Abschiebeknast vor dem Aus
Frank Gockel über die unausweichliche Konsequenz zweier Gerichtsurteile für den nordrhein-westfälischen Innenminister Ralf Jäger - und viele Flüchtlinge
Am Freitag gab es ein wichtiges Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Abschiebehaft. Der Vollzug von Abschiebehaft in Strafhaft ist unzulässig. Für die JVA Büren, Deutschlands größtes Abschiebegefängnis bedeutet dies die Schließung. Und für den Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Ralf Jäger (SPD), muss es den Rücktritt bedeuten. Widerspricht sein Handeln doch dem rechtsstaatlichen Selbstverständnis der Bundesrepublik. Denn so lange sich Jäger weigert, Abschiebegefangene in Büren freizulassen, macht er sich nun der Freiheitsberaubung schuldig.
Im Januar 1994 öffneten zum ersten Mal die Tore der JVA Büren. Mit damals über 600 Haftplätzen war sie der größte Abschiebehaftanstalt Deutschlands, zeitweise sogar Europas. Als die Abschiebehaftzahlen rückläufig waren, hatte man im Jahre 2007 eine Abteilung eröffnet, in der auch Strafgefangene untergebracht werden.
Bereits drei Jahre später verbot die Rückführungsrichtlinie der EU die Unterbringung von Strafgefangenen und Abschiebegefangenen in einer JVA. Die Richtlinie hätte am 24. Dezember 2010 in deutsches Recht übertragen werden müssen. Doch anstatt den Text der Richtlinie zu übernehmen, beschloss der Bundestag eine kleine, aber nicht unwesentliche Änderung. Er erlaubte den Bundesländern selber darüber zu entscheiden, ob Strafgefangene und Abschiebegefangene zusammen untergebracht werden dürfen.
Das Land NRW beließ alles beim Alten und kümmerte sich nicht um die Richtlinie. Somit war es nur eine Frage der Zeit, bis sich die Gerichte mit dem Thema auseinandersetzten. Doch die Rechtsprechung in NRW ging weit auseinander. Einige Landgerichte, wie zum Beispiel das LG Paderborn, wandten die Richtlinie richtig an und verboten die Unterbringung von Abschiebehäftlingen in der JVA Büren, andere Gerichte meinten, die Richtlinie nicht anwenden zu müssen.
In der letzten Woche, am 17. Juli, hat nunmehr der EuGH (Az.: C-473/13) entschieden, dass Abschiebegefangene nicht mit Strafgefangenen zusammen untergebracht werden dürfen. Die Sach- und Rechtslage ist eigentlich eindeutig. Doch Ralf Jäger, Innenminister in Nordrhein-Westfalen, passt dieses nicht. Einen Tag nach dem Beschluss besuchten die Mitarbeiter des Innenministeriums die JVA Büren und definierten einfach das Gefängnis um. Aus einer Haftanstalt wurden zwei. Zwar gibt es weiterhin die selbe Toreinfahrt, das Personal, bis hin zum Anstaltsleiter, ist gleich und auch die Haftbedingungen sind fast identisch, doch durch diesen Winkelzug erhoffte man sich, die Abschiebehaft halten zu können.
Flüchtlingsorganisationen, wie der Verein Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V., war klar, dass dieses nicht im Sinne des EuGH sein kann. Sie stellten daher für die Abschiebehäftlinge in der JVA Büren Haftaufhebungsanträge. Mit Erfolg. Am Freitag entschied der Bundesgerichtshof in einem Leitsatzbeschluss (Az. V ZB 137/14), dass es sich bei der JVA Büren um »eine gewöhnliche Haftanstalt« handelt, die vom Innenministerium vorgenommene Trennung in zwei Hafteinrichtungen ist somit nicht haltbar. Der BGH weiter: »Diese Art der Unterbringung widerspricht dem Unionsrecht«.
Die Freiheit ist ein so hohes Grundrecht, dass alle beteiligten Behörden nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einem Beschleunigungsgrundsatz unterliegen. Jäger hätte sofort einen Erlass zur Freilassung der Abschiebegefangenen beschließen müssen. Doch anstatt zu handeln, hieß es von Seiten der Pressestelle nur: »Kein Kommentar!«
Vor der JVA Büren warteten am Freitagnachmittag Freunde der Abschiebegefangenen deshalb zunächst vergeblich. Schnell hatte sich herumgesprochen, dass der BGH das Trennungsgebot eingefordert hat. Dann wurden schließlich zwei Inhaftierte freigelassen. Das Innenministerium regte sich bis Redaktionsschluss nicht.
Frank Gockel, Verein Hilfe für
Menschen in Abschiebehaft Büren e.V.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.