Finanzkompetenz auf dem Stundenplan
Wirtschaftsauskunftei: Zahl der Schuldner in Berlin steigt wieder an
Immer mehr Berliner Privathaushalte sind überschuldet. Laut dem am Donnerstag vorgestellten Schuldenatlas der Wirtschaftsauskunftei Creditreform waren zum Stichtag am 1.Oktober 2014 insgesamt 373 823 erwachsene Bewohner der Hauptstadt registriert, die auf absehbare Zeit nicht in der Lage sein werden, ihren Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Das sind 3622 Personen mehr als 2013 und entspricht einer Quote von 13 Prozent aller Berliner.
Damit liegt die Hauptstadt weit über dem Bundesdurchschnitt von 9,9 Prozent. Als noch wesentlich dramatischer bewertet die Auskunftei, dass die »Verschuldungsintensität« deutlich zugenommen habe, so der für Berlin zuständige Geschäftsführer Jochen Wolfram. So ist der Anteil derjenigen Schuldner, gegen die bereits vollstreckungsfähige Titel erlassen worden sind, oder die sich im Privatinsolvenzverfahren befinden, deutlich gestiegen.
Wohl kaum überraschend ist das große Gefälle zwischen den einzelnen Stadtteilen. Während im Wedding 18,9 Prozent aller Einwohner als überschuldet gelten, sind es in Zehlendorf nur 7,4 Prozent. Auch die Verdrängung ärmerer Bevölkerungsschichten aus begehrten innerstädtischen Wohngebieten in die Außenbezirke spiegelt sich in dem Zahlenwerk wieder: So stieg die Anzahl der Schuldner in Spandau, Reinickendorf, Tempelhof, Hellersdorf und Hohenschönhausen deutlich stärker als in Kreuzberg und Prenzlauer Berg. In Friedrichshain und (Alt) Mitte sank sie sogar.
Auch in Brandenburg zeigt sich ein heterogenes Bild. Die Zahl der Überschuldeten stieg um 0,48 Prozent auf 211 255, was einer Quote von 10,02 Prozent entspricht. Am unteren Ende der Skala rangiert bei den Landkreisen und kreisfreien Städten Potsdam-Mittelmark mit 7,8 Prozent, während in Brandenburg an der Havel 15,8 Prozent aller Einwohner betroffen sind. Besonders krass sind die Unterschiede in der Stadt Potsdam, wo die Quoten in den verschiedenen Stadtteilen zwischen 5,8 und 23 Prozent betragen. Kopfzerbrechen bereitet Creditreform vor allem das wirtschaftliche Umfeld dieser Entwicklung. Denn die konjunkturellen Rahmendaten, der Arbeitsmarkt und die tarifliche Lohnentwicklung seien in den vergangenen Jahren durchweg positiv gewesen, so Wolfram. Dies führe normalerweise zu einem Rückgang der Schuldnerzahlen. Allerdings hätten die extrem niedrigen Zinsen viele Menschen dazu verführt, sich private Konsumwünsche »über ihre Verhältnisse« zu erfüllen.
Doch auch davon abgesehen könne man angesichts der konstant hohen Anzahl von Langzeiterwerbslosen und dem von Lohnsteigerungen kaum profitierenden Niedriglohnsektor von einer »Verfestigung überschuldungsaffiner Milieus« ausgehen.
Da sich nunmehr auch die konjunkturellen Aussichten deutlich eintrübten, sei ein weiterer Anstieg der Überschuldungsquote in den kommenden Jahren leider nicht auszuschließen, zumal der Verlust des Arbeitsplatzes zu den wesentlichen Ursachen privater Verschuldung gehöre, warnte Wolfram.
Für durchgreifende Konzepte zur Armutsbekämpfung fühlt sich Creditreform nicht zuständig. Wolfram forderte allerdings, »Finanzkompetenz« zum festen Bestandteil aller schulischen Lehrpläne zu machen, um Überschuldung besser vorzubeugen.
Außerdem müsse das Netz der Schuldnerberatungsstellen ausgebaut und besser ausgestattet werden, denn es habe sich gezeigt, dass überschuldete Menschen bei entsprechender Beratung und Betreuung wesentlich bessere Chancen hätten, wieder aus der Schuldenfalle herauszukommen.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.