvertretend für ein Genre, das sich sämtlicher Distanz zum Berichtsgegenstand zusehends entledigt. Und das dürfte auch nicht besser werden, wenn der Fußball ab Mittwoch für volle zwei Tage Pause macht.
Nun sollte man allerdings nicht darauf hoffen, ARD und ZDF füllen die Sendezeit innovativer. Das Erste wiederholt am Mittwoch auf seinem wichtigsten Spielfilmplatz die muntere, aber biedere Seniorenkomödie »Spätzünder« mit Jan Josef Liefers als Jan Josef Liefers mit Gitarre. Am gleichen Tag wiederholt das Zweite JBK auf der Suche nach »Unsere Besten« als JBK auf der Suche nach »Deutschlands Beste«. Was ähnlich jubelpatriotisch ist wie 2003, als JBK erstmals Beliebtheit mit Güte verwechseln ließ - aber gerade deshalb natürlich ganz gut in die schwarz-rot-goldene Fähnchenlaune im Land passt.
So gesehen muss man den darauf folgenden Tag schon fast als konterrevolutionär einordnen. Dort zeigt die ARD im Rahmen der FilmDebüt-Reihe Charmantes vom Rande der Gesellschaft. Andi Rogenhagens »Ein Tick anders« präsentiert das Tourette-Syndrom der jungen Eva (Jasna Fritzi Bauer) nicht als arglistigen Feind, sondern komplizierten Freund. Nach Mitternacht beschreibt Dan Tangs »I Phone You« die Irrungen und Wirrungen der Generation Multimediazwang am Beispiel einer Chinesin zwischen Heimat und Berlin, was zwar zuweilen etwas zuckrig ist, aber insgesamt schlüssig.
Alles andere als zuckrig, dafür noch schlüssiger ist »Die Eiserne Lady«, mit der die ARD am heutigen Montag ihr »SommerKino« eröffnet. Darin gelingt es Meryl Streep, Margaret Thatcher privat zu sezieren, ohne das politische Alphatier davor zu vergessen. Dafür gab es Streeps dritten Oscar und vom Ersten einen erstaunlich guten Sendeplatz für gute Fiktion. Gutes Sachfernsehen gibt es erst später, andernorts oder beides in einem. Zum Beispiel »Krieg der Patente«. Ein hochbrisantes Stück über Sinn und Unsinn des Erfindungsschutzes, leider am Dienstag erst um 22.45 Uhr auf Arte. Schön und schade zugleich.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.