Begegnungen, die zu Geschichten werden

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Fußball schreibt Geschichten. Und damit meine ich nicht nur Traumtore, Meister- und sonstige Titel, tränenreiche Auf- und Abstiege oder sogar finanzielle Untergänge ganzer Vereine. Manchmal ist nicht ein Spieler oder der Trainer Mensch des Abends. Es kann auch einfach ein Gast unter Tausenden Stadionbesuchern sein, dessen Beisein mehr als eine Randnotiz ist.
Begegnungen, die zu Geschichten werden

Im dritten Beitrag dieses Blogs sollte es endlich einmal um einen Fußballspieler gehen. Um einen jener, die sich 90 Minuten die Lunge aus dem Hals rennen, um am Ende mit dem eigenen Team mindestens ein Tor mehr als die gegnerische Mannschaft erzielt zu haben. Beim Gastspiel der TSG Neustrelitz im Karl-Liebknecht-Stadion am Freitagabend war die Wahl schnell getroffen. Christian Schönwälder, der neue Kapitän der Nulldreier, sollte bei seinem zweiten Heimspiel in Babelsberg auf alte Bekannte treffen. Nur ein paar Wochen zuvor feierte der 27-Jährige in Mecklenburg den Staffelsieg in der Regionalliga. Fünf Jahre spielte Schönwälder insgesamt in Neustrelitz. Da wäre es doch spannend, zu erfahren, welche Gefühle in ihm aufkommen, wenn er nun, in einem neuen blau-weißen Dress, gegen seine Exkollegen und deren mitgereiste rund 50 Fans aufläuft.

Besondere Aufregung war Schönwälder aber nicht anzumerken. Konzentriert und selbstbewusst hielt der Abwehrchef die gegnerischen Offensivspieler in Schach und versuchte, Angriffe der Nulldreier einzuleiten. Über seine langen Pässe quer übers Feld erfreuten sich die Babelsberg-Anhänger schon in den vorigen Partien. Als Innenverteidiger zeigte Schönwälder aber auch klare Kante, wenn es in Zweikämpfe ging. Immer wieder rief er seinen Mitspielern zu, wohin sie sich bewegen sollten. Er gab Kommandos, motivierte seine Kollegen aber auch mit Anfeuerungen und Beifall. Bei Ecken, von denen es an diesem Abend erstaunlich viele gab, war Schönwälder besonders gefordert. Hinten hieß es, torgefährliche Hereingaben zu entschärfen. Vorn wollte der gebürtige Berliner bei derlei Standards selbst den Ball in die Maschen köpfen. Das gelang jedoch nicht, so viel sei zur Torstatistik des Abends schon verraten.

Nichtsdestotrotz hat sich Schönwälder dafür, wie er auch an diesem Abend Verantwortung übernommen hat, für seine faire Spielweise und nicht zuletzt seinen Einsatz einen Bericht zu seiner Person verdient. Die Fotos für diese Geschichte waren schon im Kästchen. Dann kam jedoch etwas dazwischen, das es mir unmöglich machte, diesen Beitrag nur Christian Schönwälder zu widmen.

Die Tribüne des »Karli« ist leider oft schlecht besucht – auch diesmal war sie gerade mal halb gefüllt. Quantität sagt aber auch hier nichts über die Qualität der Gäste aus. Nicht im Kader des Abends stehende Spieler oder der ein oder andere ehemalige Aktive sind hier regelmäßig anzutreffen. Besonders gern gesehen ist etwa Süleyman Koc, der es innerhalb eines Jahres von der vierten in die 1. Bundesliga geschafft hat. Und an Abenden wie dem gestrigen kann einem sogar ein richtiger Fußballpromi über den Weg laufen.

Gemeint ist nicht Ulf Kirsten, der hier schon seinem bei der SG Dynamo Dresden das Tor bewachenden Sohn zusah. Es geht um einen Menschen, der für den Profifußball mehr geleistet hat, als Tore zu schießen und Titel zu holen. Schon als er die Treppe zur Tribüne hinaufstieg, schauten sich einige erstaunt um. In der Halbzeit ließ der Stadionsprecher in einer seiner charmant berlinerisch-brandenburgerischen Ansage alle wissen, dass Thomas Hitzlsperger im »Karli« war. Und das nicht ganz zufällig. »Er macht gerade ein Praktikum bei 11 Freunde, da habe ich ihn einfach mal mitgebracht«, klärt Katharina Dahme die Situation auf. Sie ist bei dem Fußballmagazin tätig und Mitglied des Aufsichtsrats des SV Babelsberg 03. Von ihr stammt auch das T-Shirt, das der ehemalige Nationalspieler und Deutsche Meister Hitzlsperger an diesem Abend trägt.

Vielen Babelsbergern kommt das Motiv mit dem Slogan »Nulldrei gegen Homophobie« bekannt vor – er ziert seit fast zwei Jahren eine Stadionbande direkt unter der Nordkurve. Hitzlsperger selbst ist stolz, nun dieses T-Shirt-Unikat – nicht einmal in der Fanszene von Nulldrei ist bisher solch ein Nicki gemacht worden – zu tragen. Dass er, ein ehemaliger Profi, dies tut, ist eine Besonderheit. Leider immer noch. Denn Homophobie ist im Fußball weit verbreitet, sei es auf dem Platz oder auf den Rängen. Nulldrei hat hierzu in Zusammenarbeit mit der Kampagne Fußballfans gegen Homophobie ein klares Zeichen gesetzt. Und erntet nun auch mit Besuchen wie solchen von Hitzlsperger eine Art Erfolg für sich, aber vor allem für die Sache. Denn das Besondere am Gast Hitzlsperger ist – egal ob in Talkshows, als Experte in der TV-Berichterstattung oder eben als Stadionbesucher –, dass er der erste deutsche Exprofi ist, der sich geoutet hat. Und damit einen großen Schritt gemacht hat – gegen Diskriminierung im Fußball.

Jetzt und hier aber ist er einfach einer von 2000, die sich ein Tor der Nulldreier wünschen. »Es ist ein enges Spiel. Wenn eine der beiden Mannschaften ein Tor macht, ist es vorbei«, sagte mir Hitzlsperger Mitte der zweiten Hälfte, in der es immer noch 0:0 stand. Und ergänzt: »Ich hoffe, dass Babelsberg das Tor macht«, bevor er aufspringt, weil die Nulldreier nach einigen Minuten Powerplay der Neustrelitzer auch mal wieder zu einer Großchance kamen. Die vergaben sie jedoch. Erst in der 89. Minute erlöste Rafael Makangu die Babelsberg-Fans. Am Ende hieß es gegen den amtierenden Meister 1:0. Die Stimmung war nun noch gelöster als vor zwei Wochen beim Sieg gegen den BAK.

Diesmal zähle auch ich mich zu den Gewinnern. Nicht wegen der drei Punkte, sondern wegen einer besonderen Begegnung am Rande des Spiels. Und dabei tat Hitzlsperger dasselbe wie die meisten anderen an diesem Abend. Er schaute einfach Fußball. Als ich ihm erzählte, dass sich dieser Blog mit kleinen, aber umso bezeichnenderen Geschichten rund um Fußball beschäftigen soll, antwortete er: »Jetzt haben Sie ja eine gefunden.«

Christian Schönwälder
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