Sprung in der Zeit

Eberhard Klöppel hat die deutsch-deutsche Grenze fotografiert - als es sie noch gab

  • Marlene Göring
  • Lesedauer: 3 Min.

Februar 1990: Fotograf Eberhard Klöppel und fünf seiner Kollegen machen sich auf den Weg in unbekanntes Land. Mitten in Europa liegt es, mitten durch Deutschland zieht es sich: Grenzland, von der Ostsee bis zum Thüringer Wald, No-Go-Area noch wenige Monate vorher. Sie wollen ihn festhalten, den Wall, der Deutschland jahrzehntelang geteilt hat - bevor er verschwunden ist.

»Grenzfälle« heißt die Ausstellung, die derzeit im Kulturhaus Karlshorst zu sehen ist. Für sie hat Eberhard Klöppel seine alten Bilder aus dem Archiv geholt, zum dritten Mal: 1990, 2009, 2014. Aus dem Auftrag für eine Bildreportage für die damaligen »Neue Berliner Illustrierte« ist ein Zeitdokument geworden.

Damals, bei der ersten Ausstellung in einer Berliner Galerie, blieb die kleine Sensation wegen der nie gesehenen Aufnahmen aus. Zu aufregend war der Mauerfall in der Hauptstadt, wo die Grenze so viel unmittelbarer zu sehen und zu spüren war. Bis heute prägen die Bilder vom Brandenburger Tor, vom Checkpoint Charlie, von der Sonnenallee die Erinnerung an die Wiedervereinigung. Aber: »Je länger es her ist, desto größer wird das Interesse an unseren Bildern von damals«, sagt Klöppel.

DDR-Bezirk Magdeburg: Das klingt nicht nach großen Abenteuern. Aber abenteuerlich muss es gewesen sein, als Klöppel ihn 1990 bereiste, mit dem Brocken und der Ebene um die heutige Landeshauptstadt - mit Sondergenehmigung, auf die er seit November im Jahr davor gewartet hatte. Die geheimen Spionageanlagen im Sperrgebiet waren da wohl schon abgetragen. Aber immer noch ragten Bauten in die Luft, merkwürdig fehl am Platz in der ländlichen Umgebung. Und Gefahr verheißend in der kahlen Winterdämmerung.

Klöppels Bilder haben diese merkwürdige Atmosphäre zwischen Drohung und Landschaftsidyll eingefangen. Eine Stacheldrahtrolle zieht sich direkt vom Auge des Betrachters bis zum Horizont. Eine Mauer geht mitten durch eine Landschaft, links und rechts von ihr sieht es genau gleich aus: Hügel und Wiese. Was wird hier eigentlich von was abgegrenzt, was gilt es, hier zu trennen?

Vielfältig ist sie, die Grenze, in Beton-, Stacheldraht- und Eisenform. 25 Jahre nach dem Mauerfall hat sich der Blick auf sie verändert. Nicht eindrucksvoll, fast widerwillig windet sich eine Beobachtungsbrücke eckig über die Bahntrasse. Der Überwachungsturm am Benneckenstein wirkt wie aus der Puppenstube, wie er sich in den Felsen schmiegt - nicht mehr als ein Baumhaus, zurückgelassen und vergessen, weil seine Erbauer erwachsen geworden sind. An vielen Orten sind die Maueranlagen schon Anfang 1990 nur noch halb erhalten: Die Grenze ist gefallen, jetzt verfällt sie.

Klöppels andere Arbeiten spielen sich in der Stadt ab: In der Schönhauser Allee, an der Greifswalder Straße. Ganz anders belebt als sie sind die Aufnahmen für »Grenzfälle«, das zum 20. Jubiläum des Mauerfalls auch als Bildband erschienen ist. Das Leben ist hier stehengeblieben, aus der Zeit gefallen - und hat trotzdem viel zu berichten. Umso mehr, da seine Spuren heute verschwunden sind, aufgegangen in Naturreservaten und Radwanderwegen.

Als Beobachter sieht sich Klöppel, ein Chronist seiner Zeit. Die Bilder zeigen einen Sprung in der Geschichte, halten den unwiederbringlichen Moment in ihr fest: Wo Gewesenes vorbei ist und das Neue noch nicht angekommen. Ein einsames Tor, dem der Zaun abhandengekommen ist. Soldaten vor Wohnwagen, mobilen Kontrollposten, die nichts mehr zu kontrollieren haben. Ein Grenzer weist per Hand den Autos den richtigen Weg. Er sieht nicht überzeugt aus, als zweifle er selbst an seiner Berechtigung, mitten auf der Fahrbahn zwischen Ladas und Volkswagen.

»Grenzfälle«, Ausstellung im Kulturhaus Karlshorst, Montag bis Samstag 11 bis 19, Sonntag 14 bis 18 Uhr. Finissage zum Tag des Mauerbaus am 13.8.2014, 19 Uhr, u.a. mit dem Künstler und einer Gesprächsrunde zu Mauerbau und Mauerfall.

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