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Die verlorene Zwillingsschwester

Janice Steinberg erzählt in »Blechmenagerie« eine jüdische Familiengeschichte vor dem Hintergrund Kaliforniens

  • Lilian-Astrid Geese
  • Lesedauer: 3 Min.

Drei Jahre nach dem Tod ihres Mannes Paul beschließt die mittlerweile achtzigjährige Elaine Greenstein Resnick, ihre Wohnung aufzugeben und in eine Seniorenresidenz zu ziehen. Nach jahrelanger Tätigkeit als Rechtsanwältin und Menschenrechtsaktivistin haben sich nicht wenige Dokumente und Erinnerungsstücke angesammelt, die sie der Gesellschaft für jüdische Geschichte vermachen will.

Ihre Kindheit und Jugend verbrachte Elaine in Boyle Heights, dem jüdischen Viertel von Los Angeles, in dem sich in den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts viele vor den antisemitischen Pogromen geflohenen Emigranten aus Osteuropa niederließen. Elaines Vater und Großvater kamen aus der Ukraine, die Mutter ist eine gebürtige Rumänin. Zusammen mit ihrem Zwilling Barbara und den nachgeborenen Schwestern Audrey und Harriett erlebt Elaine dort die Jahre der Hoffnung - für Vater und Großvater ist Amerika »das gelobte Land« -, bald aber auch die Auswirkungen der (Welt)-Kriege, das Aufkommen der zionistischen Bewegung und die Energie der Jugend, für die bald Palästina zum »gelobten Land« wird, die erste Liebe, die Dilemmata der Assimilation, der Zusammenbruch der Weltwirtschaft, individuelle Erfolge und Enttäuschungen.

Vor allem aber erleidet sie den Verlust ihrer 17 Minuten älteren Schwester, die als Achtzehnjährige verschwindet und nie wieder von sich hören lässt. Elaine liebte sie sehr, doch sie sah sich immer in ihrem Schatten - bei Danny, dem ersten Jungen, dem sie ihr Herz schenkte, und der doch Barbaras Freund wurde, im Tanzkurs, in dem ihre Schwester der Star war, bei der Mutter, die eine so viel engere Bindung zu ihrer ältesten Tochter aufbaute, als zur braven, fleißigen Zweiten ...

Vielleicht ist das der Grund, warum Elaine sich erst ganz am Ende ihres Lebens auf die Suche nach Barbara macht, die, so scheint es, auf einer Farm in Wyoming eine neue Identität und Heimat gefunden hat.

Janice Steinberg, Kunstkritikerin und Kriminalromanautorin aus San Diego, offeriert in ihrem ersten in deutscher Übersetzung erschienenen Buch eine Familiengeschichte, eingebettet in sympathische Beschreibungen des an die kalifornische Pazifikküste verpflanzten jüdischen Schtetls in den 1920er bis 1950er Jahren. Vermutlich war es dort weitaus weniger idyllisch, als die literarische Distanz suggeriert. Doch Steinberg erzählt detailliert genug, um einen Eindruck von jener Zeit zu vermitteln.

Wie in vielen jüdischen Diasporaromanen bezaubern vor allem die starken Frauen, die die Handlung tragen und vorantreiben: Tante Pearl, die sich zum Entsetzen der Mischpoke mit einem Mexikaner einlässt; Tante Sonya, die als wohlsituierte Unternehmergattin bereits in der amerikanischen Bourgeoisie angekommen ist; Elaines Mutter, die mit zwölf Jahren aus der rumänischen Heimat floh, weil sie nicht akzeptieren wollte, dass der amerikanische Traum nur ein männlicher sein soll, und schließlich Barbara, die diesen Traum in der nächsten Generation für sich weiter träumt. Vielleicht ist sie in ihrer Radikalität das Alter Ego der nur leise aufmuckenden Elaine.

»Blechmenagerie« ist kein politischer Roman, doch feine Unterhaltung - insbesondere für die Fans von Schwesterngeschichten.

Janice Steinberg: Blechmenagerie. Aus dem Amerikanischen von Edith Beleites. Eichborn Verlag. 460 S., geb., 19,99 €.

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