Medaillenjagd im Rollstuhl
In Berlin wird derzeit das Bundesfinale von »Jugend trainiert für Paralympics« ausgetragen
Konzentriert blickt Markus Vodde in Richtung Startlinie. Der Leichtathletiktrainer wirkt angespannt. Wie das eben so ist, wenn gleich ein Sprint ansteht. Der Druck ist groß, aber er wird nicht lang andauern. Noch ist das Rennen nicht eröffnet, doch schon in wenigen Sekunden wird klar sein, wer es gewonnen hat.
Auch Voddes Schützling Kevin Oellig hat das Ziel schon vor Augen. Sein Blick geht starr geradeaus. Der 12-Jährige wird jedoch die 50 Meter nicht laufen, sondern mit dem Rollstuhl fahren. Der behinderte Schüler hat es zum Bundesfinale »Jugend trainiert für Paralympics« geschafft und kämpft nun mit der Förderschule Mönchengladbach um den Gesamtsieg in der Leichtathletik.
Dann erfolgt der Startschuss. Kevin Oellig ist vorn mit dabei und wird am Ende Zweiter. Markus Vodde macht erst ein zerknirschtes Gesicht, ist dann aber doch »ganz zufrieden«. Auch Kevin ist »sehr glücklich« und unterhält sich nach dem Rennen entspannt mit seinen Kontrahenten. »Wir wollen, dass jeder Schüler sein Bestes gibt«, sagt Vodde. Der erste Platz müsse es nicht unbedingt sein. »Auf der anderen Seite ist es ein Wettbewerb, und da will man natürlich möglichst weit vorn landen.«
Um am Ende die Goldmedaille zu erringen, müssen sich die Mönchengladbacher gegen Schulen aus ganz Deutschland durchsetzen. Nachdem sie zuvor die Landesmeisterschaft gewonnen haben, treten sie nun im Berliner Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark gegen die anderen Landessieger an. Dabei stellt jede Schule zehn Athleten. Jeder Athlet wird einer Startgruppe - nach Grad der Behinderung - zugeordnet. Für den Sieg in einer Startgruppe gibt es 15 Punkte, für jeden weiteren Platz jeweils einen Zähler weniger. Am Ende werden die Punkte addiert, die Schule mit den meisten Punkten gewinnt den Behindertenwettbewerb.
Und wie es sich als Sieger anfühlt, weiß Markus Vodde selbst am besten. Bereits 2010 gewannen die Mönchengladbacher. Es war damals die Pilotveranstaltung des Wettbewerbs im nordrhein-westfälischen Kamen-Kaiserau. Diesmal holten sie jedoch keine Medaille und landeten am Ende nur auf dem achten Rang. Überdurchschnittlich gut abgeschnitten haben dagegen die neuen Bundesländer. Gewonnen hat die Bauhausschule Cottbus vor der Köllertalschule Püttlingen aus dem Saarland und der Dr.-Friedrich-Wolf-Schule Hoyerswerda.
Die Geschichte von »Jugend trainiert für Paralympics« ist gerade mal fünf Jahre alt. Nach der ersten Veranstaltung 2010 folgte die zweite ein Jahr später im Sportleistungszentrum Kienbaum bei Berlin. Und seit 2012 gibt es das Bundesfinale in seiner heutigen Form. Zum Vergleich: Der Wettbewerb der Nicht-Behinderten wurde bereits 1969 ins Leben gerufen. Man könnte also meinen, »Jugend trainiert für Paralympics« stecke noch in den Kinderschuhen.
Doch mit dieser Aussage kann sich Thomas Poller von der Deutschen Schulsportstiftung nicht anfreunden. Immerhin sei bereits das zweite Bundesfinale 2013 parallel zum Finale der Nicht-Behinderten ausgetragen worden. Außerdem habe man Fußball für geistig Behinderte integriert, was eigentlich ein Bereich für sich ist. »Das Bundesfinale hat sich somit binnen kurzer Zeit einen Vorbildcharakter für die Länderebene erarbeitet. Die Teilnehmer fordern bereits, gemeinsame Wettbewerbe mit den Nicht-Behinderten auch auf anderen Ebenen auszutragen.«
Doch genau da liegt das Problem. Was auf der Bundesebene nach wenigen Jahren schon richtig gut funktioniert, muss noch auf die Länderebene übertragen werden. Zwei Bundesländer, Bremen und Schleswig-Holstein, sind beim Finale gar nicht vertreten. Und ein anderes Bundesland, Thüringen, ist in diesem Jahr zum ersten Mal dabei.
Ein anderes Problem ist laut Markus Vodde, dass die Kinder nur im Rahmen des Schulsports trainieren könnten. Im Gegensatz zu den Nicht-Behinderten hätten sie kaum Zugang zu Vereinen. Deshalb wünsche er sich, dass sich die Vereine in Zukunft stärker dem Behindertensport öffnen. »Die Leistung der Kinder ist nicht hoch genug einzuschätzen. Denn es ist doch so: Wenn Behinderte plötzlich in einer Trainingsgruppe auftauchen, dann wird erst einmal komisch geguckt.«
Dem widerspricht Lars Pickardt, der Vorsitzende des Deutschen Behindertensportverbandes. Nicht die Vereine seien in der Pflicht, sondern das Problem liege im Schulsystem: »Durch die verkürzte Gymnasialzeit und das Abitur nach der 12. Klasse haben die Schüler kaum mehr Zeit für Vereinssport. Das betrifft Behinderte wie Nicht-Behinderte. Außerdem sind manchmal auch die Schulen nicht bereit, sich stärker im Bereich der Inklusion zu engagieren.« Thomas Poller wiederum ist der Ansicht, dass sich die Beteiligten nicht gegenseitig die Schuld in die Schuhe schieben sollen: »Es geht nur gemeinsam. Die Vereine müssen mit den Schulen kooperieren. Nur dann ist man zukunftsfähig.«
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