Entscheidung im Hinterzimmer
London darf das EM-Finale 2020 austragen - dafür sollen die Engländer vier Jahre später für Deutschland stimmen
Das Endspiel der Fußball-EM 2020 findet in London und nicht in München statt, enttäuschte Gesichter sah man bei den Verantwortlichen des Deutschen Fußball-Bundes am Freitag in Genf allerdings nicht. Schließlich sah der Plan des DFB schon weit vor der Entscheidung für London als Finalort der ersten paneuropäischen Europameisterschaft etwas viel Größeres vor. Der Verband will die komplette EM 2024 ausrichten. Die drei Gruppenspiele und ein Viertelfinale in der Münchner Allianz Arena vier Jahre zuvor nimmt er quasi als Aufwärmprogramm gerne mit.
Die übernächste Europameisterschaft wird in 13 Ländern ausgetragen. Michel Platini, Präsident der Europäischen Fußball-Union (UEFA), hatte die Idee ins Leben gerufen, der Franzose will damit das 60-jährige Jubiläum dieser Titelkämpfe feiern. »Es war erst ein Traum, jetzt ist er Realität«, sagte Platini bei der Bekanntgabe der EM-Länder in Genf. Der Deutsche Fußball-Bund hatte sich ursprünglich mit München sowohl um das Finalpaket als auch um die Variante mit drei Gruppenspielen und einem Achtel- oder Viertelfinale beworben.
Kurz vor der Abstimmung verzichtete der DFB allerdings auf seine Finalbewerbung zugunsten von London, erklärte DFB-Präsident Wolfgang Niersbach. »Wir haben das Finale nicht verloren, weil ich heute Morgen in der Sitzung des Exekutivkomitees unsere Bewerbung für die Finalserie zurückgezogen habe, nachdem die UEFA die Ergebnisse der technischen Erhebung veröffentlicht hatte. Da war das Wembley-Stadion an eins, München knapp dahinter«, lautete die offizielle Begründung von DFB-Präsident Wolfgang Niersbach am Freitag in Genf. »Aber es war eben auch der Gedanke, eine Kampfabstimmung im Exekutivkomitee zu verhindern, die dann 8:7 oder 9:6 ausgegangen wäre.«
Somit erhielt London als einziger verbliebener Kandidat den Zuschlag für das Endspiel und beide Halbfinals. München richtet neben einem Viertelfinale auch drei Gruppenspiele aus, darunter zwei mit der deutschen Mannschaft, so sie sich qualifiziert. »Ich bin total zufrieden. Ja, so hatten wir uns das vorgestellt«, sagte Niersbach. Und auch der Bundestrainer war erfreut. Es sei »sicher ein Vorteil, dass unsere Mannschaft in der Vorrunde vor eigenem Publikum spielen und mit Rückenwind ins Turnier starten kann«, sagte Joachim Löw.
Auch Generalsekretär Helmut Sandrock hatte bereits vor der Bekanntgabe durch die UEFA deutlich gemacht, dass hinter den Kulissen mit den Engländern über eine einvernehmliche Lösung für die kommenden kontinentalen Turniere gesprochen wurde. Der Zuschlag für die EM 2024 sei nicht sicher, erklärte Niersbach, aber: »Unser Interesse ist bekannt. Das ist unser großes Ziel. Da liegt vielleicht eine Art Teppich, aber das ist kein roter Teppich.«
Da der Europameister 2020 im Wembley-Stadion gekrönt wird, kann sich der DFB nun der Unterstützung Englands bei seiner Bewerbung für das Turnier in zehn Jahren sicher sein. »Ich denke, wenn wir das Finale 2020 erhalten, ist es unwahrscheinlich, dass es uns auch 2024 zugeteilt würde. Deshalb werden wir uns dafür nicht bewerben, wenn wir das Finale 2020 bekommen«, hatte Greg Dyke, Chef des englischen Fußball-Verbandes FA, der Tageszeitung »The Guardian« gesagt. Eine offizielle Absprache mit dem DFB gebe es aber nicht.
UEFA-Boss Platini waren die Absprachen hinter den Kulissen egal: »Ich weiß nicht, warum sie sich zurückgezogen haben. Vielleicht gibt es ja eine Absprache. Da weiß ich nichts drüber. Vielleicht hat Deutschland ja auch verstanden, dass sie nicht gewinnen können.« Platini präsentierte im Espace Hippomène stolz die 13 Gewinner seiner den Kontinent umspannenden EM. München, Aserbaidshans Hauptstadt Baku, die russische Metropole St. Petersburg und Rom waren neben drei Gruppenspielen die Gewinner der Viertelfinalspiele. München erhielt bei der Abstimmung die meisten Stimmen. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) zeigte sich stolz: »Die Münchner Bewerbung ist hoch gelobt worden und erhielt Bestnoten unter den 19 Bewerbern.« Drei Vorrundenpartien und je ein Achtelfinale finden in Kopenhagen, Bukarest, Amsterdam, Dublin, Bilbao, Budapest, Brüssel und Glasgow statt. Leer gingen Minsk, Cardiff, Stockholm, Sofia, Skopje und Jerusalem aus.
Letztmals fanden 1988 EM-Spiele in Deutschland statt. Die DFB-Elf schied damals im Halbfinale in Hamburg gegen den späteren Europameister Niederlande aus. Die nächste EM findet 2016 in Frankreich statt, erstmals sind dann 24 statt 16 Mannschaften dabei.
Sollte der Deutsche Fußball-Bund die EM 2024 tatsächlich zugesprochen bekommen, könnte dies die deutschen Olympiachancen für das Jahr deutlich verringern. Berlin und Hamburg haben ihr Interesse an den Sommerspielen in zehn Jahren bekundet, deutsche Sportfunktionäre bereits von einem »Super-Sport-Sommer« geträumt. Doch zwei Großereignisse in einem Land innerhalb kürzester Zeit sind nahezu ausgeschlossen. Michael Vesper, Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB), traut Deutschland zu, im Jahr 2024 die Fußball-EM und die Olympischen Sommerspiele auszurichten. »Wenn ein Land zwei solch große Sportereignisse in einem Jahr schultern kann, dann ist das Deutschland«, sagte Vesper der »Rheinischen Post«.
Dass eine deutsche Olympiabewerbung tatsächlich gar nicht auf 2024, sondern erst auf 2028 und 2032 abziele, wies Vesper zurück. »Man bewirbt sich nicht, um zu verlieren. Aber natürlich wissen wir, dass eine Stadt in vielen Fällen nicht beim ersten Anlauf zum Zug kam.« Es gebe aber auch Gegenbeispiele: Atlanta 1996 und Sotschi 2014 zum Beispiel, erklärte Vesper. dpa/nd
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