Endlich Urlaub vom NSU
Münchner Prozess macht Sommerpause, Ermittler dösen – wer löst Merkels Versprechen ein?
Na dann bis zum 4. September! Mit den Worten verabschiedeten sich am Mittwoch in München Richter, Ankläger, Verteidiger, Nebenkläger, Journalisten, Zuschauer, Justiz- und Polizeibedienstete und natürlich die Angeklagten in die Sommerpause. Die meisten am NSU-Verfahren Beteiligten haben sie sich verdient. Doch ist diese Pause ein weiterer Bremsschuh auf den Gleisen zur Aufklärung der Neonaziverbrechen und der staatlichen Beihilfe durch Unterlassen.
Das Thema, das am Mittwoch aufgerufen worden war, ist nah dran an einem Hauptproblem. Auf Antrag der Nebenklage wurden zwei Kriminalbeamte aus Kassel zu den Ermittlungen im Mordfall Halit Yozgat vernommen. Der junge Mann war 2006 in seinem Internetcafé mutmaßlich von den NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt erschossen worden. Eine Vermutung lautet, dass der damalige Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes Andreas Temme mehr über die Tat weiß, als er bislang ausgesagt hat. Er war zur fraglichen Zeit in dem Café. Ganz privat. Auch weil er sich nicht als Zeuge gemeldet hatte, wurde der Mann mit Rechtsaußen-Gedanken und Hang zu Rockern als Beschuldigter geführt.
Umso erstaunlicher, wie vehement der Verfassungsschutz die Ermittlungsarbeit der Polizei behinderte. Temme war zunächst tabu für die Ermittler. Auch die von ihm geführten V-Leute durften nicht ordentlich befragt werden. Für den Verfassungsschutz war der Schutz ihres Mitarbeiters und einiger Zuträger um einiges wichtiger als die Aufklärung der rassistisch motivierten Mordserie. Vorgesetzte Politiker, bis hoch zum damaligen Innenminister Volker Bouffier (CDU), der heute Chef der hessischen Landesregierung ist, deckten den Geheimdienst.
Inzwischen verfestigten sich Hinweise, dass Temme bereits unmittelbar nach der Tat mehr über den Mord wusste, als er eigentlich wissen konnte. Auch Tatsachen aus anderen NSU-Mordfällen ließen die Richter misstrauisch werden, was die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft betrifft. Doch zwischen dem Gefühl und der Fähigkeit, einen Verdacht beweisen zu können, klafft eine riesige Lücke.
33 Monate sind nach dem Auffliegen der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund vergangen. Da stehen in München nun neben der Überlebenden des NSU-Trios, Beate Zschäpe, auch vier mutmaßliche Unterstützer vor Gericht. Doch die Aufklärungsbilanz muss besorgt machen. Das liegt nicht nur daran, dass durch das Schweigen der meisten Angeklagten wenige neue Erkenntnisse gewonnen werden. Angesichts der höchst fragilen Anklage ist nicht sicher, ob die Angeklagten ihren Taten gemäße Urteile bekommen, wenn der Prozess im Sommer 2015 endet.
Vor allem Dank des bis zum Sommer vergangenen Jahres tagenden Untersuchungsausschusses des Bundestages kann man Hintergründe und Zusammenhänge ahnen. Doch vor Gericht reicht das zu Recht nicht aus. Auch wenn man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, die zuständigen Ermittlungsbehörden folgten vielen Spuren und Hinweisen nicht mit der notwendigen Sorgfalt und Energie. Jetzt, da der politische Druck durch das geringer gewordene mediale Interesse nachgelassen hat, sieht man sich erst recht nicht mehr so in die Pflicht genommen.
Es ist in vielfacher Weise praktisch, wenn man der vorgegebenen Theorie vom NSU als abgeschottete dreiköpfige Terrorzelle folgt. So lässt sich auch am besten die staatliche Mitverantwortung an der rassistischen NSU-Mordserie kaschieren.
Der Prozess in München und die unter politischem Druck eingerichteten Pro-forma-Untersuchungsausschüsse in Hessen und Nordrheinwestfalen werden es nicht richten – auch wenn die jetzt neu zu wählenden Parlamentarier in Sachsen und Thüringen ihre NSU-Ausschüsse fortführen. Es bedarf neuer Impulses auf Bundesebene. »Jemand« muss die die Kanzlerin daran erinnern, dass sie ein Aufklärungsversprechen einzulösen hat. Doch auch Merkel und der Bundestag genießen die Sommerferien. Die Hoffnung, ab September werde alles anders, ist absurd.
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