Getrübte Schäferstündchen
In Sachsen hat sich die Zahl der Schafe seit 2000 halbiert / Politik will besser fördern
Die vierbeinigen Rasenmäher erledigen ihre Arbeit nahezu geräuschlos. Emsig mümmelnd steht die Schafherde von Detlef Rohrmann auf einer Wiese am Elbufer bei Pirna und grast. Zu dem Betrieb, der bereits seit Generationen in Familienhand ist, gehören derzeit 600 Schwarzkopf-Merinoschafe und 50 Fleischschafe. Auf 220 Hektar Grünland, sagt Rohrbach, betreiben seine Tiere Landschaftspflege - auf arttypische Weise: Vorn hält das Schaf das Gras kurz, hinten düngt es die Wiese. Außerdem sorgt es dafür, dass sich den Touristen auf dem nahen Elberadweg und den vorbeifahrenden Elbdampfern eine beschauliche Szenerie darbietet.
Der schöne Schein trügt freilich; das Leben der sächsischen Schäfer ist alles andere als idyllisch. »Sie haben es nicht leicht«, sagt Frank Kupfer, der CDU-Agrarminister. Das lässt sich an Zahlen ablesen: Allein seit dem Jahr 2000 hat sich die Zahl der Schafe im Freistaat auf 75 000 halbiert. Die Zahl der gewerblich tätigen Schäfer liegt zwar stabil bei 100, sagt Regina Walther vom Sächsischen Schaf- und Ziegenzuchtverband. Doch viele der Inhaber gehen straff auf die Rente zu, und Nachwuchs zu finden, erweist sich als ausgesprochen schwierig.
Für die Probleme gibt es zahlreiche Ursachen. Eine wichtige: Für Ernährung und Kleidung werden Schafe kaum noch gebraucht. Die Erlöse aus dem Verkauf der Wolle liegen unter den Kosten für das Scheren der Schafe. Beim Fleischkonsum rangiert Lamm in Deutschland unter ferner liefen. Nur in Regionen mit vielen Zuwanderern etwa aus der Türkei läuft der Absatz gut - Sachsen gehört nicht dazu. Auch Käse und Milch produzieren und vermarkten im Freistaat nur einige wenige Betriebe. Die meisten, sagt Regina Walther, erwirtschaften höchstens 50 Prozent ihres Umsatzes durch eigene Produktion.
Dazu kommen weitere Schwierigkeiten. Landwirte schaffen Grasschnitt lieber in Biogasanlagen, statt Schafe auf die Weiden zu lassen; Pächter verlangen Preise, die sich nur mit ertragreicheren Kulturen erzielen lassen. Neue Vorschriften wie die, den Schafen Ohrmarken mit eingebautem Chip zu verpassen, treiben die Kosten für die Schäfer ebenso in die Höhe wie die Anschaffung neuer Zäune. Die sind vielerorts notwendig, weil sich der Wolf in Sachsen ausbreitet - und er verschmäht Lammfleisch nicht.
Angesichts dieser Widrigkeiten sieht sich die Politik jetzt zum Handeln gezwungen - schließlich »brauchen wir die Schafe«, wie Kupfer sagt. Mindestens 23 000 Tiere seien zur Landschaftspflege nötig; unabdingbar sind sie zudem für den Hochwasserschutz: Auf den Deichen entlang von Elbe, Mulde und Elster halten sie nicht nur das Gras kurz, sondern verdichten auch den Boden. Um den Schäfern zu helfen, dürfen diese künftig 776 statt 536 Hektar Deichfläche bewirtschaften; zudem werden sie auch mit der anschließenden maschinellen Mahd beauftragt, die nötig ist, weil Schafe wählerisch sind und nicht alle Wiesenkräuter fressen. Ausgeweitet werden Flächen, auf denen Schäfer für »Agrar-Umwelt-Maßnahmen« entlohnt werden. Zudem sollen bürokratische Regeln gelockert und höhere Fördersätze für den Herdenschutz gezahlt werden.
Kopfzerbrechen macht den Schäfern indes nach wie vor die Frage, wer die Herden weiterführt. »Dass wir kaum Hofnachfolger finden, bereitet uns Sorge«, sagt Walther. Der Verband versucht deshalb, junge Leute zu interessieren und zu begeistern - auch, indem Vorurteile abgebaut werden. Schäfer müssten 365 Tage rund um die Uhr nur für ihre Tiere da sein, sagt Kupfer. Stimmt nicht ganz: »Sie können auch in den Urlaub fahren«, sagt Walther, »sie können sich nur nicht recht von den Tieren trennen.«
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