Der freie Weg

Potsdam zeigt eine Privatsammlung: «Expressiv, konstruktiv, phantastisch» - Kunst in der DDR

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 5 Min.

Privatsammlungen haben es an sich, dass ihre Besitzer vornehmlich dem eigenen Geschmack und Interesse folgen. Diese wollen inmitten von Kunstwerken leben und arbeiten und in den meisten Fällen anonym bleiben. Bei dem Potsdamer Sammlerehepaar Saskia und Andreas Hüneke ist es anders, sie sind Kunsthistoriker, haben einen professionellen Blick auf die Werke, die sie erworben haben oder die ihnen von den Künstlern für ihr Engagement übereignet wurden. Aber auch sie haben eine eigene subjektive Neigung für bestimmte Personalstile und Richtungen, und so, wie sie diese Kunst erlebt haben, spiegelt sich dieses Erlebnis auch in ihrer Sammlung wider. «Was uns interessierte, war immer der phantasievoll verpackte, auf der zweiten Ebene sich mitteilende, in der Form freie Weg» der Kunst in der DDR. Nicht die offiziell gewünschten Bilder in ihrer detailgenauen «realistischen» Darstellungsweise, sondern die expressive Gegenständlichkeit und die phantastischen Formspiele, die informellen und konstruktiven Werke lagen ihnen am Herzen.

Im Zentrum der Ausstellung ihrer erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Sammlung stehen neben den Altmeistern Kurt Bunge, Charles Crodel, Albert Ebert, Hermann Glöckner, Wilhelm Höpfner, Carl Marx, Karl Müller, Otto Niemeyer-Holstein, Max Schwimmer, Helmut Schmidt-Kirstein und Herbert Wegehaupt Künstler der jüngeren Generation, die mit ungewöhnlichen bildnerischen Erfindungen hervortraten, die «Grenzüberschreitungen» wagten, so die damaligen Leipziger Lutz Dammbeck, Hans-Hendrik Grimmling, Günter Firit, Frieder Heinze, Günther Huniat, Gil Schlesinger, Olaf Wegewitz, die Hallenser Lutz Gaedicke, Wassja Götze, Karl Rödel, Fotis Zaprasis einschließlich der Magdeburger Jochen Aue und Heinrich Apel, die Künstler der Produzentengalerie «Clara Mosch» (Michael Morgner, Thomas Ranft, Dagmar Ranft-Schinke, Gregor Torsten Schade bzw. Gregor Torsten Kozik, auch Klaus Süß) in Karl-Max-Stadt (heute Chemnitz), die Dresdner Hartmut Bonk, Klaus Dennhardt, Andreas Dress, Günther Hornig, Peter Makolies, Sigrid Noack und die Potsdamer bzw. Berliner Horst Bartnig, Manfred Butzmann, Herbert Enke, Wieland Förster, Friedrich B. Henkel, Bernd Krenkel, Harry Mohr, Hartmut Sörgel oder Werner Stötzer. Viele von ihnen haben seinerzeit die DDR verlassen oder sich ihre Refugien außerhalb der Großstädte gesucht.

Kurt Bunges «Am Strand» (um 1955) ist, fern aller Erregung und Spannung, Ausdruck der Sehnsucht nach Stille, Harmonie und Schönheit. Jochen Aue («Winterlandschaft II», 1964) gibt eine Poesie der Genauigkeit, hart und präzise stehen die Linien zueinander, oft ohne jeglichen Ton; sie kennzeichnen das Konstruktive in der Natur. Dagegen ergießt sich bei Hubert Globisch («Werder Alte Mühle II», o.J.) die Farbe wie ein Lavastrom über den dynamisierten Bildraum. In Albert Eberts «Badenden» (o.J.) sind kunstvolle Valeurs in erdigen Farben mit Brauntönen und sanften Grüns zauberisch verwirklicht. Gelöst vom Gegenständlichen, setzt Hermann Glöckner das geometrische Gerüst der Malerei in «absoluter Reinheit» ein. Die geometrischen Formen erregen hier den optischen Eindruck räumlicher Schwingungen («Keil», o.J.; «Vierfache Form», 1980.).

Der Leipziger Günther Huniat wandte sich einer Kunst zu, die mit dem Unbewusstsein korrespondiert und das Spiel als schöpferisches Moment einbezog. Seine Figuren («Endlos rinnender Himmel Glanz», 1971; «Diptychon», «Trösteline», «Freudig überrascht», alle 1972) weisen archaisierende Formen auf, die er auch in Stein geschlagen hat («Metamorphisch», o.J., Kalkstein). Hans Hendrik Grimmling offenbart mit explosiven Bildchiffren Ausbrüche ungebändigten Temperaments («Verschränkt», 1985), während Gil Schlesinger mit bis dahin unüblichen Werkstoffen neue bildnerische Möglichkeiten intuitiver Abstraktion erprobt («Air India», 1981). Spielerisch-provokativ persifliert Frieder Heinze den fehlenden «Durchblick» (1987). Olaf Wegewitz setzt unterbrochene geometrische Streifen in neue geheimnisvolle Zusammenhänge («Unterbrechung», 1980), während er in «Haus auf Hiddensee» (1981) auf die informelle Farbbehandlung der Flächen ein mit gespannten Drähten angedeutetes konstruktives Gerüst legt. Der Grieche Fotis Zaprasis wiederum, der bis zu seinem Tode in Halle gelebt hat, schafft mit klar strukturierten Flächen, kontrastreichen Farben, Metaphern und Symbolen eine surreal anmutende Bildwelt («Wo ist Licht!», 1989).

Der Chemnitzer Grafiker Thomas Ranft führt uns in imaginäre Welten, seine Phantasien zwischen Traum und Wissenschaft sind Meta-Realität eines erdachten Mikrokosmos («Landschaftsmetamorphosen», 1975). Ihre surreale Phantastik bannt Dagmar Ranft-Schinke in filigrane grafische Binnenzeichnungen, so wenn sie in «Karneval mit Drosophila» (1981) das massenhafte Auftreten von winzigen Taufliegen als Störfaktor für den «Karneval der Gesellschaft» allegorisiert. Von ungegenständlicher Suggestion und spiritueller Energie ist Gregor Torsten Schades (Kozik) Radierung «Bewegung» (1976). Michael Morgner bringt psychosoziale Mentalität emblematisch ins Bild: Eine Figur muss aufrechten Ganges durch die Dunkelheit wandern, um sich selbst zu erkennen («Der Sechself hurtelt», 1982). Einer expressiv-archaischen Bildsprache bedient sich Klaus Süß, er hat den «Brücke»-Künstler Karl Schmidt-Rottluff wiederentdeckt («Mann mit Einglas», 1987).

Bei dem damaligen Dresdner Hartmut Bonk überlagern die Farbräume die strenge Tektonik, um sich der alternativen Vision unendlich fließender Räume zu öffnen («Farbkomposition», 1977). Mit dem Klangraum der Musik spielt Klaus Dennhardt («Zu Bartoks »Mikrokosmos« I, 1981), das rhythmische System Bartoks kennt weder das Maß des Taktes noch der Zeit. Günther Hornig setzt in seinen Collagen geometrische Strukturen übereinander und lässt eine faszinierende Räumlichkeit von funkelnden Koordinaten entstehen (o. T., 1971).

Die Sammlung, frei vom Zwang der Ausgewogenheit, schließt Skulpturen, Keramik ebenso ein wie Künstlerbücher, originalgrafische Kataloge und Faltblätter, Ausstellungsplakate, Einladungskarten und Neujahrsgrafiken, jene kleine grafische Kunstwerke, denen in Zeiten digitaler Informationsübermittlung ein besonderer intimer Wert zukommt. Es ist das Geheimnisvolle, nicht auf den ersten Blick Erfassbare, das als ästhetischer Ausdruck und als Motiv vielen Werken dieser Ausstellung eignet. Ein Kunstwerk, das etwas zu verbergen scheint, das nur Andeutungen gibt, fordert einen immer wieder heraus und erschöpft sich nie.

Expressiv, konstruktiv, phantastisch. Ostdeutsche Kunst 1945 bis 1990 aus einer Privatsammlung. Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam, Kutschstall, Am Neuen Markt 9, Di-Do 10-17 Uhr, Fr-So 10-18 Uhr, bis 5. Oktober. Katalog.

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