Sport als Mittel zur Trennung
Schottlands Nationalisten nutzen die Commonwealth Games in Glasgow zur Werbung für ihr Referendum
Alex Salmond weiß, dass er genau beobachtet wird. Am 18. September können fünf Millionen Schotten per Referendum darüber abstimmen, ob sie das Vereinigte Königreich verlassen wollen. Nach 307 Jahren. Salmond, der »Erste Minister« Schottlands, hütet sich, im Rahmen der Commonwealth Games in Glasgow genauer über das Referendum zu sprechen, denn er weiß wohl: Jede Medaille und jedes Siegerlächeln eines schottischen Athleten wirken mehr als tausend Worte. Salmond wünscht sich Patriotismus. Bis Sonntag laufen die Spiele. Bis Sonntag funktioniert die Stimmungsmaschine.
Bei den letzten Commonwealth Games 2010 in Delhi musste sich Salmond noch geschlagen geben. Er bat darum, bei der Abschlussfeier die Fahne der Spiele entgegennehmen zu dürfen. Für den nächsten Gastgeber, für Glasgow. Doch diese Aufgabe war traditionell dem Bürgermeister vorbehalten. Nun sind die Spiele in der größten Stadt Schottlands zu Gast, mit fast 5000 Sportlern aus 70 Ländern und Regionen. Kann die schottische Regionalregierung im Schatten der Spiele tatsächlich das Unabhängigkeitsstreben vorantreiben?
»Mit den Spielen kann Schottland der Welt zeigen, dass es in der Lage ist, Großereignisse zu organisieren«, pflegt Alex Salmond zu sagen. Immer wieder hatte die Regierung Zahlen zum Wachstum in Glasgow verbreitet: Im strukturschwachen Osten der Stadt ist einer der modernsten Sportkomplexe Europas entstanden. Nicht weit entfernt liegt das Athletendorf. Es soll bald 700 Wohnungen und einem Seniorenheim Platz bieten. Die Investitionen in die Infrastruktur belaufen sich auf 1,3 Milliarden Euro. 80 Prozent der beteiligten Firmen haben ihren Sitz in Schottland. Von den 6000 Jobs sollen viele erhalten bleiben. Zahlen des Aufschwungs nach einer langen Rezession, die der »Erste Minister« vor dem Referendum gern nutzt.
Salmond führt die schottische Regierung an, seit 2011 mit absoluter Mehrheit für seine SNP, die Schottische Nationalpartei. Die Schotten hatten 1997 für ein regionales Parlament gestimmt, mit begrenzten Kompetenzen. Doch der SNP reicht das nicht. »Was den Wohlstand angeht, würden wir als eigenständiger Staat mit unseren Ölvorkommen weltweit an 14. Stelle stehen«, sagt Salmond und beklagt ein Demokratiedefizit: Die konservativen Torys haben in Schottland immer wieder die britischen Wahlen verloren - trotzdem stellten sie in London die Regierung. Auf der anderen Seite genießen die Schotten Autonomie in Justiz- und Bildungsfragen. Ob sie als eigenständiger Staat in der EU und in der NATO bleiben, ist ungewiss. Ob sie an der britischen Währung festhalten dürfen, ebenfalls.
Die 20. Commonwealth Games wurden 2007 an Glasgow vergeben. Es ist kein Zufall, dass das Referendum nicht einmal zwei Monate danach stattfindet. In einem Jubiläumsjahr: 1314 schlugen die Schotten unter König Robert the Bruce ihren Nachbarn im Sumpfland von Bannockburn, für viele ist es das Gründungsdatum ihrer Heimat. Historische Deutungen lassen sich im Fernsehen gut mit Siegen im Rugby, Cricket oder Bowls verknüpfen. Angereichert mit etwas Gästelob, denn auch Berühmtheiten wie Jamaikas Rekordsprinter Usain Bolt oder Englands Tour-de-France-Sieger Bradley Wiggins finden freundliche Worte über Glasgow. Dazu kommt die Vorfreude auf den Ryder Cup, das bedeutendste Mannschaftsturnier im Golfsport, das Ende September in Gleneagles unweit von Edinburgh ausgetragen wird.
Lange hatte sich in Umfragen nur etwa ein Drittel der schottischen Bevölkerung für die Unabhängigkeit ausgesprochen. »Ich würde den Einfluss der Spiele nicht überbewerten«, sagt Shona Robison, Schottlands Ministerin für Gesundheit und Sport. »Wir sind uns doch klar darüber, dass wir Parteipolitik und Sport trennen. Aber die Schotten sollten sich über die Leistungen ihrer Landsleute freuen dürfen. Die Spiele sind für die Menschen ein verbindendes Ereignis, egal welche Meinung sie zum Referendum haben.« Salmond, Robison und ihre Kollegen stellen sich nicht mit Wahlplakaten vor die Arenen. Doch sie zeigen sich im Sport: Als der Schotte Andy Murray 2013 den ersten Wimbledon-Titel nach 77 Jahren für Großbritannien gewann, war Salmond voll des Lobes. Nach dem Motto: Seht her, wozu das kleine Schottland im Stande ist!
Mehrfach haben Opposition oder frühere Profisportler Großbritanniens die Politisierung der Athleten durch die Schottische Nationalpartei gerügt. »Alex Salmond wird jede Gelegenheit nutzen, um für die Unabhängigkeit zu werben, und er macht das nicht mal diskret«, sagt George Redmond, Stadtratsmitglied in Glasgow für die Labour-Partei. Redmond erinnert an Olympia 2012: Die Schotten hatten traditionell mit Engländern, Nordiren und Walisern ein gesamtbritisches Team gebildet. Nach den Spielen wollte Salmond die schottischen Medaillensieger nicht im Rathaus von Glasgow empfangen, denn das ehrwürdige Zentrum der Stadt wird seit Jahrzehnten von Labour geführt. Stattdessen fand die Zeremonie im Fruitmarket statt, einem Kulturzentrum wenige hundert Meter weiter.
Die Schotten nutzen den Sport, die Engländer ebenfalls. Der britische Premierminister David Cameron hielt ein emotionales Fernsehplädoyer für die Gemeinschaft. Als Schauplatz wählte er das Velodrom im Olympiapark Londons, hinter ihm waren Rennräder aufgestellt. Sieben Goldmedaillen hatte »Team GB« hier 2012 gewonnen, mit dabei: schottische Vorbilder wie Chris Hoy. Cameron schwärmte in seiner Ansprache von Siegen in Blau-Weiß-Rot, den Farben des Union Jacks, der britischen Flagge. Ginge es nach Alex Salmond, würden die Schotten bei den Spielen 2016 mit einem eigenen Team starten. Mit dem Andreaskreuz, der schottischen Flagge. Und der eigenen Hymne: »Flower of Scotland«.
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