Weder Freund noch Helfer

Ein Mitglied der Initiative »Hellersdorf hilft« kritisiert das Verhalten der Polizei nach der Bedrohung durch Rechte

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 4 Min.
Wer sich für Flüchtlinge engagiert, muss damit rechnen, von Rechtsextremisten mit dem Tode bedroht zu werden. Statt zu helfen, spielt das Landeskriminalamt die Gefahr herunter, beklagen Betroffene.

Eingeworfene Scheiben, Brandanschläge auf Autos, gesprengte Briefkästen und Gewaltaufrufe im Internet. Neonazis bedrohen in Berlin immer wieder Linke, Alternative und Migranten. Immer häufiger zum Ziel der rechtsextremen Attacken werden inzwischen auch jene Menschen, die sich solidarisch mit Flüchtlingen zeigen. Luisa Seydel beispielsweise engagiert sich in der vierfach preisgekrönten Initiative »Hellersdorf hilft«. Das Gründungsmitglied der Willkommensinitiative für Asylsuchende geriet nach einem Interview mit der »Süddeutschen Zeitung« im März dieses Jahres ins Visier der Rechten. Auf der Facebookseite der rechtsextremen »Bürgerinitiative Hellerdorf« wurden der Arbeitsplatz der jungen Frau, ihr bis dahin unbekannter Nachname sowie Fotos veröffentlicht. In den Kommentarspalten des Beitrages tobte sich anschließend der Mob aus: »An die Wand und Loch in den Kopf schießen« und »Tolle Frau – 180 Zentimeter unter der Erde« lauteten die unverhohlenen Mordaufrufe.

»Natürlich ist man sich bewusst, wenn man ein großes Interview gibt, dass das gefährlich ist«, sagt Luisa Seydel dem »neuen deutschland«. Doch wenn es konkret wird, »trifft es einen wie der Schlag«. Die ersten Tage nach den Drohungen vermeidet die Flüchtlingsunterstützerin Fahrten nach Hellersdorf. Sie verkleidet sich mit Sonnenbrille und Mütze. Wenn sie die U-Bahn verlässt, dann immer als letzte, um bösen Überraschungen aus dem Weg zu gehen. Wie gefährlich die Situation ist, macht Seydel im Februar dieses Jahres ein Brandanschlag von Unbekannten auf das Auto einer katholischen Seelsorgerin deutlich, die sich ebenfalls für die Asylsuchenden in der Unterkunft an der Carola-Neher-Straße einsetzt.

Seydel beschließt danach, sich zu wehren. Briefe an Facebook bringen sie aber nicht weiter: Das Unternehmen antwortet nie, bis heute sind die Fotos der jungen Frau in dem sozialen Netzwerk zu finden. Unabhängig von einer von Seydel gestellten Anzeige gegen unbekannt meldet sich nach dem Brandanschlag die Abteilung 5 des Landeskriminalamtes bei »Hellersdorf hilft!«. Die Beamten des polizeilichen Staatsschutzes vereinbaren für Ende März ein Gespräch mit Seydel und zwei ihrer Mitstreiter.

Das Treffen, das im Vorfeld als »Sicherheitsgespräch« angekündigt worden war, verlief aus Sicht der Mitglieder der Initiative jedoch derart furchtbar, dass sie danach eine Beschwerde gegen die beiden Kriminalbeamten einleiten. »Eigentlich ging es nur darum, die rechte Gewalt zu relativieren und zu verharmlosen«, erinnert sich Seydel. Hinweise, dass im Umfeld der »Bürgerinitiative Hellersdorf« Neonazis aktiv seien, die früher mit dem Rechtsterroristen und Polizistenmörder Kay Diesner aus Hellersdorf zusammen waren, sollen die Beamten als »alte Geschichten« abgetan haben. Trotz der Erfahrungen aus vielen gewalttätigen Übergriffen im Zusammenhang mit der rechtsextremen Gruppe »Nationaler Widerstand Berlin« und deren im Internet veröffentlichten »Feindeslisten« in den vergangenen Jahren sollen die Polizisten erklärt haben, »dass die virtuellen Drohungen nicht ernst zu nehmen« seien.

Dass die junge Frau über den Gesprächsverlauf des Treffens mit den Staatsschützern ein Protokoll anfertigt, sollen die für das »Sensibilisierungsgespräch« zuständigen Beamten sogar zu verhindern versucht haben. »Mir wurde gedroht, ich dürfte mit niemanden darüber reden«, sagt Seydel. Die Beschwerde der junge Frau hat im Nachhinein kaum Konsequenzen. Sie erhält einen Brief mit »Vielen Dank für ihre Beschwerde« und ein Gesprächsangebot mit dem zuständigen Abteilungsleiter, doch nach den schlechten Erfahrungen mit den angeblichen Freunden und Helfern lehnt die Flüchtlingsunterstützerin dies ab.

Mit ihrer Kritik an dem Verhalten der Staatsschützer steht Seydel nicht allein da. Linksfraktionschef Udo Wolf, der für seine Fraktion im Abgeordnetenhaus das Landeskriminalamt seit vielen Jahren beobachtet, hat vor kurzem im Zusammenhang mit einem Prozess gegen den Landesvorsitzenden der rechtsextremen NPD, Sebastian Schmidtke ähnliche Erfahrungen gemacht. »Wir mussten dem Staatsschutz komplett alle Beweise und Indizien zu Schmidtke liefern«, sagt Wolf. Der Innenexperte meint: »Obwohl CDU-Innensenator Frank Henkel beim Landeskriminalamt einen Schwerpunkt auf rechtsextreme Straftaten aus den Erfahrungen des NSU-Komplexes legen wollte, gebe es bei Motivation und Sachkompetenz der Kripobeamten noch viel Luft nach oben.«

Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) befürchtet, dass sich die Täter durch das Verhalten der Polizei ermutigt fühlen, weiterzumachen. »Handelt der Staat nicht entschlossen und aktiv gegen gewaltsames – und daher ja ohnehin strafrechtlich relevantes – Vorgehen von Neonazis, dann setzt er ausgerechnet diejenigen Bürger, die er doch regelmäßig zur Zivilcourage aufruft, einer permanenten Bedrohung aus«, sagt die Leiterin der MBR, Bianca Klose. Auch Christian Staffa von der Evangelischen Akademie zu Berlin fordert: »Es ist mehr als an der Zeit, dass die Vertreter der Polizei und der Politik das Gespräch mit den Betroffenen suchen und Wege finden, das Engagement des Willkommensbündnisses effektiv zu schützen.«

Die Polizei erklärte am Freitag, sie wolle sich in der kommenden Woche zu den Vorwürfen äußern.

Der Verein für Demokratische Kultur in Berlin richtet am Montag, 15. September, 19 Uhr, in der Französischen Friedrichstadtkirche, Gendarmenmarkt 5 (Eingang Charlottenstraße), Mitte, die Veranstaltung »Keine Anhaltspunkte für eine konkrete Gefährdung« zum Umgang mit Bedrohungen durch rechtsextreme Gewalt aus. Dort werden unter anderem die Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (LINKE) und Generalsuperintendentin Ulrike Trautwein sprechen. Luisa Seydel von »Hellersdorf hilft« tritt ebenfalls auf.

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