Kompass oder Launen des Windes?

Stadt-Bild / Kunst-Raum - zu sehen in Potsdam

  • Harald Kretzschmar
  • Lesedauer: 5 Min.

In Potsdam triumphiert eine Autorität über alles: Der große König. Friedrich allewege. Also nun auch ein Fritz-Zitat als Leitmotiv fürs Museum. »Das gebieterische Gesetz der Notwendigkeit zwang mich zu viel dem Zufall zu überlassen ...« steht in Leuchtschrift an der Oberkante des schönen Boumann-Baus des Alten Rathauses. Und setzt sich salomonisch fort mit »Verhalten eines Piloten, der sich mehr den Launen des Windes als den Angaben des Kompasses überliefert«. Basta. Nun denk dir was dabei, Publikum.

Pilot? Das ist im damaligen Wortsinn der Steuermann eines Segelschiffs. Kaum schlüssiger lässt sich wohl Politik als Kunst des Möglichen definieren. Dieser von Rainer Gottemeier gefundene, gestaltete und erworbene Spruch ist vielseitig deutbar. Da in Potsdam traditionell die Neigung besteht, die Ausschläge der Kompassnadel zu ignorieren und sich vermeintlich günstigen Winden auszuliefern, ist das Ergebnis oft genug katastrophal. Als der Sturm der friedlichen Revolution im November 1989 abebbte und ein lauer, aber heftiger Westwind die Kulturszene aufwirbelte, ging einiges zu Bruch.

Kompasslos in die mittlere Katastrophe, das war das Schicksal der über 5000 Kunstwerke umfassenden Sammlung bildender Kunst aus dem ganzen Bezirk Potsdam und darüber hinaus. Die Odyssee des Depots der - wie schrecklich! - »Galerie Sozialistische Kunst« benannten Kollektion begann mit Verkauf und Räumung des Hauses in der Potsdamer Tieckstraße. Sorgsam archiviertes und inventarisiertes Kulturgut war schnell als Altlast abgehakt, nachdem es von vermeintlichen Fachgutachten als provinziell abgewertet war. Ausstellen wurde undenkbar. Hatte doch ausgerechnet im August/September 1989 in fünf Ausstellungshäusern der Stadt diese Kunstszene mit vorher ungekannter Freizügigkeit sich in voller Breite gezeigt. Noch keine sensationellen Installationen, aber Abstraktion und Stadtzerstörung und Privatsphäre waren präsent. Ledig des bislang vorherrschenden Dogmas. In den Wochen der Endzeit des siechenden Staates unerkannt. Zu früh.

Der Vorgang war so surreal - das glaubt heute kein Mensch. Wochen später bereits war es zu spät zu sagen: Seht her, wir zeigen euch unsere Mitgift für die Ehe, die der Westen mit dem Osten schließt. Wir wissen es, diese Seite kam gleich unter den Pantoffel. Marchwitzahaus, Claudiusclub, Staudenhofgalerie, Hillerbrandtsche Häuser, Pavillon Freundschaftsinsel - alles wurde mit den Jahren abgewickelt. Die Sammlung blieb verschlossen. Wer auch immer das alles geschaffen hatte, blieb stumm. Goldfische im Zierteich der Eventgesellschaft reden nicht. Wer herausgefischt wird und auf den Markt kommt, entscheidet der Händler.

Es war eher eine Frage fortschreitender Zeit als einsichtsvollen Erinnerns, das Ganze mal wiederzuentdecken. Die einheimischen Kunsthüter hatten keinen Finger gerührt, als 2008 die Kunsthistorikerin Jutta Götzmann aus Münster kam. Zur Museumschefin berufen, durfte sie das einer Landeshauptstadt nun gemäße Potsdam Museum »Forum für Kunst und Geschichte« nennen. Der Inhalt höchst behelfsmäßiger Depots war zu erschließen. Ödnis war erwartet. Sie erschrak, und staunte. Ein Mix von mittelprächtiger bis hochkarätiger Kunst kam zu Tage, eine Lebenswelt voller Gegensätze und Widersprüche zeigend. Sofort kam ihr die Idee einer Übersicht zur Interpretation von wohnlicher Stadtlandschaft.

So entstand das aktuelle Ausstellungsprojekt »Stadt-Bild / Kunst-Raum«. Sie brachte es nun mit der als inzwischen weitgereistem Ostgewächs kundigen Anna Havemann auf den Weg. Was die Auswahl der Werke und ihre Ergänzung mit Leihgaben aus einigen anderen Museen betrifft, ist das als Glanzleistung zu betrachten. Der Kunstgriff des Zurückgreifens auf einige auswärtige Namen erlaubt nämlich erstmals die Zuordnung Potsdamer Malerei zu der der prominenten Kunst-Zentren Berlin, Dresden.und Leipzig. Werner Gottsmann auf Augenhöhe mit Walter Womacka, Barbara Raetsch mit Konrad Knebel, Peter Rohn mit Harald Metzkes, Wolfgang Biedermann mit Kurt Querner, Heinz Böhm mit Clemens Gröszer, Hubert Globisch mit Manfred Butzmann - das sah man so noch nie. Übrigens Namen, die das offizielle Potsdam sich nun endlich einmal merken könnte.

Die Gliederung in acht Erlebnisräume ist recht plausibel. Die textlichen Kommentare atmen jedoch eine dem Kunstbetrieb unangemessene political correctness. Der ach so schrecklich gegängelte Künstler, in die Weite politikferner Landschaft flüchtend: eine Bilderbuchfigur. Das Klischee der zwangsweise staatlich verordneten realistischen Malweise ist angesichts der vielfältigen hier anzutreffenden Handschriften ja auch nicht mehr haltbar. In den Kapiteln »Parallelwelten«, »Freiräume« und »Experimentierflächen« wird sichtbar gemacht, wie offen die Sammeltätigkeit der damaligen Chefin Renate Bergerhoff war. 1979 erwarb sie etwa vom unangepassten Leipziger Günter Firit die vitale »Stadtvision«. Die damals jungen Ulla Walter, Frank Gottsmann, Thomas Jung, Christa und Peter Panzner durfte sie mit Hilfe der seinerzeit üblichen Werkverträge nach Studienabschluss entdecken.

Gewiss, es gibt Qualitätsunterschiede im Gezeigten. Wolfram Baumgardt oder Roland Nicolaus wirken in puncto Malkultur leicht überfordert. Von Wolfgang Wegener und Karl Raetsch gibt es interessantere Beispiele. Die Einbeziehung grafischer Arbeiten erfrischt. In der Hängung wirken sie allerdings allzu marginal. Mühsam, aber respektabel war der Aufbauprozess der Nachkriegsjahre, in dem ein Stadtgesicht entstand. Häufig zeichnerisch oder malerisch interpretiert, wirkt alles sehr menschlich.

Das Ganze ist eine so anregende Veranstaltung, dass man heilfroh sein könnte. Wenn es nicht das übergroße Aber gäbe. In maßloser Verblendung jubelt man das gastgebende Gebäude des Alten Rathauses zum idealen Ort hoch, der es in keiner Weise ist. Im Gegenteil. Der mit dem Achtmillionen-Umbau betraute Architekt Reiner Becker hat der Stadt da ein Kuckucksei letzter Güte ins Nest gelegt. Was wurde aus dem von Horst Görl denkmalgerecht gestalteten und 1966 übergebenen Wunderbau? Die von Tageslicht durchflutete, für Kunst und Bürger offene, klar gegliederte Raumsituation mutierte zu einem finsteren, vergitterten Monstrum. Das Treppenhaus verbaut, die riesigen, auf den Schlossplatz weisenden Fenster hermetisch verschlossen - eine Zumutung für die Kuratorinnen und ihr Publikum.

Tritt man vor die schmucklos funktionale Tür, blickt man nun aufs Landtagsschloss. Links eine pseudobarocke Häuserzeile im Bau. Sie riegelt den Blick auf das Wasser ab. Rechts erhaben klassizistisch mahnend Schinkels Nikolaikirche. Betritt man sie, ist man fasziniert von geradezu moderner Großzügigkeit. Die flankierenden, forciertem Verfall und Hass-Abriss preisgegebenen Bauten der Fachhochschule nahmen ihre Maße auf. Der Staudenhof zum Platz der Einheit hin verkommt zur Ruine. Quer davor verödet die Magistrale der Stadtmitte »Am Kanal«. Wer will eigentlich ernsthaft die Folgen destruktiver Preußen-Nostalgie für die architektonische Gestalt dieser Stadt noch verantworten?

Stadt-Bild / Kunst-Raum. Entwürfe der Stadt in Werken von Potsdamer und Ostberliner Künstlerinnen und Künstler (1949-1990). Potsdam Museum, Altes Rathaus, bis 11.1.2015, Di, Mi, Fr 10-17 Do-19 Sa, So 10-18 Uhr. Begleitprogramm. Katalog.

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