Begehrt in der weiten Welt

Malimo und Mauersberger - eine echte DDR-Innovation und ihr Erfinder

  • Jörg Roesler
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Nachricht ließ nicht nur die Fachwelt aufhorchen. Sie stieß auf Widerhall auch in der DDR-Führung. Die Firma Crompton & Knowles aus Worcester, einer Industriestadt im Staate Massachusetts/USA, hatte ein DDR-Patent übernommen. Die Firma erwarb das Recht, Maschinen der Malimo-Technologie in den USA zu produzieren und zu vertreiben. Zu diesem Zweck wurde eigens die Crompton & Knowles Malimo Corporation gegründet. Es handelte sich um die erste Lizenzannahme eines amerikanischen Unternehmens in der immer noch um ihre internationale Anerkennung ringenden DDR. Erstaunen rief auch hervor, dass es sich nicht um das Verfahren zur Herstellung einer bestimmten Werkzeugmaschine handelte, sondern um ein in der DDR-Öffentlichkeit damals kaum bekanntes Produktionsmittel - eine Nähwirkmaschine.

Für den Erfinder der Malimo-Technologie, Heinrich Mauersberger, bedeutete die US-Patentnahme - der noch im gleichen Jahr der Auftrag für die vollständige Ausrüstung eines Betriebes in Indien folgte, der »Madhu Malimo Textile Industries« - den letztlich erfolgreichen Abschluss eines zwölf Jahre andauernden Kampfes um die Durchsetzung seiner Erfindung im Textilmaschinenbau der DDR. Der 1909 geborene Maschinenstricker aus dem sächsischen Limbach-Oberfrohna hatte im Februar 1949 - als an die Gründung der DDR noch nicht zu denken war - ein Patent für ein Verfahren zur Herstellung von Textilien angemeldet, das es so bisher nicht gab, da es sich weder um ein Web- noch um ein Wirk- oder Walkverfahren handelte. Für die Benennung seiner Erfindung hatte Mauersberger die jeweils ersten Buchstaben seines Namens und seines Wohnortes ausgewählt.

Doch mit der Anwendung der Malimo-Technologie ging es nicht so recht voran. Die nach des Erfinders Angaben konstruierten Mustermaschinen wiesen Mängel auf. Mauersberger, besessen von der Idee, sein im Vergleich mit dem Weben produktiveres Verfahren durchzusetzen, stieß auf das Misstrauen von Textilforschern und Unternehmen, staatlichen wie privaten. Erst zehn Jahre nach der Patentanmeldung konnte eine Maschine vom Typ Malimo im VEB Tüllmaschinenbau in Chemnitz die reguläre Produktion aufnehmen. In der Textilindustrie wurde weiter behauptet, Malimo sei ein Materialfresser. Das war in der DDR, die zum beträchtlichen Teil auf dem Import der Ausgangsstoffe für ihre Textilindustrie angewiesen war, ein schwerwiegendes Argument. Die Textilbetriebe lehnten Verträge mit dem VEB Tüllmaschinenbau zur Anschaffung von Malimo-Maschinen überwiegend ab. Die Jahresproduktion musste 1960 von 38 auf 35 Stück herabgesetzt werden.

Mauersberger verzweifelte. Er erlitt mehrere Nervenzusammenbrüche. Doch er gab nicht auf. 1961 kam eine verbesserte Malimo-Maschine, das Modell 14.002, auf die Leipziger Frühjahrsmesse. Erich Apel, damals Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses der Volkskammer, der im Juli 1961 zum Kandidaten des SED-Politbüros aufrückte, engagierte sich in der Führungsetage dafür, dass es nicht allein Mauersberger und dem ihn unterstützenden Direktor des VEB Tüllmaschinen überlassen blieb, sich mit der neuen Textiltechnologie durchzusetzen. Vor den Mitgliedern einer vom Ministerrat beauftragten Arbeitsgruppe gelang es Mauersberger in Anwesenheit von dazu geladenen Vertretern der Textilindustrie, die Vorzüge der Nähwirktechnik zu demonstrieren. Mit Blick auf das florierende Auslandsgeschäft wurde noch 1962 der Warenzeichenverband »Malimo« gegründet. Der Auslandsabsatz stabilisierte sich in den nächsten drei Jahrzehnten bei etwa 30 Maschinen. Bedeutendster Importeur von Malimomaschinen wurde Italien, gefolgt von Großbritannien, den USA, Frankreich, der Bundesrepublik und Japan.

Auch die Presse wurde in die nun einsetzende Pro-Malimo-Kampagne eingeschaltet. »Grünes Licht für Malimo. Moderne Textiltechnologien im Widerstreit mit Konservatismus. Auf der Spur eines Regierungsbeschlusses« übertitelte das Zentralorgan »Neues Deutschland« am 10. Oktober 1962 den Bericht seines Wirtschaftsjournalisten. Mauersberger erhielt auch erstmals Gelegenheit, in der Fachzeitschrift »Textil-Praxis« auf die Vorwürfe seiner Gegner zu antworten. Er tat das überzeugend, indem er mit Fakten und Zahlen die Materialfresser-Argumente der Widersacher zerpflückte. Der engagierte Erfinder passte in die Aufbruchstimmung der im Juni 1963 verkündeten DDR-Wirtschaftsreform. Er wurde zum Jahrestag der DDR am 7. Oktober 1963 als »Held der Arbeit« ausgezeichnet. Am 14. Oktober verlieh ihm die Stadt Limbach-Oberfrohna die Ehrenbürgerschaft. Dem VEB Tüllmaschinen in Karl-Marx-Stadt, Anfang 1963 in VEB Nähwirkmaschinenbau Malimo umbenannt, wurden im Laufe der Jahre drei sächsische Betriebe zugeordnet. Die vier bildeten den VEB Malitex.

Zufrieden war Mauersberger allerdings auch jetzt nicht. Der Inlandsabsatz der Nähwirkmaschinen blieb weiterhin schleppend. Die Auslastung der Produktionsanlagen belief sich 1964 erst auf 45 Prozent. Hinzu kam: Der Kampf um die Nutzbarmachung seiner Erfindung hatte ihn gesundheitlich geschwächt. 1966, noch vor Erreichen des Rentenalters, gab er seine Stellung als Entwicklungsingenieur bei der VVB Textima Karl-Marx-Stadt, die er seit 1949 innehatte, auf. Als selbstständiger Ingenieur geltend, blieb er aber ehrenamtlich für Malimo tätig.

In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre stieg der Absatz von Malimomaschinen in der DDR nur langsam. Der Sprung in eine neue Dimension vollzog sich erst ab 1971. Mitte der 80er Jahre produzierten fast 100 Textilbetriebe der DDR Malimo-Erzeugnisse. Mauersberger hat den späten Sieg der Malimotechnologie in der DDR noch erlebt. Er starb 1982 in Bestensee bei Berlin, wohin er 1967 mit seiner Frau gezogen war.

Seinem geistigen Erbe, den Malimobetrieben in der DDR, hätte man 1990, als die DDR-Industrie durch die Währungsunion abrupt dem bundesdeutschen und dem Weltmarkt geöffnet wurde, eigentlich bessere Chancen eingeräumt als anderen Zweigen der DDR-Industrie. Als einzige Branche hatte der Nähwirkmaschinenbau von Anfang an eine internationale Dimension gehabt. Doch es kam anders. Die Treuhandanstalt, die den VEB Malitex im Juli 1990 übernahm, liquidierte den Hauptbetrieb, für den sich angeblich kein Käufer gefunden hatte, im April 1995. Der Warenzeichenverband Malimo musste seine Tätigkeit Mitte 1992 einstellen, als von den Betrieben, die ihn getragen hatten, keine Mitgliedsbeiträge mehr eingingen. Besser erging es dem ehemaligen VEB Tüllmaschinenbau, der zum Ende der DDR als VEB Textimaprojekt Malimo Nähwirkmaschinen produzierte. Der auf 174 Mitarbeiter geschrumpfte Treuhandbetrieb Nr. 1125 wurde 1992 von einem weltweit agierenden hessischen Unternehmen, der Karl-Mayer-Textilmaschinenfabrik GmbH Obertshausen, mit der Absicht gekauft, in Chemnitz zu investieren, um weiterhin Malimomaschinen herzustellen. Produziert werden seit 1997 in der Malimo Textilmaschinenfabrik GmbH in Chemnitz an neuem Standort, in der Mauersberger Straße, vor allem Maschinen zur Herstellung technischer Textilien.

Prof. Roesler, Wirtschaftshistoriker, ist Mitglied der Leibniz-Sozietät.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Mehr aus: