Unternimmt die Linkspartei genug zur Abschaffung des Verfassungsschutzes?
LINKE-Politiker in Brandenburg streiten kontrovers über die Rote Hilfe
Dass fortschrittliche Politiker trotz Beteiligung an einer Landesregierung auch Gutes tun können, hatte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der ersten Hälfte der 1990er Jahre in Niedersachsen bewiesen. In Zusammenarbeit mit Rechtsanwalt Rolf Gössner wurde der Landesverfassungsschutz zwar nicht abgeschafft, aber durch eine neue Gesetzgebung heruntergefahren und in seinen Kompetenzen deutlich beschnitten. Zwar wurde auch seit 2009 im rot-roten Brandenburg, wo der Verfassungsschutz keine Behörde, sondern eine Abteilung des Innenministeriums ist, etwa 20 Prozent des Personals abgebaut, aber so weit wie die Grünen in Niedersachsen ist die LINKE während ihrer Beteiligung an den Landesregierungen in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern oder Brandenburg nicht gegangen.
Kritik am Brandenburger Verfassungsschutz (VS) gibt es spätestens seit bekannt wurde, dass der Neofaschist Carsten Szczepanski unter dem Decknamen »Piato« schon unter der SPD-Alleinregierung auf der Lohnliste des Geheimdienstes stand und vom Verfassungsschutz Brandenburg erfolgreich in ein Chemnitzer Netzwerk von NSU-Unterstützer integriert wurde.
Auch unter der seit 2009 im Amt befindlichen rot-roten Landesregierung geriet der VS immer wieder in die Schlagzeilen, weil er alternative Projekte als »linksextremistisch« und »gewaltbereit« in Verruf gebracht hat. Fünf Wochen nach der Regierungsbildung warnte der VS Brandenburg vor dem Förderverein Inwole, weil dieser angeblich zu Gewalt aufrufe. Der Verein betreibt in Potsdam ein Projekthaus bzw. Zentrum mit Wohn- und Büroräumen, in der unter anderem antirassistische Initiativen ihren Sitz haben.
Auch dem alternativen Jugendprojekt Mittendrin aus dem brandenburgischen Neuruppin hat der VS viel Ärger gemacht. Nach Erwähnung des Projektes im VS-Bericht 2010 blieben Besucher und Fördergelder aus. Mittendrin klagte erfolgreich gegen den Jahresbericht des Geheimdienstes. Die Richter gaben 2011 dem Jugendzentrum recht und rügten den VS: Das Engagement von Mittendrin gegen die Neonaziszene könne nicht mit »Linksextremismus« gleichgesetzt werden. Im folgenden Jahr erschien Mittendrin erneut im VS-Bericht, wieder musste der Geheimdienst die Erwähnung löschen.
Im laufenden Jahr stand der VS in der Kritik, weil er Punkbands, Konzert- und Partybesucher überwacht und die Finanzierung selbstverwalteter Zentren mit kommunalen Geldern gerne einschränken würde. So erscheint es nur gut und richtig, wenn das Potsdamer Jugendzentrum freiLand dem VS ein dauerhaftes Hausverbot erteilen würde.
Eine Solidaritätsorganisation unter Beobachtung
Dieser Tage erschien die zweite Auflage des sogenannten »Extremographen« des Brandenburger VS. Und wie im vergangenen Jahr gab es Kritik. Freke Over, stellvertretender Vorsitzender der Linksfraktion im Kreistag Ostprignitz-Ruppin, kritisierte im »nd« den Extremographen, der linke Gruppen wie die Antirepressions- und Solidaritätsorganisation Rote Hilfe mit Nazi-Schlägern gleichsetzt: »Dies ist eine unverantwortliche Verharmlosung rechter Gewalt, die bekanntlich seit 1990 in Deutschland über 200 Menschen das Leben gekostet hat. So eine Banalisierung des Rechtsextremismus erschreckt mich zutiefst, weil damit wieder der Kriminalisierung der Opfer Vorschub geleistet wird.« Die Linkspartei müsse reagieren und möge sich ein Beispiel an den Thüringer Genossen nehmen, die »in der Debatte zur Abschaffung ihres Verfassungsschutzes schon weiter sind«.
Jürgen Maresch, Mitglied der Linksfraktion im Landtag Brandenburg und Erster Polizeihauptkommissar a. D. der Bundespolizei, antwortete seinem Parteikollegen. Er legt wert auf seine Distanzierung von der Roten Hilfe und stellt sich hinter den VS, der einer parlamentarischen Kontrolle unterliege: »Als Mitglied der parlamentarischen Kontrollkommission in Brandenburg habe ich solch eine Kontrolle über den Verfassungsschutz im Land Brandenburg ausgeübt. Und es wurden mir in meiner Funktion alle Fragen beantwortet und alle Handlungen erläutert.«
Hier drängt sich die Frage auf, ob Maresch die richtigen Fragen gestellt hat. Vor 30 Jahren hat ein linker Parlamentarier gezeigt, wie man seine Funktion als Ausschuss- und Kommissionsmitglied für die Bewegung gewinnbringend nutzen kann: Dieter Kunzelmann, von 1983 bis 1985 für die Alternative Liste im Westberliner Abgeordnetenhaus, hat den Haushalt des Westberliner Verfassungsschutzes und die Zahl der Spitzel bekannt gemacht.
Kollege Markus Bernhardt greift in der Tageszeitung »junge Welt« einen der beiden Debattenbeiträge im »nd« über das Pro und Kontra in der Brandenburger Linkspartei zur Roten Hilfe heraus. Er hinterfragt, ob ein Blatt, dass sich »sozialistische Tageszeitung« nennt, einen Text wie den von Maresch drucken muss – und spricht damit vielen Bewegungsaktivisten aus dem Herzen.
Sicher ist es für linksparteinahe nd-Leser interessant zu wissen, wie ihre Politiker ticken, um bei Bedarf innerparteilichen Druck gegen nicht-linke Positionen aufzubauen. Aber bei Jürgen Maresch ist das gar nicht mehr nötig. Er wurde schon nach der Kommunalwahl im Mai – auch aufgrund seiner politischen Ansichten – in der Stadtverordnetenversammlung Cottbus nicht mehr in die Linksfraktion aufgenommen und jetzt auch nicht mehr als Kandidat zur Landtagswahl aufgestellt. nis
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