Die »Glienicker Brücke« der U-Bahn

Berlin war einst auch im Untergrund geteilt - trotzdem gelang manchem die Flucht

  • Bernd Kammer
  • Lesedauer: 3 Min.
Auch unter der Erde gab es eine Grenze. Ein alter U-Bahn-Tunnel erzählt darüber eine eigene Geschichte.
Hier ging's nach Westen – der alte Verbindungstunnel zwischen der U5 und der U8.
Hier ging's nach Westen – der alte Verbindungstunnel zwischen der U5 und der U8.

Von der Mauer ist in Berlin nicht mehr viel zu sehen. An der East Side Gallery wird sie von Hochhäusern zum Gartenzaun degradiert, woanders musste sie gänzlich weichen. Dass es auch im Untergrund eine Art »antifaschistischen Schutzwall« gab, merkt man zum Glück überhaupt nicht mehr. Es sei denn, man schließt sich einer Wanderung von Joachim Gorell und Harald Kaser von der BVG an, die am gestrigen Mittwoch zu den Spuren der Teilung im U-Bahn-Netz führten.

Gedenken an die Opfer der Mauer

In Berlin ist am 53. Jahrestag des Mauerbaus an die Opfer der deutschen Teilung erinnert worden. Am Mahnmal der zentralen Mauer-Gedenkstätte legte Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) am Mittwoch einen Kranz nieder. Politiker verschiedener Parteien mahnten, Freiheit und Demokratie immer wieder neu zu verteidigen.

Am 13. August 1961 hatte die SED-Führung unter Walter Ulbricht mit dem Bau der Mauer begonnen. Das rund 155 Kilometer lange Bollwerk zerschnitt Berlin mehr als 28 Jahre. Die Teilung endete erst mit dem Fall der Mauer am 9. November 1989.

Wowereit erklärte, die Erinnerung an den Mauerbau und die Opfer sei eine Zukunftsaufgabe. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen starben an der Berliner Mauer mindestens 138 Menschen. Die Zahl der Opfer an der gesamten innerdeutschen Grenze steht noch nicht fest. dpa/nd

 

Ausgangspunkt ist der Bahnsteig der U 5 am U-Bahnhof Alexanderplatz. Fahrgäste, die auf die U 5 Richtung Hönow warten, schauen oft ungeduldig in den Tunnel, wo der Zug denn nun bleibt. Derzeit ist die U-Bahn-Linie hier zu Ende, erst ab 2019 sollen die Bahnen weiter zum Hauptbahnhof fahren. Jetzt gibt es hier nur noch die in den 30er Jahren errichtete Abstell- und Kehranlage für die U 5, die bis zum Roten Rathaus reicht. Eine abgeschottete Welt, über die die beiden BVG-Mitarbeiter einige Geschichten zu erzählen wissen.

Zum Beispiel von der einzigen Flucht durch einen U-Bahn-Tunnel. Mit dem Mauerbau wurden bekanntlich auch die Verkehrsverbindungen zwischen Ost und West gekappt. Die U-Bahn-Linien 6 und 8 wurden zu Transitlinien, ohne Halt (Ausnahme Bahnhof Friedrichstraße) rauschten die Bahnen von West- nach Westberlin durch den Ost-Untergrund. Rosenthaler Platz, Jannowitzbrücke, Brandenburger Tor oder Französische Straße wurden zu Geisterbahnhöfen. »Auf ihnen patrouillierten Grenzsoldaten und Transportpolizisten«, sagt Gorell. Die Bahnhöfe durften die von der Westberliner BVG betriebenen U-Bahnen nur mit Tempo 25 durchfahren, auf der Strecke galt maximal Tempo 50.

In der Nacht des 8. März 1980 nutzte ein Stellwerker der Ostberliner BVB seine Streckenkenntnisse, um mit seiner Familie in den Westteil zu flüchten. Schauplatz ist der sogenannte Waisentunnel, eine einsame U-Bahn-Röhre unterhalb der Litten- und Waisenstraße, die vor dem Ersten Weltkrieg als Teil einer Linie vom Alex nach Treptow geplant wurde. Nach dem Weltkrieg wurde sie nicht weitergebaut und dafür die U 8 errichtet. Heute verbindet die Röhre die U-5-Kehranlage mit der U 8 und dient der BVG für Überführungsfahrten. Der Ostberliner BVB-Mitarbeiter lief durch den Tunnel Richtung U 8, doch kurz davor stieß er auf eine Stahlplatte, die den Tunnel komplett verschloss. »Das war das Fluttor, das den Tunnel, der kurz dahinter unter der Spree verläuft, bei einer Havarie vor eindringendem Wasser schützen sollte«, erklärt Gorell. Der Mann sei über eine Leiter in den darüber liegenden Raum geklettert, in dem sich die Technik für das Tor befand. »Dort konnte er es hochkurbeln.« Dann sei er weiter gelaufen, und durch einen Notausstieg nahe der heutigen chinesischen Botschaft konnte er seinen Cousin und seine Familie in den Tunnel lotsen. Ein paar Meter weiter mündet dieser in die U 8. Mit einer roten Signallampe stoppt er einen Zug, die Vier steigen in die Fahrerkabine. An den Boden gepresst, passieren sie den Bahnhof Heinrich-Heine-Straße mit seiner Besatzung, danach ist die Familie in Kreuzberg. Erst 20 Jahre später machte der Stellwerker, der heute noch bei der BVG arbeitet, seine Geschichte öffentlich.

Bei seiner waghalsigen Flucht hatte der Mann einiges Glück: Vor dem Fluttor gab es lange Zeit einen Posten der Grenztruppen, der aber Anfang der 80er Jahre schon abgezogen war. »Die konnten sich wohl nicht vorstellen, dass hier einer abhauen kann«, meint Gorell. Schon einmal hatte der Tunnel eine besondere Rolle gespielt, als in den 70er Jahren die DDR Wagen der Westberliner U-Bahn für die Ostberliner Linie 5 kaufte. Über diesen alten Verbindungstunnel wurden sie überführt. Er war die einzige Schnittstelle zwischen den beiden U-Bahn-Netzen, gewissermaßen »die Glienicker Brücke der U-Bahn«, wie es BVG-Sprecher Markus Falkner nennt.

Die Schnittstelle ist längst wieder einem Gesamtnetz gewichen. Schon am 11. November 1989 hielt die U 8 wieder an der Jannowitzbrücke, einen Monat später am Rosenthaler Platz.

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