Jenseits des Echos De-De-Er
Bei den Thüringer Sondierungen steht ein geschichtspolitisches Thema im Mittelpunkt der Öffentlichkeit. Dabei gerät anderes in den Schatten
Das öffentliche Echo der rot-rot-grünen Sondierungsgespräche in Thüringen lautet dieser Tage: De-De-Er. Die Debatte hinterlässt den Eindruck, es gehe in den Gesprächen um die Festlegung einer geschichtspolitischen Doktrin – und um nichts anderes. Nun ist die Frage, wie und ob man überhaupt die DDR auf einen Begriff bringen kann, welche Argumente es gegen diese Bezeichnung gibt und welche dafür, warum dieses eine Wort zwischen den drei Parteien Linke, SPD und Grüne so hohe Bedeutung hat und warum es für viele Menschen mit DDR-Biografie keine Nebensächlichkeit ist.
Wenn es aber stimmt, dass Regierungskooperation immer auch Kompromiss bedeutet, würde es sinnvoll sein, im Lichte aller Inhalte eines solchen zu bewerten, ob er etwas taugt oder nicht. Darüber, was jenseits der Diskussion über das U-Wort in Thüringen bisher auf dem rot-rot-grünen Tisch liegt, ist allerdings kaum die Rede.
In der Linkspartei verweist man unter anderem darauf, dass es mit SPD und Grünen bereits Übereinkommen in verschiedenen Politikbereichen gibt. Dazu zählen Fragen der Bildung, der Bezahlung von öffentlich Beschäftigten, des Engagements gegen Rechtsradikale, der Kinderpolitik und der Demokratie. Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion über den Umgang mit Flüchtlingen sind auch die asylpolitischen Sondierungsergebnisse interessant.
So haben sich Linkspartei, SPD und Grüne darauf geeinigt, im Falle einer Koalition die grundsätzliche Reform der Erstaufnahme von Flüchtlingen in Thüringen anzugehen, für eine dezentrale Unterbringung von Asylbewerbern und einen unbürokratischen Zugang von Flüchtlingen und Asylbewerbern zu medizinischer Versorgung durch Ausgabe einer Krankenkassenkarte zu sorgen. Auch gibt es Einigkeit darüber, die Gutscheine und Sachleistungen in den letzten zwei Thüringer Landkreisen abzuschaffen und die psychosoziale Versorgung von Flüchtlingen sicherzustellen.
Über die familienpolitischen Sondierungsergebnisse war hier bereits zu lesen. Rot-Rot-Grün würde das von der CDU eingeführte Landeserziehungsgeldes abschaffen und ein beitragsfreies Kita-Jahr einführen. Auf der Liste stehen außerdem: der Ausbau der Gemeinschaftsschulen, die Neueinstellung von 500 Lehrer pro Jahr und der Aufbau einer zusätzlichen Vertretungsreserve, der Erhalt aller Hochschulstandorte und die Aufnahme von Verhandlungen für einen Tarifvertrag für die studentischen Beschäftigten an Hochschulen. Der Bundeswehr soll keine Informations- und Bildungsveranstaltungen in Eigenregie an Schulen mehr durchführen können, auch soll es keine Informationsveranstaltungen des Verfassungsschutzes mehr an Schulen geben.
Einigkeit herrscht nach den bisherigen rot-rot-grünen Sondierungen auch darüber, Verhandlungen für einen Tarifvertrag in der Sozialwirtschaft, also für die Beschäftigten im Pflege-, Kita- und Jugendbereich aufzunehmen. Das aktive Wahlalter in Kommunen soll auf 16 Jahre abgesenkt werden, auch wollen Linkspartei, SPD und Grüne die direkte Mitbestimmung auf kommunaler Ebene stärken.
Einigkeit herrscht auch im Kampf gegen Rechts. So habe man sich bei den Sondierungen auf die Umwandlung des Landesprogramms für Toleranz in ein Landesprogramm gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus und Homophobie geeinigt – sowie auf eine Aufstockung der Mittel um eine Million Euro. Auch die Finanzierung der mobilen Beratungsstellen gegen Rechts soll abgesichert werden.
Um nicht missverstanden zu werden: Die Aufzählung bisheriger Sondierungsergebnisse ist nicht als Argument für oder gegen den Begriff Unrechtsstaat gedacht. So richtig es ist, dass die DDR nicht auf ein Wort zu bringen ist, so richtig ist es, dass man über den staatssozialistischen Versuch nicht sprechen kann, ohne das in der DDR von Menschen erlittene Unrecht zu thematisieren - und die Frage, wer dafür verantwortlich war. Die derzeit geführte Diskussion leistet das aber kaum. Sie läuft auf mehreren Ebenen ab und spiegelt auf ihre Weise den Stand öffentlicher Aufarbeitung – also auch die Schwächen, Verengungen und Reflexe. tos
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