Behinderte Arbeitnehmer im Abseits
Fast die Hälfte leidet unter mangelhaften Arbeitsbedingungen
Viele halten Behinderte für eine kleine Minderheit. Dabei leben in Deutschland mehr als 7,5 Millionen schwerbehinderte Menschen. Dazu kommen rund 2,5 Millionen Menschen mit weniger starken körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen. Somit sind etwa zwölf Prozent der Bundesbürger behindert oder schwerbehindert. Die Berufstätigen unter ihnen müssen oft hinnehmen, dass der Arbeitsplatz nicht entsprechend eingerichtet wurde.
Das belegt eine Umfrage der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di unter Arbeitnehmern mit Behinderungen, die am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde. Demnach arbeiten 38 Prozent der Befragten laut eigener Aussage unter nicht behindertengerechten Bedingungen. Das heißt, mehr als jeder dritte Arbeitnehmer mit schwerem Handicap ist unter Bedingungen tätig, die seiner Erkrankung nicht angemessen sind. Noch düsterer ist die Situation, wenn man auch weniger stark Beeinträchtigte einbezieht: Die Hälfte von ihnen arbeitet »an einem nicht behindertengerecht ausgestatteten Arbeitsplatz«.
Das hat Folgen: So befürchten 60 Prozent der Beeinträchtigten ohne behindertengerechten Arbeitsplatz, ihre Tätigkeit nicht bis zum gesetzlichen Rentenalter ausüben zu können. Mehr als ein Viertel der behinderten Beschäftigten über 50 gibt an, »dass ihre Behinderung auf ihre berufliche Tätigkeit zurückzuführen ist«, heißt es im Vorwort der Untersuchung.
Was oftmals fehlt, ist ein betriebsinterner Ansprechpartner für die Belange Schwerbehinderter. Ver.di-Vorstandsmitglied Eva Wels- kop-Deffaa verwies auf den Umstand, »dass in Betrieben mit einer Schwerbehindertenvertretung deutlich mehr behindertengerechte Arbeitsplätze vorgefunden werden als in solchen ohne gewählte Vertretung«. Noch sei solch ein Gremium nicht überall vorhanden. So arbeiten nur 60 Prozent der Befragten in einem Betrieb mit gewählter Schwerbehindertenvertretung. Laut Sozialgesetzbuch ist solch ein Gremium erforderlich, wenn in einem Betrieb mindestens fünf schwerbehinderte Angestellte tätig sind.
Dabei nehme Arbeit einen hohen Stellenwert für die Behinderten ein, wie Welskop-Deffaa betonte. 81 Prozent der Befragten hielten ihre Tätigkeit für »sinnstiftend«. Damit liege der Wert über dem Durchschnitt aller Arbeitnehmer.
Die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Verena Bentele (SPD), betonte, dass es Branchen gebe, in den kaum Behinderte angestellt seien - etwa im metallverarbeitenden Gewerbe. Zudem ermunterte die ehemalige Paralympics-Siegerin Betroffene, ihre Probleme auch zu kommunizieren. Bentele mahnte: Auch die Gewerkschaften müssten sich überbetrieblich »noch konsequenter für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention einsetzen«. Zudem forderte sie Politik und Wirtschaft auf, Behinderte in Beschäftigung zu bringen und ihnen entsprechend ausgestaltete Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen.
Ein Sprecher der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) verwies gegenüber »nd« auf »die Inklusionsinitiative für Ausbildung und Beschäftigung« des Bundesarbeitsministeriums, die man »unterstütze«. Die Spitzenverbände der Wirtschaft wollten die Inklusion von Menschen mit Behinderung voranbringen und helfen, »Brücken in Ausbildung, Arbeit und Gesellschaft zu bauen«. Da die Initiative erst in diesem Jahr angelaufen ist, gibt es offenbar noch keine Erfolgsmeldungen. Angesichts des drohenden Fachkräftemangels haben aber wohl auch gewinnorientierte Unternehmen erkannt, dass sich die Inklusion von Behinderten unter dem Strich lohnt.
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