Todesrauschen auf Zelluloid
Als die Filmindustrie Waffen für den Kampf um einen Platz an der Sonne schmiedete
Der Beginn des Krieges traf die deutsche Filmwirtschaft völlig überraschend. Sie arbeitete unproduktiv, war zersplittert und weder technisch noch politisch auf ihre Aufgaben im großen »Völkerringen«, wie der Massenmord verharmlosend bezeichnet wurde, eingestellt. Doch das sollte sich alsbald ändern.
Zunächst einmal wurde nach den gegenseitigen Kriegserklärungen im deutschen Kaiserreich die Aufführung von Filmen der Ententemächte verboten. Der unliebsamen Konkurrenz entledigt, fasste die deutsche Filmindustrie die für sie günstige Gelegenheit am Schopfe. Die Zahl der Filme produzierenden Firmen verzehnfachte sich nahezu. Allein im ersten Kriegsjahr wurden über 50 »patriotische« Streifen produziert. Die Titel lauteten »Auf dem Felde der Ehre«, »Ich hatt' einen Kameraden« »Leben heißt kämpfen«, »Lieb Vaterland magst ruhig sein«; »Stolz weht die Fahne schwarz-weiß-rot« »Kriegsgetraut« und »Todesrauschen - Ein Kriegsdrama«.
Der Film »Das ganze Deutschland soll es sein« wollte die Aufhebung der Klassengegensätze in der Stunde der »Vaterlandsverteidigung« suggerieren: Ein Arbeiter und ein Generaldirektor, die vor dem Krieg zerstritten waren, versöhnen sich angesichts des gemeinsamen äußeren Feindes. Der Arbeiter rettet den vom Pferd gestürzten Unternehmer vor dem Gegner. Beide sinken sich in die Arme. Eine ähnliche Botschaft kolportierte »Goldene Herzen in eiserner Zeit«. Und in dem Streifen »Weihnachtsglocken« heiratet die Tochter des adligen Gutsbesitzers einen Landarbeiter, weil dieser an der Front ihrem Bruder das Leben gerettet hat. Der Film »Ich kenne keine Parteien mehr« griff das Postulat von Kaiser Wilhelm II. zu Kriegsbeginn auf. Ein sozialdemokratischer Mechaniker schützt hier seinen früheren politischen Kontrahenten vor einer feindlichen Kugel. Als Dank dafür darf er dessen Tochter heiraten, was dieser zuvor strikt abgelehnt hat.
Neben den heroischen und sentimentalen Geschichten von Front und Heimat standen auch Militärschwänke wie »Fräulein Feldgrau«, »Mudricks Fahrt zum Kriegsschauplatz«, »Mobilmachung in der Küche«, »Musketier Kaczmarek« (auch unter dem Titel »Der Trottel der Kompanie« bekannt geworden) sowie »Wie Max das Eiserne Kreuz erwarb« auf dem Kinoprogramm.
Mit dem Ausbruch des Krieges erlangten vor allem aber auch die aktuellen Wochenschauen besondere Bedeutung. Die von der Messter-Filmgesellschaft herausgebrachten Revuen wurden allein bis 1916 von mehr als 34 Millionen Deutschen gesehen. Die Wochenschauen brachten beispielsweise Bilder von der Mobilmachung Anfang August 1914 in Berlin, zeigten den Kaiser in Uniform, später kamen Aufnahmen von der Front und von Feldgottesdiensten sowie der Unterstützung der Soldaten durch die Heimatfront hinzu.
Die Zahl der »vaterländischen« Filme verringerte sich indes bald. Das Interesse an Kriegsfilmen nahm angesichts der desaströsen Lage an den Fronten und in der Heimat rapide ab. Propagandastreifen waren beim Publikum nicht mehr besonders gefragt. Detektivgeschichten und Lustspielfilme sollten die Menschen wieder ins Kino locken.
Zu den erfolgreichsten und vielseitigsten deutschen Filmregisseuren zählte damals Max Mack. In seiner Sudermann-Adaption »Der Katzensteg« bekam Käthe Haack 1915 ihre erste Filmrolle. In den Jahren des Ersten Weltkrieges verkörperte sie das typische deutsche Mädel: blond und treu. Noch war ja der Hurra-Patriotismus aus den Kinos nicht ganz verschwunden, und entsprechend hießen ihre Filme »Die Braut des Reserveleutnants«, »Der Feldarzt«, »Ostpreußen und sein Hindenburg«. Käthe Haack wirkte auch in dem 1916 gedrehten Werbefilm für Kriegesanleihen »Der feldgraue Groschen« mit. Kinosäle füllten während des Krieges ebenso Filme mit Henny Porten - der einzige deutsche Filmstar, der sich noch 1913/14 für Völkerverständigung und gegen den Krieg eingesetzt hatte. Andere Filmstars und Bühnenschauspieler wie Adele Sandrock, Albert Bassermann, Otto Gebühr, Paul Hartmann, Emil Jannings oder Eduard von Winterstein stellten sich hingegen von Anbeginn in den Dienst der deutschen Kriegführung. 1917 warb im Zirkus Schumann in Berlin »Das Vaterländische Spiel« für neue Kriegsanleihen - eine vornehmliche Aufgabe des Films im Krieg.
Filmpropagandistischer Ehrgeiz beschränkte sich nicht auf nationalen Rahmen, sondern griff auch aufs feindliche oder neutrale Ausland über. Am 6. April 1916 hielt in Leipzig der Vorsitzende des »Ausschusses zum Studium der Frage einer deutschen Film- und Lichtbild-Vortragspropaganda im Ausland«, Ludwig Klitzsch, einen Vortrag: »Wir sehen uns infolge des Krieges vor neue Aufgaben gestellt und es muss für uns gelten, der Waffenrüstung der Konkurrenz nicht nur eine ebenso starke Wehr entgegenzusetzen, sondern darüber hinaus die Waffen zu schmieden, die uns die Benutzung des Platzes an der Sonne und Besitzergreifung von Neuland gestatten.« Erstklassige Filme seien geeignet, dazu beizutragen, »den schaurigen Schmutz, mit dem uns das Ausland versorgt«, allmählich zu verdrängen. Da das Kino mittlerweile auf der ganzen Welt verbreitet sei, müssten deutsche Filme gerade auch »bei den halb- oder gar nicht zivilisierten Völkern als einziger und deshalb um so begehrter Mittler gegenüber der übrigen Welt und ihren Geschehnissen eine bedeutende Rolle spielen.« In diesen Worten zeigte sich die ganze Arroganz eines Vertreters der angeblich »zivilisierten« Nationen, die gerade um die Vorherrschaft in der Welt stritten.
Am 18. November 1916 kam es im Berliner Hotel Adlon zur Gründung der Deutschen Lichtbild-Gesellschaft e. V., die von führenden deutschen Wirtschaftsverbänden getragen wurde. Die DLG war relativ schnell in der Lage, deutsche Propagandafilme in Bulgarien, der Türkei, Rumänien, Schweden, Dänemark und Norwegen in großem Maßstab aufzuführen. Doch schon kurz nach ihrer Gründung erwuchs ihr ein starker Gegner. Am 30. Januar 1917 wurde durch Erlass des Kriegsministeriums in Berlin das Bild- und Filmamt (Bufa) gegründet. Unter der Leitung von Offizieren arbeiteten sieben Filmtrupps an der Ost- und an der Westfront sowie in Mazedonien und im Nahen Osten. Diplomatische Missionen halfen bei deren Verbreitung. Der Frontdienst übernahm die Versorgung der deutschen Truppen mit neuen Filmen, etwa 900 Feldkinos gab es.
Aber weder die DLG noch das Bufa erfüllten offenbar die weiterreichenden Erwartungen der deutschen Militärführung. So unterschrieb am 4. Juli 1917 Erich Ludendorff, der Erste Generalquartiermeister beim Chef des Generalstabes des Feldheeres, einen Brief an das Preußische Kriegsministerium, den Major Grau und Oberstleutnant von Haeften verfasst hatten: »Der Krieg hat die überragende Macht des Bildes und des Films als Aufklärungs- und Beeinflussungsmittel gezeigt. Leider haben unsere Feinde den Vorsprung, den sie auf diesem Gebiet haben, so gründlich ausgenutzt, dass schwerer Schaden für uns entstanden ist. Auch für die fernere Kriegsdauer wird der Film seine gewaltige Bedeutung als politisches und militärisches Beeinflussungsmittel nicht verlieren. Gerade aus diesem Grund ist es für einen glücklichen Abschluss des Krieges unbedingt erforderlich, dass der Film überall da, wo deutsche Einwirkung noch möglich ist, mit dem höchsten Nachdruck wirkt.«
Am 18. Dezember 1917 wurde ergo die Universum Film AG, kurz Ufa genannt, gegründet. Das Deutsche Reich, die Deutsche und die Dresdner Bank, die AEG, HAPAG und der Norddeutsche Lloyd, Robert Bosch und Fürst von Donnersmarck kamen für das nötige Aktienkapital von 25 Millionen Mark auf. Offiziell traten allerdings weder das Deutsche Reich noch die Deutsche Bank, der größte Teilhaber, als Aktiennehmer auf. Die Ufa kaufte die Aktien sämtlicher deutscher Produktions-, Verleih- und Theaterbetriebe der dänischen Nordisk Films Kompagni für zehn Millionen Mark auf. Für 1,11 Millionen Mark erwarb sie zudem die Mehrheit des Stammkapitals der Projektions- AG Union und für 5,3 Millionen Mark die Messter-Film GmbH .
Im letzten Kriegsjahr 1918 engagierte sich die Ufa besonders im Ausland, vor allem in der zum Teil von deutschen Truppen besetzten Ukraine. Am 27. April 1918 teilte die Ufa dem Reichswirtschaftsamt mit: »Mit unseren Bestrebungen in der Ukraine verfolgen wir sehr wichtige deutschnationale Interessen.« 1918 wurden allein in der Ukraine noch fünf deutsche Niederlassungen gegründet und Verträge mit fast allen dortigen Filmtheatern abgeschlossen. In Kiew musste jedes Theater 60 Prozent deutsche Filme spielen und zu jedem außerdem noch einen reinen Propagandafilm zeigen.
Im Frühjahr 1918 rief die Ufa außerdem Tochtergesellschaften auf dem Balkan und in der Türkei ins Leben. Am 8. Mai 1918 schrieb die ungarische Zeitung »Pesti Napló« treffend: »Für deutsche, österreichische und ungarische Filmfabriken, Filmverleihanstalten und Kinos ist zurzeit das erschreckendste und mächtigste Wort: Ufa. Diese AG hat die Bank der deutschen Schwerindustrie, die Deutsche Bank, zustande gebracht, um sich mit Erfolg auf das gesamte Filmgewerbe Mitteleuropas verlegen zu können.« Das Blatt beklagte des Weiteren, »dass die Ufa ihren Blick bei ihrer zielbewussten und gierigen Einverleibungsarbeit auch auf die junge ungarische Filmindustrie richtet. So wie sie überall mit Haut und Haaren Filmfabriken, Filmverleihanstalten und Kinos ankaufte, versuchte sie sich mit dem starken Druck ihres mächtigen Körpers in der Filmwelt Ungarns festzusetzen.« Die Ufa sei bereits Herr über die sieben größten Lichtspieltheater Ungarns. Die »Pesti Napló« schlussfolgerte schließlich: »Die Hand der Ufa ist lang und mächtig ... So arbeiten die Deutschen. Den Filmkrieg haben sie schon gewonnen.«
Der Berliner Museologe Dr. Kurt Laser ist auf Filmgeschichte spezialisiert.
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