Gabriel: Steuerdumping legt »Axt an europäische Solidarität«
Linkspartei wirft EU-Kommissionspräsident Beihilfe zur Steuerhinterziehung großer Konzerne vor / ICIJ-Recherchen über Steuervermeidung von Großkonzernen mit Unterstützung von PwC und der Luxemburger Regierung
Update 15.55 Uhr: Nach den Enthüllungen über die Steuerpraktiken in Luxemburg reißt die Kritik an dem Großherzogtum nicht ab. Staaten dürften Steuerdumping nicht zum Geschäftsmodell erheben, sonst legten sie »die Axt an die europäische Solidarität«, sagte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) der »Süddeutschen Zeitung« (Freitagsausgabe). Die Zeitung und andere internationale Medien hatten zuvor berichtet, Luxemburg helfe hunderten Konzernen, Steuern in Milliardenhöhe zu vermeiden. »Dieser Spuk muss so schnell wie möglich aufhören«, forderte Gabriel. Die neue EU-Kommission des Luxemburgers Jean-Claude Juncker müsse die Verhinderung von Steuerdumping zur Priorität erheben. »Wenn internationale Konzerne EU-Mitgliedstaaten gegeneinander ausspielen können, steht das Projekt Europa insgesamt in Frage«, sagte Gabriel. Wenn Konzerne weniger Steuern zahlten als jeder Handwerker, gefährdeten sie zudem die Finanzierung des Gemeinwesens.
Der LINKEN-Vorsitzende Bernd Riexinger sagte dem »Handelsblatt«, sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten, wäre Juncker als Kommissionspräsident »nicht mehr zu halten« und müsse gehen. Auch die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt sagte der »Süddeutschen Zeitung«, Juncker sei »nicht besonders glaubwürdig in der Rolle des obersten Bekämpfers von Steuervermeidung«. Sie äußerte scharfe Kritik am Vorgehen der Konzerne ebenso wie der luxemburgischen Regierung. »Das Verhalten der Konzerne untergräbt massiv die Steuermoral all derjenigen, die regulär Steuern zahlen. Und EU-Länder sollten nicht in einen ruinösen Steuerwettbewerb treten«, sagte Göring-Eckardt.
Update 14.05 Uhr: EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat nach Angaben eines Sprechers »sehr gelassen« auf Vorwürfe reagiert, er sei in seiner Zeit als luxemburgischer Premierminister für fragwürdige Steuersparmodelle für Großkonzerne verantwortlich gewesen. »Wenn ich ein Teenager wäre, könnte ich den Begriff 'cool' benutzen«, sagte Margaritis Schinas am Donnerstag in Brüssel auf die Frage eines Journalisten. »Aber belassen wir es bei 'gelassen'.« Zu den Berichten über die umstrittenen Steuerpraktiken sagte der Sprecher, die zuständige EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager werde die Vorwürfe gegen luxemburgische Behörden vollkommen unabhängig untersuchen. Dabei verwies er auf bereits laufende Prüfverfahren, die neben Luxemburg auch Irland und die Niederlande beträfen. Zu Detailfragen müsse die derzeitige luxemburgische Regierung Stellung nehmen. Grundsätzlich sei es so, dass jedes EU-Land mit allen Mitteln versuche, Investoren anzulocken. Dies werde immer so bleiben, sagte Schinas. Rolle der Kommission sei es, dafür zu sorgen, dass alle die Regeln einhielten.
Update 13.15 Uhr: Die Linkspartei in Hessen fordert vom hessischen Finanzminister Thomas Schäfer (CDU) Aufklärung über den Umfang der Zusammenarbeit der Landesregierung mit verschiedenen Unternehmensberatungen, unter anderem auch PricewaterhouseCoopers (PwC). Bereits im Juli 2014 stellte die Linksfraktion dazu eine kleine Anfrage, die hessische Regierung hat eine Antwort bis Ende November zugesagt. Willi van Ooyen, Vorsitzender und finanzpolitischer Sprecher der LINKEN-Fraktion Landtag, sagt: »Der hessische Finanzminister hat heute erklärt: ‚Gegen Betrüger. Gegen Trickser. Für Gerechtigkeit. Das ist unsere Steuerpolitik.‘ Wenn er das ernst meint, muss er deutlich machen, ob und wie sich dies auf die Zusammenarbeit mit der Unternehmensberatung PwC auswirkt«, so van Ooyen. Immerhin sei dies genau die Unternehmensberatung, die die Steuertricks für Unternehmen in Luxemburg entwickelt habe. Van Ooyen weiter: »Wenn die heutige Erklärung des Finanzministers nicht nur geduldiges Papier bleiben soll, sondern ernst gemeint ist, dann müssen die aktuellen Enthüllungen Folgen für die Zusammenarbeit mit PwC haben.«
Update 12.26 Uhr: Die Linkspartei hat dem langjährigen Luxemburger Premierminister und heutigen EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker Beihilfe zur Steuerhinterziehung großer Konzerne vorgeworfen. Luxemburg habe unter Junckers Federführung viele Jahre im großen Stil Unternehmen geholfen, ihre Steuerlast teils auf Null zu senken, kritisierte die Vizechefin der Linksfraktion, Sahra Wagenknecht, am Donnerstag im Bundestag.
»Das finde ich schon bemerkenswert, dass Beihilfe zur Steuerhinterziehung und Beihilfe dafür, dass große Konzerne die Allgemeinheit in Europa in Milliarden- und Billionenhöhe schädigen können, dass das offensichtlich für höchste Ämter in Europa prädestiniert.«
Der SPD-Finanzexperte Carsten Schneider verlangte umgehend Aufklärung von Juncker, der auch lange Finanzminister in Luxemburg war. Juncker müsse sagen, was er von den Handlungsweisen der Luxemburger Steuerbehörden gewusst habe.
Die luxemburgische Regierung hingegen hält die Steuerpraktiken im Großherzogtum für rechtmäßig, räumt aber ein politisches Problem durch günstige Steuervereinbarungen mit internationalen Großkonzernen ein. »Luxemburg hält sich an nationale Gesetze und internationale Gesetze«, sagte Regierungschef Xavier Bettel am Donnerstag vor Journalisten in Luxemburg. »Wir sind absolut auf dem Weg zur Steuergerechtigkeit«, sagte er nach Berichten luxemburgischer Medien.
Die Enthüllungen über Vereinbarungen mit Unternehmen »werfen natürlich kein gutes Licht auf Luxemburg«, fügte er hinzu. Finanzminister Pierre Gramegna sagte, ähnliche Praktiken gebe es in vielen anderen Ländern. Die seit Ende 2013 in Luxemburg amtierende Regierung von Liberalen, Sozialisten und Grünen sei grundsätzlich zwar gegen »steuerliche Optimierungen«, doch könne Luxemburg diese nicht alleine beseitigen.
Update 11:20 Uhr: Im Kampf gegen Steuervermeidung, Steuerflucht und illegale Steuerhinterziehung sieht Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) beim EU-Land Luxemburg deutlichen Handlungsbedarf. »Da bleibt noch viel zu tun«, sagte Schäuble am Donnerstag in einer Regierungserklärung im Bundestag. Schäuble sagte, Luxemburg habe zwar mit 51 anderen Ländern in der vergangenen Woche das Abkommen zum automatischen Informationsaustausch über Bankkundendaten unterzeichnet, aber es gebe »nicht nur illegale Steuerhinterziehung, sondern auch die Ausnützung von legalen Gestaltungsmöglichkeiten, und das ist der nächste Schritt«. Luxemburg sieht sich immer wieder Vorwürfen von Steuerdumping und undurchsichtigen Geschäften seiner Finanzbranche ausgesetzt.
Update 9.55 Uhr: Der wirtschafts- und finanzpolitische Sprecher der Grünen im Europaparlament, Sven Giegold, sieht nach der Veröffentlichung der Luxemburg-Leaks die Glaubwürdigkeit von EU-Kommissionspräsident Juncker »beschädigt«. Noch nie sei »an so konkreten Beispielen sichtbar« geworden, »wie und in welchem Ausmaß transnationale Unternehmen Steuern um Milliardenbeträge drücken. Die Veröffentlichung ist ein Glücksfall und historische Gelegenheit für den Kampf gegen Steueroasen. Juncker war als Finanzminister und Premier Luxemburgs für die Einführung der maßgeschneiderten Steuerbescheide verantwortlich. Juncker hat sich so zum Komplizen von Steuerdrückern gemacht und damit andere EU-Staaten um Steuermilliarden gebracht. Er hat damit Europa geschadet. Nun muss Juncker ein Aktionsprogramm gegen aggressives Steuerdumping vorlegen. Nur so kann er die Zweifel an seinem Interessenkonflikt als Kommissionspräsident ausräumen.«
Update 8.25 Uhr: Der Europaabgeordnete der Linken, Fabio De Masi, forderte in einer ersten Reaktion im Kurznachrichtendienst Twitter die EU-Kommission zum Handeln auf. »Juncker muss die politische Verantwortung übernehmen«, so De Masi.
Fälle aus der Amtszeit des jetzigen EU-Kommissionspräsidenten Juncker
Berlin. Deutsche und internationale Konzerne vermeiden mit Unterstützung der Luxemburger Regierung Steuerzahlungen in Milliardenhöhe. Das berichten unter anderem NDR, WDR und »Süddeutsche Zeitung« unter Berufung auf eine große Zahl geheimer Dokumente. Die Auswertung von 28.000 Seiten habe belegt, heißt es in einer Vorabmeldung, »dass die Luxemburger Behörden zum Teil äußerst komplizierte Finanzstrukturen genehmigten, die das Beratungsunternehmen PricewaterhouseCoopers im Auftrag der Firmen entwickelt hatte. Manche Unternehmen haben aufgrund dieser Steuergestaltungen auf Gewinne teilweise weniger als ein Prozent Steuern gezahlt.« Die Recherchen waren monatelang vom Internationalen Konsortium investigativer Journalisten (ICIJ) in Washington gemeinsam mit Kooperationspartnern betrieben worden.
»Die bisher geheimen Dokumente zeigen, wie zahlreiche multinationale Firmen, darunter Pepsi, FedEx und Procter & Gamble, vom System Luxemburg profitiert haben«, heißt es in der Vorabmeldung. »Zudem finden sich neue Unterlagen zu Amazon und IKEA in dem Datensatz. Beide Unternehmen waren durch ihre Steuergestaltungen bereits öffentlich in die Kritik geraten.« In dem Datensatz hätten sich auch Informationen zu den DAX-Konzernen Deutsche Bank, E.ON und Fresenius Medical Care gefunden.
Steuersparmodelle für Konzerne sind in Luxemburg legal. Allerdings prüfe die Europäische Kommission bereits in zwei Fällen, ob die Entscheidungen der Luxemburger Behörden nicht gegen europäisches Wettbewerbsrecht verstoßen, weil den Konzernen unfaire Vorteile eingeräumt würden, heißt es. Die bisher geheimen Unterlagen stammen vorwiegend aus den Jahren 2008 bis 2010 und fallen damit in die Amtszeit des damaligen Premierministers Jean-Claude Juncker. Der ist heute EU-Kommissionspräsident - und wolle sich in die Ermittlungen nicht einzumischen. Luxemburgs amtierender Premierminister Xavier Bettel verteidigt die Steuerpolitik seines Landes gegenüber der »Süddeutschen Zeitung«.
Bereits 2012 hatte der französische Journalist Edouard Perrin erstmals über einen kleinen Teil der Dokumente berichtet. Das ICIJ hat den Datensatz auf seiner Internetseite www.icij.org veröffentlicht. nd/mit Agenturen
Hier können Sie selbst in der Datenbank recherchieren.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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