Effektive Weltordnungsmacht oder an den Rand gedrängt?
Die UN-Vollversammlung in New York debattiert darüber, welche Rolle die Organisation angesichts neuer Herausforderungen einnehmen kann
Die Tagesordnung ist lang. Mehr als 170 Punkte mit zahlreichen Unterpunkten umfasst die Agenda der Plenarsitzungen der 69. UNO-Vollversammlung, die am Mittwoch in New York begann. Die Vertreter aller 193 UN-Staaten debattieren zunächst in den Plenarsitzungen über die Rolle der UN in der gegenwärtigen Welt. Während im Plenum die Grundsatzpositionen der Staaten vorgetragen werden, erfolgt die konkrete und detaillierte Erörterung der Sachfragen anschließend in den einzelnen Hauptausschüssen.
Die zentrale Herausforderung dabei: die Globalisierung zum Wohl und Nutzen aller Völker zu gestalten. Dazu gehören die Beendigung von Kriegen wie in Irak, Syrien, Südsudan und der Ukraine sowie die Eindämmung der verheerenden Ebola-Epidemie in Afrika, die Bekämpfung von Hunger und Armut - sowie die Bewahrung der Umwelt.
Wo aber steht die Weltorganisation heute? Taugt sie nur als unverbindliche Schwatzbude oder besitzt sie das Potenzial zu einer globalen Weltordnungsmacht? Die UNO wurde nach zwei verheerenden Weltkriegen im vergangenen Jahrhundert gegründet, um die Menschheit zukünftig vor der Geißel des Krieges zu bewahren und den Frieden durch kollektive Sicherheit zu stärken. Dabei hat sie viel erreicht. Ihre Verdienste bei der Beseitigung des Kolonialismus, im Kampf gegen die Apartheid, ihr Beitrag für wirtschaftliche Zusammenarbeit und nachhaltige Entwicklung sowie Erfolge in der Überwindung von Krankheiten und bei der Katastrophenhilfe sind nicht zu bestreiten. Auch die Mobilisierung der Weltöffentlichkeit für Menschenrechte, die Erhaltung der natürlichen Umwelt und zur Hilfe für Flüchtlinge und Verfolgte sprechen zugunsten der UNO.
Doch es gibt auch bittere Fehlschläge. Die unvollständige Liste umfasst den Völkermord in Ruanda ebenso wie vielfaches Sterben in Sierra Leone, Somalia, im Sudan im Kongo, in der Elfenbeinküste und Nigeria. Auch konnte die UN den Nahostkonflikt nicht befrieden, und ohne Mandat der UNO geführte Kriege wie auf dem Balkan oder gegen Irak und Libyen blieben ohne Folgen. Selbst ein Missbrauch der UNO für nationale Eigeninteressen konnte nicht immer ausgeschlossen werden.
Nach dem Ende des Kalten Krieges gab es zunächst die Hoffnung, dass die UNO, die durch den Ost-West-Konflikt lange Zeit blockiert war, endlich ihrer Rolle als einzig kompetente und allgemein respektierte Weltordnungsmacht gerecht werden könnte. Doch die Hoffnungen erfüllten sich nicht. Die Mitgliedstaaten nutzten das sich öffnende Fenster nicht für durchgreifende und längst überfällige Reformen der UNO.
Das rächt sich heute. Ganze Regionen drohen in Destabilisierung und Chaos abzugleiten. Der Krieg ist als Mittel der Politik in das Leben der Völker zurückgekehrt, Grenzen werden wieder gewaltsam verletzt. Statt der Herrschaft des Rechts regiert in den internationalen Beziehungen immer häufiger das Recht des Stärkeren. Nicht nur der Ukraine-Konflikt und das Agieren der internationalen Allianz gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zeugen davon, dass Fragen von Krieg und Frieden nicht im einzig zur militärischen Gewaltanwendung legitimierten UN-Sicherheitsrat, sondern in den Hauptstädten der Länder entschieden werden.
Das ist umso besorgniserregender, weil zahlreiche drängende Probleme gemeinsam bewältigt werden müssen. Die überall aufflammenden regionalen Krisen und gewaltsamen Auseinandersetzungen dulden keine Tatenlosigkeit. Nicht weniger als zur Gründungszeit der UNO kommt es gegenwärtig darauf an, zu den damals vereinbarten Regeln des Gewaltverzichts, der kollektiven Sicherheit und der Respektierung des Völkerrechts zurückzukehren.
Gleichzeitig aber unterscheidet sich die heutige Welt von der vor fast sieben Jahrzehnten. Dem unveränderten Ziel, Weltfrieden und internationale Sicherheit zu garantieren, stehen Gefährdungen entgegen, die damals noch gar nicht existierten oder zumindest nicht als solche wahrgenommen wurden. Als klassische Bedrohung sah man vor dem Hintergrund zweier Weltkriege Überfälle und Kämpfe von Staaten untereinander an. Viele der heutigen Sicherheitsgefährdungen stellen sich jedoch differenzierter dar. Sie umfassen Armut, Infektionskrankheiten und Umweltzerstörung ebenso wie Krieg und Gewalt innerhalb von Staaten. Es drohen die Ausbreitung und der mögliche Einsatz von nuklearen, radiologischen, biologischen und chemischen Waffen wie auch der internationale Terrorismus und die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität. Diese Bedrohungen erwachsen gleichermaßen von Staaten wie von nichtstaatlichen Akteuren und gefährden sowohl das Leben einzelner Menschen wie auch die Sicherheit ganzer Völker.
Zum einen machen die Sicherheitsrisiken nicht vor nationalen Grenzen halt, sind miteinander verknüpft und müssen sowohl auf globaler und regionaler als auch auf nationaler Ebene angegangen werden. Und schließlich entstehen immer wieder Situationen, in denen Regierungen nicht fähig oder willens sind, ihrer Verantwortung zum Schutz der eigenen Bevölkerung und den friedlichen Nachbarschaftsverpflichtungen nachzukommen.
Aus dieser Problemlage entsteht die Notwendigkeit eines neuen Konsenses der gemeinsamen Verantwortung für die gegenseitige Sicherheit aller. Strittig wird es allerdings, wenn diese Übereinstimmung gebrochen wird. Was geschieht, wenn keine der bevorzugten kooperativen Aktionen ein Abgleiten in Krieg und Chaos aufhalten kann? Was tun, wenn in einer Extremsituation alle Gegenmaßnahmen außer der Anwendung von militärischer Gewalt aussichtslos erscheinen? Es wäre höchste Zeit, dass die UN-Mitgliedstaaten gemeinsam nach konstruktiven Antworten auf diese Fragen suchen. In der gegenwärtigen von Konflikten, Gewalt und Misstrauen geprägten Welt, sind ermutigende Anzeichen dafür allerdings kaum auszumachen.
Zu Beginn der laufenden Tagung hat UN-Generalsekretär Ban Ki Moon den Mitgliedstaaten die dringendsten im kommenden Jahr zu erledigenden Aufgaben genannt: die zur Jahrtausendwende gestellten Millenniumentwicklungsziele zu erfüllen, eine neue Entwicklungsagenda für die Zeit nach 2015 aufzustellen sowie ein sinnvolles Klimaschutzabkommen abzuschließen. Der Verlauf der Generaldebatte wird zeigen, ob die Mitgliedstaaten dazu bereit sind.
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