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Rückkehr nach Libanon
Amin Maalouf: Mit »Die Verunsicherten« schrieb er sein bisher persönlichstes Buch
Um fünf Uhr morgens klingelt das Telefon. Adam, Held und zeitweise Erzähler in Amin Maaloufs Roman »Die Verunsicherten«, greift schlaftrunken zum Hörer. Tania, die Frau seines Freundes aus Beirut, ist am Apparat. »Dein Freund wird sterben«, sagt sie. »Er verlangt nach dir.« Dann hört Adam nach mehr als zwanzig Jahren zum ersten Mal wieder die Stimme Murads, leise und kaum verständlich: Er solle nach Beirut kommen, er hätte ihm noch etwas zu sagen. Doch obwohl Adam das nächste Flugzeug nimmt, kommt er zu spät. Murad ist tot.
Es ist dieser Tod, der Adam dazu bringt, zum ersten Mal wieder die libanesische Hauptstadt zu besuchen. Seit dem Bürgerkrieg in den siebziger Jahren hatte der im französischen Exil lebende Historiker die Stadt nicht mehr betreten. Gleichzeitig ist der Tod Murads die Geburt der Geschichte von »Die Verunsicherten«. Denn Adam kehrt nicht nach Paris zurück, sondern zieht in ein kleines Hotel, das Semiramis, eine Freundin aus seinen Beiruter Studententagen, betreibt. Während des Kondolenzbesuchs bei Tania kommt er auf die Idee, ein Treffen der alten Freunde zu organisieren. Freunde, die sich während ihrer Studentenzeit in dem großem Haus von Murads Familie oft getroffen und über Gott und die Welt diskutiert haben.
Liz Künzli hat Amin Maaloufs eleganten Stil wunderbar ins Deutsche übertragen. Leider aber sind die Geschichte und die Figuren in »Die Verunsicherten« von einer teilweise kitschigen Harmonie geprägt. Zwar hat der Bürgerkrieg das Leben aller verändert. Doch der Krieg ist lange vorbei. Maalouf erzählt von Adam, als wäre er auf einer Kreuzfahrt. Im Hotel von Semiramis ist er gut untergebracht. Ein Kellner bedient ihn mit eleganter Geschicklichkeit: »Er beherrschte die Kunst und besaß die Weisheit, alles zu sehen, ohne hinzusehen.« Ein Fahrer des Hotels fährt ihn durch die Stadt. Und mit Semiramis, in die er als Student verliebt war, hat er auch noch eine Affäre. Der Sturm der Vergangenheit, die Tragödie des Krieges - all das wird erzählerisch auf Distanz gehalten, wie auf einem Schiff das tosende Meer vor den Bullaugen. Der Tod des Freundes von Semiramis, der gleich zu Beginn des Krieges starb, die Geschichte von Albert, der entführt wurde und der nur durch Glück wieder frei kam, all das wird so erzählt, als hätte es keine großen Spuren in den Protagonisten hinterlassen. Und Murad, der als Aktivist eines der Warlords und später als Minister sicher den meisten Konfliktstoff geboten hätte, taucht erst gar nicht auf, weil er zu Beginn des Buches stirbt.
»Die Verunsicherten« ist so versöhnlich erzählt, dass die zwei oder drei Stellen, in denen Murads Frau Tania als bösartig beschrieben wird, den Leser fast erleichtern. Endlich einmal die Darstellung unaufgelöster Widersprüche, vielleicht einer noch heute wirkmächtigen Folge des sinnlosen Gemetzels in den siebziger Jahren. Wenn Adam das Gefühl hat, seine Reise in den Libanon wäre wie das Pflücken einer Blume und das sei »die schönste und zugleich grausamste Geste überhaupt, da es die Blume ehrt, indem es sie tötet«, so meint er mit dieser Blume vor allem seine Erinnerungen an Kindheit und Studentenzeit und nicht die heutige Wirklichkeit in Libanon mit all ihren Spannungen und tragischen Folgen des Krieges.
»Die Verunsicherten« ist ein nostalgisches Buch, bei dem man sich fragt, was es mit dem verstörenden Motto von Simone Weil zu tun hat, das Maalouf dem Roman vorangestellt hat: »Alles, was mit Gewalt in Berührung kommt, wird erniedrigt, welcher Art auch immer die Berührung ist. Schlagen oder geschlagen werden, das ist ein und dieselbe Befleckung.«
Amin Maalouf: Die verunsicherten. Roman. Aus dem Französischen von Lis Künzli. Arche Verlag. 544 S., geb., 24,95 €.
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