Die Lehren des Weltmeistertitels

Auf einem Trainerkongress analysierte DFB-Chefausbilder Frank Wormuth die WM

  • Frank Hellmann, Mannheim
  • Lesedauer: 3 Min.
Vizeweltmeister Argentinien? Zu viel Messi. Der WM-Dritte Niederlande? Zu uninspiriert. Aber auch Weltmeister Deutschland hat laut Frank Wormuth Defizite.

Die Freiflächen vor dem Mannheimer Wasserturm waren während der WM- beliebter Anlaufpunkt feierfreudiger Fußballfans. Obwohl Lutz Hangartner, Präsident des Bundes Deutscher Fußball-Lehrer, den 57. Internationalen Trainerkongress mit einer Erinnerung an jene Bilder eröffnete, war die Rekordzahl von mehr als 1100 Teilnehmern doch nicht hierher geströmt, um auf den vierten Stern anzustoßen. Vielmehr empfing sie sogleich die Warnung, nicht die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen: »Wenn wir uns wie nach dem WM-Titel 1990 auf den Lorbeeren ausruhen, geht es schief«, warnte Hangartner.

Eine wichtige Arbeitsgrundlage stellte die exklusiv präsentierte WM-Analyse von DFB-Chefausbilder Frank Wormuth und DFB-Trainerausbilder Bernd Stöber dar. »Die kompletteste Mannschaft hat verdient die WM gewonnen«, bilanzierte Wormuth, weil es das Team von Joachim Löw verstanden habe, »das spanische Tiki-Taka um einen zielorientierten Kombinationsfußball zu erweitern.« Demnach wurde der Pass nicht zum Selbstzweck genutzt, sondern als Mittel zum Zweck, so der 53-Jährige. Kein anderer Halbfinalist habe so entschlossen auf eine Entscheidung gedrängt wie dieses kompakte Kollektiv.

Ein achtköpfiges DFB-Expertengremium stellte weder Finalist Argentinien (»Konzept Sicherheit: eine Einheit, aber letztlich zu Messi-lastig«) noch Halbfinalist Niederlande (»eindimensionale Angriffsstruktur: stabil, strukturiert, aber zu uninspiriert«) ein gutes Zeugnis aus. Wenn Trainer Louis van Gaal etwas für seine Kollegen hinterlassen hat, dann seine Fähigkeit zum schnellen Systemwechsel mit Dreier- oder Fünferkette. Über Gastgeber Brasilien erging erwartungsgemäß ein vernichtendes Urteil. »Keine Kompaktheit in Breite und Tiefe. Wir haben auf diesem Niveau selten so große Lücken in und zwischen den einzelnen Mannschaftsteilen gesehen.« Deswegen sei die »Basistaktik Neymar, Neymar« (Stöber) ja auch grandios gescheitert, als der Fixpunkt fehlte.

Auch bei Deutschland gäbe es noch etwas zu verbessern, merkte Wormuth an: »Es würde gut tun, das gute Kombinationsspiel mehr mit Einzelaktionen anzureichern - Götze oder Özil hätten diese Qualität. Und auf den Außenverteidigerpositionen haben wir auf lange Sicht ein Defizit.«

Letztlich sprach der deutsche U20-Nationaltrainer von einer WM, »die in kein Schema passt.« Eine imaginäre Trennlinie durchzog das Turnier: Nach einer an Überraschungen und Toren reichen Vorrunde mit hohem Unterhaltungsfaktor folgte eine von Vorsicht geprägte K.o.-Runde. In den acht Achtelfinals waren lediglich 18 Treffer zu bestaunen, sieben davon erst in der Verlängerung. In vier Viertelfinalpartien wurde gar nur noch fünfmal gejubelt. »Sicherheit hatte ab dem Achtelfinale absolute Priorität«, bilanzierte Wormuth, »oft entstand eine Art Handballspiel um den Strafraum herum.«

Keinen Kommentar wollte der in Fachkreisen geschätzte Chefausbilder dazu abgeben, dass er als Nachfolger des auf den DFB-Sportdirektorenposten wechselnden Hansi Flick gehandelt wird. »Das ist aktuell kein Thema, solange der Bundestrainer im Urlaub ist.« Wormuth hat hingegen in Tag- und Nachtarbeit die WM-Aufarbeitung fertiggestellt, die direkt in die Alltagsarbeit der Spitzentrainer einfließen kann. Sein Fazit: »Die Systeme vermischen sich. Und die Raute im Mittelfeld scheint auszusterben.« Seine Empfehlung: »Taktische Variabilität wird immer wichtiger.

Bundesligatrainer sollten am besten verschiedene Systeme in allen Details beherrschen, um gegebenenfalls während eines Spiel die Grundordnung verändern zu können.« Als leuchtendes Beispiel führte er den beim FSV Mainz ausgestiegenen Thomas Tuchel an. Zudem ist es lohnend, sich um Standardsituationen zu kümmern - wie es die deutsche Auswahl unter Anleitung des Löw-Helfers Flick endlich tat. 30 Prozent der WM-Treffer fielen nach ruhenden Bällen, darunter allein vier der fünf Treffer in den umkämpften Viertelfinals. Von 171 WM-Toren gingen wiederum 31 auf das Konto eingewechselter Spieler - Joker Mario Götze diente insofern als logischer Türöffner der finalen schwarz-rot-goldenen Party.

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