Patrouillieren vor der Copacabana
Zur WM kreuzt die riesige »NPO Amazonas« vor Rios Traumstränden. Ein Besuch
Wie beschützt man eigentlich eine Weltmeisterschaft? Kapitän Alvaro Lemos ist seit dem 28. Mai äußerst beschäftigt damit. Seit diesem Tag patrouillieren Lemos und seine 80 Mann starke Besatzung auf der »Navio Patrulha Oceânico Amazonas« (NOP) vor den Stränden von Rio de Janeiro hin und her. Ein graublaues, wendiges Kriegsschiff der Amazonasklasse von beeindruckenden Maßen: 90 Meter lang, 15 Meter hoch - drei Geschütze sind aufgebaut. Dank 7350 PS-starker Motoren kann die Korvette mit der Bruttoregisterzahl 2600 bis 25 Knoten schnell werden. »Prinzipiell reicht bisher aus, dass wir da sind. Allerdings sollen sich schon ein paar Touristen am Strand erschreckt haben«, schmunzelt Kapitän Lemos. »Wir können in Ipanema ja auch bis auf 200 Meter ans Ufer herankommen.«
Die »Amazonas« vor Ipanema ist ein Sinnbild für den irrsinnigen Sicherheitsaufwand, der für eine WM betrieben wird. 21 000 Soldaten hält Brasiliens Armee für den Schutz des Turniers in Bereitschaft, 57 000 Mann sind insgesamt für einen WM-Ernstfall vorbereitet. Der »FIFA World Cup« ist eben nicht mehr nur ein Turnier in einer Mannschaftssportart. Es ist ein Weltereignis, ein perfektes Ziel für Terroranschläge, und es ist eine Ansammlung von Staatspräsidenten aller Herren Länder, ganz besonders bei Eröffnungsspielen oder an solchen Tagen wie dem Sonntag, wenn das Finale ansteht. Lemos findet daran nichts besonderes: »Hier in Rio beispielsweise wohnen die meisten Staatschefs in Hotels direkt am Meer. Wir bewachen die Küste deshalb sehr genau.« So genau, dass die Korvette mit dem Zeichen »P120« zu einem der meistfotografierten Motive der Rio-Besucher geworden ist. Grund genug, sich auf dem Schiff einmal umzusehen.
Kapitän Lemos empfängt die ausländische Presse an der Gangway der »Amazonas«. Die Korvette liegt in ihrem Heimathafen in Niterói, die Millionenstadt, die Rio de Janeiro gegenüber auf der anderen Seite der Guanabará-Bucht liegt. Niterói ist der größte Marinestützpunkt des Landes. 80 000 Mann umfasst die »Marinha do Brasil«, 8500 Kilometer Atlantikküste sind ihr Einsatzgebiet, dazu der riesige Amazonas, 200 Schiffe bilden die Flotte, zu der sogar ein Flugzeugträger zählt: die »São Paulo«, die einst »Foch« hieß, als sie noch von der französischen Marine genutzt wurde.
Lemos bittet in die Offiziersmesse zum Kaffee. Die Stewards haben eingedeckt. Für die Besucher ist ein Imagefilm vorbereitet: Zu hymnischer Rockmusik von »The Verve« (»Bitter Sweet Symphony«) sieht man Kanoniere die Geschütze bedienen, man sieht Geschosse im Wasser einschlagen und Matrosen, mit der Wasserkanone Feuer bekämpfen. Kapitän Lemos erzählt ein wenig von seinem Schiff. 2010 in Portsmouth gebaut, 2012 überführt, das Radar reicht 180 Kilometer weit, 35 Tage kann das Schiff autark agieren. Während der WM patrouilliert Schiff »P120« vor Rio, an den Spieltagen ist auf dem Achterdeck ein Helikopter stationiert, der von hier aus die ganze Bucht überfliegen kann. Spieltage bedeuten erhöhte Gefechtsbereitschaft.
Wo kommt die »Amazonas« eigentlich zum Einsatz, wenn nicht gerade WM ist? Lemos kommt ins Erzählen: Meist sei man viel weiter draußen auf dem Meer unterwegs, man schütze die »Zona Econômica Exclusiva«, die Hoheitsgewässer, vor allem aber die brasilianischen Bohrplattformen. »Wenn nämlich ein Fischerboot einer Plattform zu nah kommt, muss die Plattform die Arbeit einstellen, aus Sicherheitsgründen. Was meinen Sie, was das kostet?« Auch beim Confed-Cup 2013 und beim Papstbesuch 2014 war das Schiff schon vor Rio de Janeiro unterwegs. Ob jemals eines der drei Geschütze oder eines der beiden Maschinengewehre zum Einsatz gekommen sei, wird Lemos gefragt. »Glücklichweise noch nicht«, antwortet der Kapitän, »weder während der WM noch jemals davor.«
Dann geleitet Lemos die Besucher auf die Brücke, ein Manöver soll heute vorgeführt werden. Simuliert wird dabei das Entern eines kleineren Bootes, dass auf Funksprüche nicht reagiert. Zwei Schnellboote werden trotz rollenden Wellengangs routiniert zu Wasser gelassen, mit 40 Knoten rasen die Marines backbord - zu einem kleineren Marineboot, dass ebenfalls in der Guanabará-Bucht kreuzt und heute den Gegner darstellt. Die Soldaten erklimmen das Boot, was sie dort tun, ist auch von Deck aus nicht zu erkennen. Schließlich kehren sie zurück zur Amazonas, in aller Ruhe verlassen sie die Speedboote.
Was hat sich denn überhaupt während der WM ereignet? Wie beschützt man denn nun genau eine WM? Kapitän Lemos verzieht keine Miene: »Wir haben etwa 1000 Boote kontrolliert.« Und was ist dabei herausgekommen? »Wir haben 236 Verstöße feststellen können.« Welche Verstöße? Drogen, Waffen, Sprengstoff? »Nichts dergleichen. Fehlerhafte Papiere, fehlende Rettungsmittel, solche Dinge.« Wahrscheinlich sei allein schon die Anwesenheit solcher Schiffe, wie es die »Amazonas« ist, abschreckend genug.
Schließlich gibt Korvettenkapitän Lemos das Zeichen, das Speedboot klarzumachen, die Presse wird jetzt ausgeschifft, mit 40 Knoten soll es zurück in den Hafen gehen, ein bisschen Spaß zum Abschied. Eine letzte Frage noch. Wer schützt die WM, wenn Brasilien spielt? Kapitän Lemos muss lachen. »Wir sind dann genauso wachsam wie immer. Es haben aber genügend Leute keinen Dienst, die gucken Satellitenfernsehen. Wir sind stets auf dem Laufenden. Wozu hat man denn Bordfunk?«
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