Achselzucken und Bestürzung

Das Scheitern der westdeutschen Linken liegt vor 1989 – in den 70er Jahren.

  • Georg Fülberth
  • Lesedauer: 7 Min.

Als die Berliner Mauer fiel und die DDR unterging, brach für einige Linke in der Bundesrepublik eine Welt zusammen, aber nicht für alle: Andere waren entweder von Anfang an oder spätestens 1976/77 mit dem zweiten deutschen Staat fertig.

Für die SPD galt das ohnehin. Ihr Konzept des »Demokratischen Sozialismus«, 1951 bei der von ihr mit vorangetriebenen Gründung der Sozialistischen Internationale proklamiert, richtete sich nicht nur auf ein positives Ziel, sondern auch gegen das Modell der Sowjetunion und der DDR. Im November 1989 schien sich abzuzeichnen, dass u.a. mit Thüringen und Sachsen zwei Ursprungsländer der deutschen Sozialdemokratie wieder zu deren Hochburgen werden könnten. Umso größer war die Enttäuschung, als sich dies bei den Wahlen von 1990 nicht bewahrheitete und die SPD dort schwach blieb.

Für den Deutschen Gewerkschaftsbund und dessen Einzelverbände gilt Ähnliches. Durch die Übernahme des FDGB schwollen die Mitgliederzahlen zunächst an. Danach sanken sie schnell, und nach wie vor gibt es in den sogenannten Neuen Bundesländern Organisierungsdefizite, die größer sind als im Westen. Bis 1989 wurde die DDR längere Zeit als »der dritte Verhandlungspartner« in Tarifrunden bezeichnet. Der Sieg des Kapitals nunmehr in ganz Deutschland und die Deindustrialisierung des Ostens schwächen gewerkschaftliche Kampfpositionen bundesweit.

Nach 1968 waren in der Bundesrepublik und Westberlin maoistische Kleinparteien entstanden. Sie waren meist antisowjetisch und auch gegen die DDR. Eine von ihnen, die »Kommunistische Partei Deutschlands (Aufbauorganisation)«, hatte 1975 eine Erklärung »Für ein unabhängiges, vereintes und sozialistisches Deutschland« veröffentlicht. 1989/1990 hatte sie keine Gelegenheit mehr, für die Verwirklichung dieses Ziels einzutreten, denn 1980 hatte sie sich aufgelöst.

Die originellste und lebendigste kommunistische Kleinorganisation im Westen war der Kommunistische Bund (KB). Zur DDR hatte er ein eher aseptisches Verhältnis: ohne besondere Zu- oder Abneigung. 1978 hatte sich eine »Gruppe Z« aus dem KB herausgelöst und versuchte ihre Positionen in die Gründungsphase der Grünen einzubringen. Einer ihrer Wortführer, Thomas Ebermann, stellte später fest, dies sei früh gescheitert: Ökosozialistische Positionen hätten keine Chance in einer von Anfang an bürgerlichen Partei gehabt. 1988/1989 beteiligten er, Rainer Trampert (ehemaliger Vorstandssprecher der Grünen) und der weiterhin bestehende KB sich an dem auch von der Monatszeitschrift »Konkret« unterstützten Versuch, eine neue politische Formation, die »Radikale Linke« zu schaffen. Die Wiedervereinigung ließ diese von Anfang an scheitern.

Für die in der Vierten Internationale organisierten Trotzkisten war die DDR eine Diktatur der Bürokratie. Ziel musste deren Sturz durch eine Arbeiterrevolution sein. Vorbild wurde seit 1980 der Kampf der polnischen Gewerkschaft Solidarność. 1989 war bereits klar geworden, dass daraus kein erneuerter Sozialismus entstehen würde, sondern eine kapitalistische Demokratie. Dies dämpfte die Erwartungen an die Wende in der DDR.

Bereits seit der zweiten Hälfte der 50er Jahre hatte sich international eine »Neue Linke« (vor allem unter Intellektuellen) gebildet, die sich in gleicher Distanz zur Sozialdemokratie wie zu den kommunistischen Parteien hielt. Ab 1968 gewann sie breiteren Einfluss an einigen Universitäten der Bundesrepublik und Westberlins. Ihr »westlicher Marxismus« setzte sich vom Staatssozialismus ab. Organisatorische Ansätze waren u.a. das sich als undogmatisch verstehende »Sozialistische Büro« und theoretische Zirkel um das »Projekt Klassenanalyse« (u.a. Joachim Bischoff).

Wer auch immer mit dieser akademischen Neuen Linken politisch wirksam werden wollte, war früher oder später darauf verwiesen, das in der Bundesrepublik und Westberlin bestehende Kräfteverhältnis zu analysieren und zum Ausgangspunkt der eigenen Praxis zu machen. Teilweise wurde das theoretische Potenzial der DDR genutzt (z.B. die Definition des »Staatsmonopolistischen Kapitalismus«), teils wurden ihm eigene Marxismus-Varianten gegenübergestellt. Der Staatssozialismus war bald nicht mehr Gegenstand der Untersuchungen, sein Ende ab 1989 betraf nicht die Substanz dieser Gruppen.

Anders war das mit der DKP und der SEW. Deren Strategie orientierte sich an ihrer Parteinahme für die sozialistischen Länder und an einem Konzept der Antimonopolistischen Demokratie, die durch ein Bündnis um den Kern der Arbeiterklasse zu erkämpfen sei. Dass die beiden Parteien finanziell von der DDR abhängig waren, wussten auch ihre »einfachen« Mitglieder, ohne es zu thematisieren. Angesichts all dessen, was über große Geldspenden (legal und illegal) an CDU/CSU und FDP - in geringerem Maß auch an die SPD - schon damals bekannt war, musste man vielleicht noch nicht einmal ein schlechtes Gewissen haben. Warum sollte man sich für gute Politik nicht von den Genossen in der DDR unterstützen lassen? Anders stand es mit der inhaltlichen Abhängigkeit, die oft den im Westen gegebenen Tatsachen nicht Rechnung trug.

Ab ca. 1976 begann in der DKP und in der SEW der Eurokommunismus zu wirken, die Ausbürgerung Biermanns erschütterte die jungen Intellektuellen, die nach 1968 zu diesen beiden Parteien gestoßen waren. 1980 hatte sich eine Gruppe »Klarheit« von der SEW getrennt, ein Jahr nach dem Antritt Gorbatschows kam es zur offenen Krise in der DKP. Die Richtung der »Erneuerer« forderte mehr innerparteiliche Demokratie, konkret: die Zulassung verschiedener innerparteilicher Plattformen (»Strömungen«). Zugleich ging es um die Sicht auf die kapitalistische Gesellschaft und die daraus zu ziehenden Konsequenzen: War - wie auch schon von der Theorie des Staatsmonopolistischen Kapitalismus nahegelegt - kurzfristig keine Revolution zu erwarten, musste eine Strategie der zunächst systeminternen, dann systemüberwindenden »Reformalternative« entwickelt werden. Ähnliche Überlegungen hatte es einige Jahre lang auch bei den Jungsozialisten gegeben. Die Konzentration auf die Handarbeiterschaft als Zentrum eines antimonopolistischen Bündnisses war angesichts des Heranwachsens der Intelligenz zu einer Massenschicht zu überdenken. Für die Führung der DKP, wohl auch für die sie anleitende SED, schien dies alles zu riskant, und sie blockierte.

Merkwürdig: In der immer heftiger werdenden innerparteilichen Auseinandersetzung war die DDR kein Thema. Niemand fragte, in welchem Verhältnis deren Stagnation und ihr politisches System zu den eigenen Vorstellungen standen. Bei der Parteiführung und dem ihr folgenden (»Bewahrer-«)Flügel war das ja nicht verwunderlich, aber die »Erneuerer« praktizierten hier ebenfalls striktes unkritisches Stillschweigen. Auch sie wollten wohl die Fremdfinanzierung nicht gefährden, setzten auf das, was man in zynischer Terminologie hinter vorgehaltener Hand als »biologische« Lösung bezeichnete: die Ablösung der greisen Führung der SED durch jüngere, flexiblere Kräfte, mit denen man insgeheim im Bund zu sein vermeinte. Diese Haltung zeigte ihre katastrophalen Folgen nach dem 9. November 1989: Wer sich bis dahin bedeckt gehalten hatte, brachte, wenn es um einen Neuanfang unter veränderten Bedingungen ging, keine Glaubwürdigkeit mit. Die Schutzbehauptung, man habe Vieles nicht gewusst, machte es nur noch schlimmer, denn man stellte sich im Nachhinein auch noch als Dummkopf dar, der nicht habe sehen wollen, was für alle anderen, gerade auch die Antikommunisten, schon lange klar war.

Schlimm wurde der Mauerfall für diejenigen ehemalige Mitglieder der »Roten Armee Fraktion« (RAF), die als Aussteiger(innen) in der DDR Zuflucht gefunden hatten. Sie wurden in der Folgezeit verhaftet, vor Gericht gestellt und verurteilt. Durch ihr Ausscheiden aus der bewaffneten Aktion - Voraussetzung für ihre Aufnahme ins ostdeutsche Exil - hatten sie schon Jahre vorher ihre persönlichen Konsequenzen daraus gezogen, dass ihr Kampf aussichtslos geworden war.

Paradoxerweise zeigt sich: Das Ende der DDR war zwar national- und gesellschaftspolitisch sowie international von enormer Bedeutung, aber nicht für die westdeutsche Linke. Deren Krise hatte schon lange vorher eingesetzt. Nicht nur ihre radikalsten, sondern auch ihre reformistischen Kräfte waren deutlich vor 1989 gescheitert.

Wann? Mitte der 70er Jahre.

Nach 1968 war eine neue politische Generation in das gesellschaftliche Leben eingetreten. Studierendenbewegung, Arbeiterkämpfe in Westeuropa, die Selbstbehauptung der sozialistischen Länder im Systemkonflikt erschienen als Anzeichen einer denkbaren revolutionären Entwicklung. Mit der Weltwirtschaftskrise von 1975, dem Beginn der Massenarbeitslosigkeit, dem sich danach anbahnenden Sieg einer marktradikalen Politik und der bald nicht mehr zu übersehenden Erstarrung in der UdSSR und der DDR erwies sich dies als Illusion. Die revolutionären Kleingruppen gerieten in Krisen, lösten sich teilweise auf oder suchten nun Reformwege, die aber nun gleichermaßen immer schwerer fortzusetzen waren. Der »Deutsche Herbst« 1977, als der Staat die RAF aufrollte, war auch für die anderen radikalen Organisationen ein Symbol für die Perspektivlosigkeit bisheriger Militanz. Der Rest, 1989, war für sie nur noch Abwicklung, den man mit resigniertem Schulterzucken zur Kenntnis nahm.

Das ist die eine Erzählung. Eine andere geht so:

Es gab nicht nur Achtundsechziger, sondern auch Neunundfünfziger: Seit dem Godesberger Programm der SPD (1959) geisterte durch die westdeutsche Linke der Traum von einer neuen sozialistischen Partei zwischen Sozialdemokratie und Kommunismus. Seine Realisierung scheiterte immer wieder, zuletzt mit den von Karl-Heinz Hansen und Manfred Coppik 1982 gegründeten »Demokratischen Sozialisten«. Durch die PDS schien ein neuer Anlauf möglich. Ob aus dem Zusammenschluss der Geschlagenen Ost und West etwas Weiterführendes entstehen konnte oder ob dazu eine jüngere Generation und ein vorangehender interner Umbruch in der kapitalistischen Entwicklung vonnöten ist - das müssen Spätere beurteilen.

Georg Fülberth, Jahrgang 1939, zählt seit Jahrzehnten zu den einflussreichsten linken Intellektuellen. Er war bis 2004 Professor für Politikwissenschaften an der Universität Marburg.

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