Mehr Waffen sind noch keine Hilfe

Über ein friedenspolitisches Dilemma der Linken, den Vormarsch der IS-Miliz in Irak und Fragen, die keine einfache Antwort finden

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 4 Min.

Im Lichte der schrecklichen Meldungen aus dem Nordirak und anderen Teilen der seit Jahren von Kriegen und Konflikten erschütterten Region hat sich nun auch Linksfraktionschef Gregor Gysi für Waffenlieferungen an die Kurden ausgesprochen - die derzeit offenbar einzige Kraft neben den USA, die dem Vormarsch der IS-Terrormiliz und damit religiös verbrämtem Massenmord etwas entgegenzusetzen hat. Ohne die Kämpfer der Kurden würden vermutlich Tausende Angehörige von Minderheiten, würden Jesiden, Christen aber auch viele Muslime nicht mehr leben. Ist der Ruf nach Waffenlieferungen also gerechtfertigt?

Die Frage muss für eine Linke, vor allem eine Partei, in der friedenspolitische Positionen so zentral (und bisweilen so umstritten) sind, mehr als eine kleine Irritation sein. Und eine Antwort wird sich niemand leicht machen können - auch weil die Diskussion mehrere unterschiedliche Ebenen miteinander verknüpft: eine »programmatische«, in der es um Grundpositionen geht, und eine »menschliche«, die das Leid der Menschen in Nordirak nicht mit einem Hinweis auf bestehende und zu verteidigende Leitsätze zum Verschwinden bringen möchte; eine »historische«, die um die Entstehungsbedingungen und politisch-ökonomischen Hintergründe von Konflikten und Verbrechen gegen die Menschheit weiß, und eine »augenblickliche«, die nach Antworten sucht, wie menschliches Leid jetzt und sofort verhindert werden könnte.

Jesidische Tragödie im Nordirak

Im Nordirak spielt sich ein schrechlicke Tragödie ab. Nach einem Überraschungsangriff der Kämpfer vom Islamischen Staat (IS) sind jesidische Kurden in die Bergregion von Sindschar nahe der syrischen Grenze geflohen. Ihr Schicksal ist offen, Deutschland könnte helfen. Über die Frage, wie die Hilfe aussehen soll, ist eine Debatte ausgebrochen. Mehr

Erstens: Es erscheint im Augenblick hilflos, daran zu erinnern, wer, mit welchen Mitteln und mit welchen Zielen die Destabilisierung der Region vorangetrieben hat - der Ruf, die Ursachen für Kriege bekämpfen zu wollen, bleibt so richtig, wie er gegen das gegenwärtige Leid der Menschen im Halse stecken bleibt. Zweitens: Zwischen der schieren Notwendigkeit, den von Verfolgung und Tod bedrohten Menschen zu Hilfe zu kommen, und der begründeten Skepsis, eine jetzige, einmalige Entscheidung für militärische Lösungen werde dennoch auch schon Teil der (falschen) Antworten auf kommende Fragen sein, besteht ein unauflösbarer Nexus. Die Linkspartei diskutiert deshalb immer auch diese Frage mit: Wer einmal den Waffen das Wort redet, glaubt man dem noch, dass er die Sprache des Militärs eigentlich ablehnt?

Gysi hat sein Plädoyer für Waffenlieferungen an die Kurden zur Ausnahme erklärt und zudem noch unter eine Einschränkung gestellt - es sei »dann statthaft«, wenn andere Länder nicht unverzüglich zu einer solchen Militärhilfe bereit sind. Der Linksfraktionschef bewegt sich dabei an jene Grenze, an der angesichts von Verbrechen auch Linke nicht umhin kommen zu sagen, was nötig sein könnte, »um größeres Unheil zu verhindern«. Das ist das eine. Einige Politiker in der Linken haben schon länger eine Entscheidung über ein Ja zu militärischem Eingreifen im Einzelfall gefordert - Gysi hat diese praktisch und für sich getroffen.

Das andere aber ist, ob eine Lieferung von Waffen an »die Kurden« überhaupt etwas zu dem Ziel beitragen könnte, bedrohte Minderheiten in der Region wirksam und dauerhaft zu schützen. Hierzu gibt es begründete Zweifel - und Experten, die darauf hinweisen, Waffen seien schon genug vor Ort und die Kurden seien zudem Teil der innerirakischen Konflikte. Große Skepsis ist auch angebracht mit Blick auf die möglichen Folgen einer weiteren Aufrüstung der Region, die von kriegerischen Auseinandersetzungen ohnehin schon schwer gezeichnet ist. Schließlich: Gysis Argument, hier handele es sich um Landesverteidigung gegen den Angriff einer dschihadistischen Bande, überzeugt angesichts der realen »Nicht-Staatlichkeit« von zerfallenden Staaten wie Irak und Syrien wenig.

Was haben die verfolgten Minderheiten von meiner Skepsis? Mehr als ein Unbehagen bleibt. Realistisch betrachtet erscheinen derzeit nur die USA willens und in der Lage, militärisch wirklich etwas Entscheidendes gegen die IS-Milizen auszurichten. Das gelingt ihnen, wie das Verteidigungsministerium nun erklärt hat, bisher nur unzureichend. Der Vormarsch der Terrormiliz ist nicht gestoppt. Noch mehr Waffen, auch als Lieferung an die Kurden, die beim Schutz der verfolgten Minderheiten unbezweifelbar große Leistungen vollbracht haben, werden daran nichts ändern. Vor allem nicht, solange es an anderer Stelle keine Bewegung gibt: etwa bei den dringend notwendigen Anstrengungen, die Versorgung der IS-Miliz mit Waffen und Geld zu stoppen; etwa bei der Stabilisierung des Iraks, etwa in der Frage, wie der weiter anhaltende Syrienkonflikt bewältigt werden kann; etwa in Sachen Türkei, die als NATO-Mitglied eine verheerende Rolle spielt, etwa mit Blick auf die internationale Gemeinschaft, die eigentlich und völkerrechtlich legitimiert die Hilfe für die Verfolgten und die Abwehr der barbarischen IS-Miliz leisten müsste.

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