Mit Hoffnung übers Meer nach Berlin gekommen
Der Senat lässt neu angekommene Flüchtlinge in Schulen und Sporthallen unterbringen
28 Tage war Mona mit ihrem Mann Ihab und ihrem Sohn Mohammad unterwegs. Mehr als 5000 Kilometer haben sie mit dem Schiff, Bus, Flugzeug, der Bahn, schwimmend im Meer und zu Fuß zurück gelegt. Begleitet von der wahnsinnigen Angst, die Reise nicht zu überleben, dass der Hausverkauf, die Schulden, die 17 000 Euro die sie an Schlepper gezahlt haben, das alles umsonst war. Die junge Frau streicht mit einer Hand über ihren Bauch, mit der anderen zupft sie ihr Kopftuch zurecht, sie ist hochschwanger. Gemeinsam mit ihrem Mann Ihab wartet sie vor der zentralen Aufnahmestelle für Flüchtlinge in Berlin Moabit darauf, einen Asylantrag stellen zu dürfen und eine Unterkunft zugewiesen zu bekommen.
Dass die Behörde seit Mittwoch letzter Woche kurzfristig geschlossen hatte, davon haben Mona und Ihab nichts mitbekommen, sie sind erst seit zwei Tagen in Berlin, das Wochenende konnten sie bei Verwandten unterkommen. »Wir haben nicht wegen dem Antragsstrom schließen müssen, sondern wegen Personalmangels und fehlenden Unterbringungsplätzen «, erklärt Sozialsenator Mario Czaja (CDU) am Montag auf einer Pressekonferenz im Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo). »In den drei Tagen haben wir bereits 500 neue Unterbringungsplätze in vier Bezirken schaffen können und zwanzig zusätzliche Mitarbeiter eingestellt«, so Czaja.
Die neuen Unterbringungsplätze seien Turnhallen, Schulen und zusätzliche Kapazitäten in bereits bestehenden Standorten. Nachdem die Zahl der Flüchtlinge im Juli mit 1047 Erstanträgen in Berlin die Prognosen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit monatlich maximal 800 bis 900 Anträgen bereits überschritten hatte, konnte das Amt den Aufwand der Anträge, die nach den ersten beiden Septembertagen bereits bei über 200 Asylanträgen lag, nicht mehr meistern und machte kurzerhand zu. »Die Flüchtlinge, die vor verschlossenen Türen standen, mussten nicht auf der Straße schlafen, etwa 100 konnten wir in Notunterkünften unterbringen«, so Czaja, der darauf verweist, das auch jede Polizeistelle bei der Suche nach einer Notunterkunft behilflich sei.
Vor der Eingangstür wartet Mona mit ihrer Familie nun bereits seit 7.00 Uhr darauf, endlich das Antragspapier ausfüllen zu dürfen und dann ins Krankenhaus zu fahren. Sie will jetzt nur noch wissen, ob ihr Kind noch lebt, mit ihm alles in Ordnung ist. »Das Schiff, auf dem wir waren, stieß mit einem anderen Schiff zusammen, die Wellen waren so hoch, dass wir dachten, nie anzukommen«, erzählt Mona, zieht ihr langes schwarzes Kleid am Bein ein paar Zentimeter hoch und zeigt die Schürfwunden und blauen Flecke, die von der Reise zurück geblieben sind. Ihr sechsjähriger Sohn Mohammad sitzt auf dem Boden und stochert mit einem Stück Holz in der Erde herum. Er kann kaum sprechen. Mona erklärt, dass auch das ein Grund war, warum sie nach Deutschland kommen wollte: Damit Mohammad endlich geholfen werden, er in Sicherheit aufwachsen und sprechen lernen kann.
Der Haupteingang der zentralen Aufnahmestelle wird von Wachmännern bewacht. Keiner, der nicht schon einen Termin hat, oder bereits von den Mitarbeitern, die auf dem Gelände herum laufen, registriert wurde, wird hereingelassen. Vor dem Gebäude sind sieben weiße Zelte aufgebaut, die Berliner Stadtmission schenkt Tee und Kaffee aus, an die Kinder werden bunte Luftballons verteilt. Rund 50 Dolmetscher sind im Einsatz, um zwischen den Flüchtlingen und der Behörde zu übersetzen. Die Flüchtlinge werden in Volksgruppen aufgeteilt, das vermeide Spannungen und beschleunige die Kommunikation. Der Dolmetscher muss so nur einmal übersetzen, erklärt Czaja. Man ist sehr bemüht, die Stimmung vor Ort möglichst hoch zu halten, die Behörde will sich nach dem Debakel der kurzfristigen Schließung letzte Woche in ihrem besten Licht präsentieren.
»Als erstes waren die Syrer dran heute morgen, dann die Bosnier, Vietnamesen, Palästinenser«, erklärt Silvia Kostner, Pressesprecherin des LAGeSo. Mona und Ihab haben schon mehrmals nachgefragt, wann sie endlich dran kommen. Auf der dreitägigen Schiffahrt von Libyen nach Italien hatte sie bereits Wehen, hat drei Tage klitschnasse Klamotten am Leib getragen. Die Dolmetscherin hat Mona auf arabisch erklärt, dass die Palästinenser noch nicht dran sind. Mona zeigt ihren Bauch, sagt, dass sie ins Krankenhaus muss wegen ihres Babys. Setzen sie sich auf eine der Bänke und warten, bietet ihr die Dolmetscherin an.
Im Raum 24 sitzt unterdessen die »Task Force Notunterbringung«, die unter Czajas Leitung die Unterbringung der Flüchtlinge in Berlin organisieren will. Rund 100 Mitarbeiter sind mittlerweile im Einsatz, zwanzig mehr als letzte Woche, um die Anträge zu bearbeiten. Dass das Amt schließen musste, liegt auch daran, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge viel zu lange brauche, im Schnitt acht Monate, um die Anträge zu bearbeiten, sagt Czaja. Auch hofft er auf eine baldige Mehrheit im Bundesrat für die Einstufung sicherer Herkunftsländer, sowie die Nutzung verfallener Geldmittel aus dem Europäischen Sozialfonds, um die Flüchtlingsgründe in den Herkunftsländern zu bekämpfen.Für heute Nachmittag seien Gespräche mit Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos, für SPD) geplant, es soll die Finanzierung mobiler Wohncontainer, sowie die Bereitstellung neuen Personals besprochen werden. »Die Unterbringung der Flüchtlinge darf nicht alleine Aufgabe einer einzelnen Senatsverwaltung sein. Wir brauchend die Unterstützung für schnelles Bauen und Bildung«, so Czaja. Dass die Opposition dem Senat vorwerfe, man hätte mit dem Zuwachs rechnen und sich besser wappnen können, hält Czaja für zu kurz gegriffen. Die Arbeit in einem Zwei-Schichten-System sowie die zusätzliche Betreuung der Flüchtlinge durch die Berliner Stadtmission und den Arbeiter-Samariter-Bund sei jetzt erst einmal für eine Woche vorgesehen, danach wolle man weitersehen.
Vor dem Eingang beginnt ein Mann mit den Wachmännern zu diskutieren. Als die Sicherheitsleute auf den Papieren des Mannes entdecken, dass es um eine Ausreise geht, winken sie ihn zügig durch. Mona wartet noch immer, mittlerweile über vier Stunden, aber noch ist sie zuversichtlich. »Vielleicht können wir heute nicht alle Erstanträge bearbeiten, aber heute Abend wird kein Flüchtling ohne Unterkunft nach Hause gehen«, hatte Sozialsenator Czaja schließlich versprochen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.