60 Tage auf dem Mittelmeer
Die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen vor Italiens Küste beginnt
Rom. In der süditalienischen Hafenstadt Gioia Tauro atmet man auf. Die Umladung von 78 Containern mit Giftgas aus Syrien ist abgeschlossen, ging absolut glatt und sogar viel schneller als man zuvor angenommen hatte. Die beiden Schiffe, die an der Verladung beteiligt waren, haben den kalabrischen Hafen wieder verlassen. Nach einigen Kontrollen, die noch rund um den Einsatzort durchgeführt werden mussten, ist wieder Alltag eingekehrt.
Am Dienstag war zuerst die »Cape Ray« der US-amerikanischen Kriegsmarine eingelaufen, einige Stunden später kam der dänische Frachter »Ark Futura« mit den 78 Containern Giftgas im Laderaum, die er in Latakia in Syrien geladen hatte. Zuerst gingen die sechs Beobachter der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) an Bord, die die Verpackungen kontrollierten. Dann hob der Kran die drei Container mit dem hochgiftigen verflüssigten Senfgas heraus, das am gefährlichsten ist, da es keine weiteren Zusätze für die Wirksamkeit braucht. Es folgten die 75 Behälter mit verschiedenen Bestandteilen, die man für die Giftgasproduktion benötigt.
Die insgesamt fast 800 Tonnen wurden auf dem Spezialschiff der US-Marine untergebracht, wo sie noch einmal begutachtet wurden. Danach verließ das Schiff den Hafen und wenig später auch die italienischen Küstengewässer. Auf der »Cape Ray« wird das Giftgas dem chemischen Prozess der Hydrolyse unterzogen, wodurch es einen Großteil seiner Wirkung verliert. Diese Operation wird ungefähr 60 Tage dauern. Die Rückstände werden ihre Reise nach Texas und in einige europäische Staaten antreten, wo sie noch einmal bearbeitet und schließlich in Sonderdeponien für giftigen Industriemüll untergebracht werden.
Im August 2013 waren bei wiederholten Angriffen mit Chemiewaffen in Syrien mehrere hundert Menschen getötet oder verwundet worden. Die Täter sind bis heute nicht eindeutig bestimmt. Die USA drohten der Regierung Assad damals militärische Vergeltungsschläge an. Durch eine auf russischen Druck zustande gekommene Bereitschaftserklärung, der Chemiewaffenkonvention beizutreten und alle Kampfstoffe unter internationaler Kontrolle vernichten zu lassen, konnte Syriens Regierung die Militäraktion jedoch abwenden.
Auch für die Bevölkerung von Gioia Tauro geht jetzt ein Albtraum zu Ende. In den letzten Wochen, als bekannt wurde, dass das Giftgas in dem Hafen in Kalabrien umgeladen werden würde, formierte sich Widerstand bei den Lokalverwaltern. Man warf den Behörden mangelnde Transparenz vor und fühlte sich benutzt. Erst als die zuständigen Ministerien die örtliche Bevölkerung informierten und für die Sicherheit bürgten, kehrte wieder Ruhe ein.
Während der Verladung selbst gab es kaum Proteste. Allein eine Gruppe von Müttern demonstrierte vor dem Hafen, wo viele Journalisten die Vorgänge beobachten: Sie wollten darauf hinweisen, dass auch in Kalabrien und der Region Neapel ein Problem mit Giftmüll besteht, der wahrscheinlich heimlich von der ’Ndrangheta-Mafia dort verscharrt wurde und offenbar zu einer steigenden Krebsrate in der Umgebung führt.
Die Beteiligten zeigten sich durchweg zufrieden mit dem Ablauf der Operation. Die US-Behörden und die OPCW gehen davon aus, dass bei der Umwandlung der Giftstoffe keine schädlichen Substanzen in die Luft oder ins Wasser gelangen werden. Der italienische Umweltminister Gian Luca Galletti beglückwünschte die italienischen Experten, die in Gioia Tauro gearbeitet haben. Er dankte der Bevölkerung und den Lokalpolitikern für ihr Verständnis und betonte mehrfach, dass es sich nicht allein um ein logistisches Unterfangen handelte. Es ginge um nichts weniger als den »Wert der Sicherheit und des globalen Friedens«.
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