Bett und Barrikade

Das Tanzstück »Frida Kahlo« wurde auf der Cottbuser Kammerbühne uraufgeführt

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 5 Min.

Noch gut in Erinnerung ist die Tanzversion von »Le sacre du printemps« in Cottbus. Choreograf und Inszenator Lars Scheibner hatte voriges Jahr das bis zum Überdruss vertanzte (auch verschandelte) Stück eindrucksvoll umgesetzt. Eine hauseigene Gruppe besorgte dies, begleitet von zwei Pianisten. Die musizierten in einem Käfig an zwei Flügeln.

Der Käfig als Zentrum steht immer noch auf dem Spielplan. Nun im Mittelpunkt »Frida Kahlo«. Ein Tanzstück. Und wiederum eine beachtliche künstlerische Leistung der Ballettsparte in Cottbus. Undine Werchau hat das Stück geschrieben, choreografisch ins Bild gesetzt und inszeniert. Eine junge Frau. Tanzpädagogin in Leipzig. Ihr Stück ist enorm gut anzusehen. Dauer: 90 Minuten. Die ganze Zeit über Anspannung.

Vier Paare tanzen. Sie haben ihre Rollen, auch mehrfache: Frida, Diego Rivera, ihr Ehemann, ihr Vater, ihre Mutter und Schwester. Der Tod, gleichfalls ein Part, verkörpert eine Seite der Frida, sie steht mit ihm wie Faust mit Mephisto so im Bunde, als hätte sie einen Pakt mit ihm geschlossen. Der Tod geistert von Anfang an. Er hat Masken, ist fröhlich, anmutig, sogar anschmiegsam, liebevoll, ins sich ruhend und - äußerst behend, so unschuldig wie gefährlich. Denise Ruddock tanzt hoch differenziert diesen Tod, der mit dem roten Schleier umhüllt die Bühne betritt, noch bevor die Musik anhebt.

Die Glanzrolle hat Inmaculada Marín López, eine Spanierin, Mitglied des Cottbuser Ensembles. An Farbigkeit der Bewegung, des synchronisierten Hineingleitens in die Bewegung der anderen, ihrem Schmerz in eckigen Gesten und Körper-, Hand-, Fußlagen Ausdruck gebend, unübertroffen. Jeder der acht Tänzer weiß sich in der Gruppe gleichberechtigt zu behaupten. Gruppentanz und Soli wechseln.

Die tänzerisch erzählte Geschichte ist klar strukturiert, wenngleich in ihren Teilen nicht immer klar auszumachen. Farben bilden die Strukturbausteine. Sie markieren Schicksalsstationen der Protagonistin. Deren Nöte muss hier nicht erzählt werden. Es gibt den mittelmäßigen Hollywoodstreifen »Frida« über sie. Dutzende Bildbände, Bücher, Poster etc. sind auf dem Markt. Die Vermarktung ist immer noch virulent. Wenn Undine Werchau eines nicht wollte und will, dann dieser Vermarktung noch eins drauf zu geben. Ihr Werk steht dem entgegen. Schon, weil es eine ungeheure Schönheit, eine unendliche Menschlichkeit hat. Und weil ihre Arbeit technisch hochstehend ist.

Der ganze Bau ist flexibel gehalten. Es gibt ein Oben und Unten. Die stilisierten Häuser, Wand an Wand, mit Balkonen. Bett, Fridas Stätte, in der sie leidet und malt, Fläche, auf der sie sich quält. Die Tänzer haben flinke Beine und Hände. Das Bett rollt plötzlich, steht hoch auf, zeigt auf der Rückseite Bilder der Kahlo. Es wird hin und her geschoben, mal langsam, mal rasend, mal rotierend. Herrlicher Einfall. Ein Gefährt des Lebens und des Todes.

Die Szene mit Alejandro (Jason Sabrou), der ersten Liebe der Frida, passiert auf und rankt sich um dieses Bett. Die Mexikaner feiern ihre Totenkulte ganz ausgelassen. Darum, das waagerechte Gerippe auf dem Dach scheint zu strahlen und sich über den Tod zu amüsieren. Diego, ihr Mann, der große Freskenmaler, der große Fremdgeher, keins seiner weiblichen Modelle lässt er aus, Diego wird von Juan Bockamp keineswegs damit gleichlaufend getanzt. Der macht mit seinen Bewegungen einen ganz eigenen Diego. Das Stück hat eine weite Ausdrucksskala, musikalischen Farben gleich.

Die Musik ist, keineswegs selbstverständlich, extra komponiert und vorher produziert worden. Weil, kein Musiker kann die gebotene Collage aus verschiedensten Tänzen und vorhandenen Stücken, die dazugehörige elektronische Verformung in einem Zuge über 90 Minuten spielen und vor allem durchhalten. Der Cellist ist Friedrich Schenkers Sohn Christoph, der zweite Cellist Sascha Werchau, beide aus Leipzig. Mit Hilfe ihrer Intelligenz und Collagefreudigkeit, ihres Sinns für die Szene und für das Musizieren mannigfacher Gefühlslagen konnte Undine Werchau fast ein Wunder auf die Bühne bringen. Die eingestreuten Verse und Reflexionen der Frida kommen in Spanisch und Deutsch.

»Terra Libertad!« ruft das Ensemble der Acht von oben herab, scharf, präzise synchron. Geschrienes Wort. Wann trauen sich das Choreografen und Tänzer schon. Es ist die einzige Stelle, in der die engagierte Kommunistin Frida Kahlo sich meldet. Darüber weg bleibt ihr politisches Engagement ausgespart. Kein Beinbruch. Die Tanzversion hat ihre eigene, strenge Logik. Starke Akzente auf Fridas Engagement hätten ein anderes Stück ergeben. Tatsächlich humpelte Frida an der Seite ihres Mannes bisweilen zu Protesten der mexikanischen Arbeiter und skandierte, die Faust erhoben, deren Losungen mit. Es gibt Fotos davon.

Das Stück bringt auch eine Amerika-Szene - Diego hatte eine Freske für Rockefeller zu machen und ist begeistert. Frida indes hat nur Spott übrig. Sie verachtet, was oben, was hoch ist, die Regierung, die Rassisten, die Wolkenkratzer. Sprichwörtlich sind ihre Attacken auf die »Gringos«, die Mexiko niedergedrückt hätten.

Die Tanzpaare und Solisten poetisieren diese Spannung in subtiler wie teils grotesker Körpersprache. Sie tanzen hier - kurios - nach Gershwin-Takten aus »Rhapsody in Blue«. Die beiden Celli übernehmen das Klarinettenglissando des Auftakts. Selbst in gefährlichen Lagen - ihre Gebrechen verschlimmerten sich - marschierte Frida in den 50er Jahren auf Großdemos wider den aggressiven Imperialismus, für soziale Gerechtigkeit, nahm sie Partei für die Sowjetunion. Anachronismen? Beide, Diego und Frida, boten Lew Dawidowitsch Trotzki Wohnstatt, bevor dieser von einem NKWD-Mann mit dem Eispickel erschlagen wurde. Diverse Geschichten ranken sich darum.

Frida als Rebellin, als kritische Kommunistin, nicht fürchtend, Stalins Kopf zu malen, anarchisch bis in die Knochen, die verletzten wie die abgenommenen. Ihr Engagement hat sie gelebt. Choreografier- und inszenierbar ist dergleichen allemal und zu verknüpfen mit dem, was das Wesen dieser mutigen Künstlerin sonst noch ausmacht. Eine Tat, würde sich Undine Werchau entschließen können, eine zweite andere, neue Version zu formen.

Nächste Vorstellungen: 27., 28.9.

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