Bahn frei für ein bahnfreies Wochenende?
Neues Angebot der DB AG für Lokführer / Juristen halten geplantes Tarifeinheitsgesetz für verfassungswidrig
Die GDL lässt keinen Zweifel daran, dass sie ihre Forderungen nach mehr Lohn, kürzerer Wochenarbeitszeit und Überstundenbegrenzung für das gesamte Fahrpersonal bei der Deutschen Bahn mit allen Mitteln durchsetzen will. Bereits einen Tag nach dem Ende einer 14-stündigen Arbeitsniederlegung rief die Gewerkschaft erneut zum Streik auf. Den Anfang machte am Freitag um 15 Uhr der Güterverkehr, ab zwei Uhr sollten in der Nacht zum Sonnabend auch der Fern, Regional- und Nahverkehr lahm gelegt werden. Das Ende der Arbeitsniederlegung wurde für Montag früh um vier Uhr angekündigt.
Kurz nach Beginn des Streiks im Güterverkehr legte die Bahn ein neues Angebot vor. Es sehe eine dreistufige Gehaltserhöhung um fünf Prozent innerhalb von zweieinhalb Jahren sowie eine Einmalzahlung von rund 325 Euro für die Lokführer vor, teilte der Konzern am Freitag mit. Zudem sei die Einstellung von 200 zusätzlichen Lokführern zum Abbau von Mehrarbeit angeboten worden. Die Bahn forderte die GDL auf, den Ausstand abzusagen. Für Sonntag bot der Konzern neue Gespräche an. Personalvorstand Ulrich Weber sagte, man sei zu allen Themen gesprächsbereit. Die GDL äußerte sich bis Redaktionsschluss nicht zu dem Angebot.
Ein Bahn-Sprecher hatte zuvor mit Blick auf den GDL-Vorsitzenden Claus Weselsky gesagt, es werde immer deutlicher, dass es nicht um die Interessen der Lokführer gehe, »sondern um Allmachtsfantasien eines Funktionärs«. Weselsky zeigte sich unbeeindruckt: Der GDL bleibe keine Wahl, als zum Erzwingungsstreik zu greifen. Er verwies darauf, dass die Konzernführung in früheren Gesprächen eingeräumt habe, dass die GDL die Mehrheit der 37 000 Beschäftigten in den Eisenbahnverkehrssparten der Bahn vertrete. Man sei zu inhaltlichen Kompromissen bereit, doch das Recht, für die GDL-Mitglieder Tarifverträge abzuschließen, stehe nicht zur Disposition.
Passend zur Streikankündigung kündigte Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) am Freitag an, Anfang November einen Entwurf für das im Koalitionsvertrag mit der CDU/CSU vereinbarte Tarifeinheitsgesetz vorzulegen. Nahles räumte an, dass es sich dabei um eine verfassungsrechtliche Gratwanderung handele. Einerseits wolle man die Interessen der mitgliederstärksten Gewerkschaft in einem Betrieb berücksichtigen, gleichzeitig müsse aber auch das im Grundgesetz garantierte Streikrecht der kleineren Gewerkschaften gewahrt werden. Details nannte Nahles am Freitag nicht.
Hintergrund ist ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom Juni 2010, mit dem der bis dahin geltende Grundsatz »ein Betrieb - ein Tarifvertrag« auch im Hinblick auf die Verfassung gekippt wurde. Seitdem fordern Wirtschaftsverbände und auch einige dem DGB angehörenden Einzelgewerkschaften von der Politik eine gesetzliche Regelung zur Tarifeinheit.
Renommierte Verfassungs- und Arbeitsrechtler wie Udo di Fabio und Wolfgang Däubler schließen jedoch aus, dass ein Gesetz, welches die Rechte von Sparten- und Berufsgewerkschaften in Kernbereichen beschneidet, mit der Verfassung vereinbar sein könnte. Einige der betroffenen Organisationen, darunter neben der GDL auch der Marburger Bund (Ärzte), Cockpit (Piloten), UFO (Flugbegleiter) GdF (Flugsicherung) und der Deutsche Journalistenverband haben bereits angekündigt, gegen ein derartiges Gesetz Klage beim Bundesverfassungsgericht einzureichen.
Auf die aktuellen Tarifauseinandersetzungen wird der Gesetzentwurf ohnehin kaum Einfluss haben. Neben der GDL, die weitere Streiks nicht ausschließt, wenn die Bahn bei ihrer Haltung bleibt, will auch Cockpit notfalls mit weiteren Arbeitsniederlegungen die Pläne der Lufthansa für eine drastische Verschlechterung der Vorruhestandsregelungen zu Fall bringen.
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