Weltmeister machen Löw wütend

Der Bundestrainer geht nach dem 4:0 gegen Gibraltar auf Distanz zu den Spielern

  • Frank Hellmann
  • Lesedauer: 4 Min.
Selbst Gibraltar taugt nicht mehr als Aufbaugegner für den Weltmeister Deutschland: Vor dem Prestigeduell am Dienstag in Spanien wirkt auch Bundestrainer Joachim Löw grundsätzlich verstört.

Vigo, so viel steht fest, reicht trotz einer charmanten Altstadt und bedeutenden Fischereiindustrie nicht an das Flair von Madrid, Barcelona oder Valencia heran. Und die Industrie- und Hafenstadt im Nordwesten der iberischen Halbinsel wird auch nicht mehr zum Nabel der spanischen Fußball-Welt: Der ortsansässige Klub Celta de Vigo hat die besten Zeiten hinter sich und war die vergangenen Jahre in den üblichen Überlebenskampf jener minder bemittelten Vereine der Primera Division verstrickt, die sich im Schlagschatten der Giganten aus den Großstädten abstrampeln müssen. Trotzdem hat der spanische Fußballverband das Prestigeduell am Dienstag zwischen Weltmeister Deutschland und Ex-Weltmeister Spanien nach Galicien vergeben, obwohl kaum ein deutscher Zweitligist auf das zugige Estadio Balaidos mit Platz für knapp 32 000 Zuschauern stolz wäre.

Dazu passt, dass auch der Tross der deutschen Nationalmannschaft improvisieren muss, wenn die aus München kommende Chartermaschine LH 342 am Montag die 300 000-Einwohnerstadt erreicht. Die Pressekonferenz wurde kurzfristig in ein Hotel nahe der Küstenpromenade verlegt, auf der neben Joachim Löw auch Toni Kroos sprechen soll. Der Bundestrainer kann die spanische Nationalmannschaft loben, der Wahl-Madrilene den spanischen Fußball. Löw und Kroos gehörten ja zu denjenigen, die mit gewaltigem Frustfaktor aus dem EM-Qualifikationsspiel gegen Gibraltar (4:0) ins Wochenende gingen. Beide moserten und meckerten über die Verteidigungshaltung der Feierabendkicker vom Affenfelsen, daneben gab es noch den mäßig gelaunten Thomas Müller, der die Sinnhaftigkeit solcher Duelle anzweifelte. »Ob man unseren Profikalender mit solchen Pflichtspielen auffüllen muss, ist die große Frage.«

Das Kardinalproblem scheint indes ein anderes, wenn nicht mal ein Zwerg als Aufbaugegner taugt. Und wie zuletzt in Gelsenkirchen war es auch in Nürnberg erstaunlicherweise Jerome Boateng, der den Finger in die Wunde legte. »Wir laufen manchmal rum wie in einem Freizeitspiel.« Immerhin: Anders als nach den unbefriedigenden Auftritten in der EM-Qualifikation gegen Schottland (2:1), Polen (0:2) und Irland (1:1) redete Löw das vierte unbefriedigende Pflichtspiel nach dem seligen WM-Triumph nicht mehr schön. »Ich bin nicht zufrieden. Nicht mit dem Spiel, nicht mit der Mannschaft, nicht mit dem Ergebnis. Das ist zu wenig.« Viel zu wenig sogar.

Indirekt stellte der 54-Jährige gar Kandidaten wie Lukas Podolski oder Max Kruse an den Pranger, als er konstatierte, sich »mehr Zug zum Tor und mehr Abschlüsse« gewünscht zu haben. Ergo: Chance verspielt. Wer im letzten Länderspiel des Jahres überhaupt aufläuft? »Ich hätte gegen Spanien gern mit der besten Mannschaft gespielt«, sagt Löw, doch das bleibt Wunschdenken. Nach den Absagen von André Schürrle, Marco Reus und Christoph Kramer reiste auch Torwart Manuel Neuer wegen Beschwerden im rechten Kniegelenk gar nicht erst wieder an. Dessen Job werden sich wohl Roman Weidenfeller und Ron-Robert Zieler teilen. Bloß kein Risiko, lautet Löws Leitmotiv.

Sorgen hat er ohnehin genug. Spaniens Trainer Vicente del Bosque gibt ja ein warnendes Beispiel ab, was passiert, wenn der Zeitpunkt der Erneuerung irgendwann verpasst wird. »Einige Spieler sind froh, wenn das WM-Jahr vorbei ist. Wir haben die erwarteten Schwierigkeiten gehabt«, bilanzierte Löw und insistierte, dass die Ehrungen und Feierlichkeiten endgültig abgehakt gehören. »Wir müssen das mit Ende dieses WM-Jahres aus den Köpfen bekommen.« Daraus klang einige Verstimmung.

Inwieweit der Jahresabschluss eine Versöhnung bringen kann, erscheint fraglich. »Das wird ein ganz anderes Spiel, weil der Gegner eine ganz andere Qualität mitbringt«, glaubt Löw. »Beide Mannschaften wollen zeigen, was in ihnen steckt. Aber das ist keine Revanche für die WM 2010 oder die EM 2008. Das ist passé.« Da ahnt einer, dass sein Ensemble von einer weltmeisterlichen Verfassung gerade so weit weg ist wie Deutschland von Brasilien. Es fehlen die Automatismen im Mannschaftsverbund, aber auch die Qualität auf einzelnen Positionen.

Und es mangelt erkennbar daran, sich in die Aufgabe bei der Nationalelf zu verbeißen: Ein gewisser Schlendrian hat Einzug gehalten. Trotzdem strich der oberste Fußballlehrer des Landes seinen Spielern nicht das freie Wochenende: Nach einem lockeren Training am Samstagmorgen in Nürnberg gab es bis Sonntagabend zum Treffpunkt in München frei. »Es ist nicht notwendig, dass die Spieler zwei Stunden im Hotel sitzen. Und was das Training betrifft, können wir sowieso keine Akzente setzen in ein, zwei Tagen.« Ob das dann morgen beim Spiel in Vigo gelingt?

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