Die Sternensammler
Zehn Jahre Arbeit für ein ewiges 1:0
Kann ein 1:0 schöner sein als ein 7:1? Es kann, wie seit Sonntag sogar die unbedarftesten Fanzonenbesucher erfahren haben. Viel schöner sogar, selbst wenn es so ruppig zugeht wie in diesem Weltmeisterschaftsendspiel von 2014, das die deutsche Mannschaft schließlich mit dem knappsten aller Resultate für sich entschied, nach Verlängerung. Die permanente Spannnung, das Wissen, dass der erste Treffer wohl der entscheidende sein würde, machte dieses Endspiel zu einem Hauen und Stechen, einem Anrennen der deutschen Fußballer gegen Argentiniens Abwehrwand, das mit einer Gehirnerschütterung und einer blutenden Platzwunde endete.
Wie so oft in diesem WM-Turnier von Brasilien versuchten die Deutschen, die gestellte Aufgabe spielerisch zu lösen. Argentinien vertraute auf seine Abwehrhärte und die Konter über seinen genialischen Lionel Messi. Lange Zeit hielten die Argentinier die DFB-Elf damit gut in Schach. Doch am Ende traf nicht Messi sondern ein Deutscher: Der eingewechselte Mario Götze markierte in der 113. Minute den Siegtreffer. Flanke von André Schürrle, Brustannahme von Götze und ein spektakulärer Schuss an Argentiniens Romero vorbei ins lange Eck. Eine Führung, die sich die DFB-Elf nicht mehr nehmen ließ.
Als der Schiedsrichter schließlich abfiff, rannten sie über den Rasen und jubelten: Torwart Manuel Neuer, der im Finale erneut Selbstsicherheit ausstrahlte, die nach Meinung vieler dazu geführt hat, das Argentiniens Gonzalo Higuain bei seiner Großchance nach einem Kroos-Patzer am Tor vorbeischoss – allein auf weiter Flur. Innenverteidiger Jerome Boateng, der im Finale fehlerlos agierte und den Gegner ohne Fouls die Bälle abnahm. Der unermüdliche Philipp Lahm, der sich über rechts immer wieder in die Offensive einschaltete. Bastian Schweinsteiger, der Held, den sie immer wieder umrannten, der jedesmal wieder aufstand. Thomas Müller, der Unberechenbare. Und Götze, der Posterboy, dem Bundestrainer Löw vor seinem Tor zugeflüstert hatte, er könne jetzt beweisen, dass er besser als Messi sei.
Rahn, Müller, Brehme, Götze – so heißt seit Sonntag die neue Ruhmeslinie des DFB. 1954, 1974, 1990 und 2014 – demnächst also wird ein vierter Stern die Brust der DFB-Fußballer zieren. Was den Titel so unvergleichlich macht, ist die Art und Weise, in der die Mannschaft gespielt hat: Schnell, ballsicher, energisch, immer in der Vorwärtsbewegung, leidenschaftlich, ohne dabei je kopflos zu werden. Die Welt ist voll des Lobes für diese DFB-Elf: »Goldene Generation, goldene Zukunft. Mit Götze auf den Gipfel. Mit Deutschland hat die Fussballwelt einen würdigen Weltmeister. Das Team von Jogi Löw hat sich diesen Höhepunkt in den vergangenen Jahren erarbeitet - und erlitten«, schreibt »Der Tages Anzeiger« aus Zürich. Die italienische »La Gazzetta dello Sport« lobt: »Deutschland zum vierten Mal Weltmeister, sie sind jetzt die wahren Brasilianer.«
Herberger, Schön, Beckenbauer, Löw: Dass ausgerechnet der in der 88. Minute eingewechselte Mario Götze den entscheidenden Treffer erzielte, stellte zwar dessen persönlichenTurnierverlauf auf den Kopf, war aber zugleich ein weiteres Indiz für die Weitsicht, mit der Bundestrainer Joachim Löw diese Mannschaft zum Titel geführt hat. Als er den WM-Pokal schließlich in Händen gehalten hatte, zeigte auch das Antlitz des 54-Jährigen ein Mienenspiel, dass der Öffentlichkeit noch weitgehend unbekannt war. Löw lächelte so entspannt wie nie, er strahlte geradezu. Er beschrieb noch einmal, wie er diese Mannschaft innerhab von zehn Jahren geformt hatte, erst als Assistent unter Jürgen Klinsmann, dann nach der WM 2006 in eigener Regie. Löw schwärmte: Unglaublich sei der Teamgeist dieser Mannschaft, was für eine tolle Genration da doch endlich den Titel gewonnen habe. Dieser Götze, der sei eh ein Wunderkind, dass sich nur endlich einmal zeigen müsse. Bastian Schweinsteiger, Philipp Lahm, Lukas Podolski eine unglaubliche Generation, die einfach den Titel verdient habe.
Während die 74 783 Zuschauer die neuen Weltmeister im legendären Tempel Maracana feierten, weinte Mirsolav Klose. In seinem 24. WM-Einsatz war der 35 Jährige nun doch noch Weltmeister geworden, der einzige Spieler, der 2014 noch dabei war aus jener 2002er Mannschaft, die im Endspiel jenes schmerzliche 0:2 gegen Brasilien erlitten hatte. Endlich zählte Klose zu den Siegern.
Doch auch Klose scheint nach diesem Turnier von der Droge Fußball nicht genug zu bekommen. Kann man sich eigentlich einen besseren Abgang vorstellen als den, im Maracana-Stadion Weltmeister geworden zu sein, dabei Ronaldos alten WM-Tore-Rekord gebrochen zu haben und in der 88. Minute bei der Auswechslung mit stehenden Ovationen verabschiedet zu werden? Miro Klose kann das scheinbar. Dieses 1:0 hat Lust auf noch mehr geweckt.
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