Farages Truppen weiter auf dem Vormarsch
Tories und Labour sehen mit wachsender Sorge, wie UKIP in Großbritannien erneut einen Parlamentssitz erobert
Nigel Farage weiß es ganz genau: »Das Parlamentswahlergebnis von Mai 2015 ist jetzt völlig unsicher, alles ist möglich.« Wenn auch davor zu warnen ist, Momentaufnahmen mit langfristigen Wählertrends gleichzusetzen - er mag recht haben. In Rochester und Strood schlugen die Kippers die Tory-Kandidatin fürs Unterhaus klar mit sieben Prozent Vorsprung, nahmen Labour ein Drittel der ohnehin geschrumpften Anhängerzahl ab und stießen die mitregierenden Liberalen mit weniger als einem Prozent in die Bedeutungslosigkeit. Doch wer sind die Truppen von Farages »neuem Volksheer«? Oberflächliche Analysen sehen dabei rechte Konservative, die die EU als Buhmann betrachten. Diese Erklärung bleibt jedoch unvollständig, die »Aufständischen« haben vor einem Monat auch in einem Labour-Wahlkreis bei Manchester nur knapp verloren.
Die Politologen Goodwin und Ford von der Universität Nottingham fügen wichtige Aspekte hinzu: Es sind größtenteils ältere Wähler mit niedrigerem Bildungsniveau, auch viele Arbeiter und Kleinbürger, die in den 1980er Jahren für Thatcher und 1997 für Blair stimmten. Wählerbefragungen ergeben: Die Mehrheit der Kippers will nicht nur rechte Ziele wie EU-Austritt und Einwanderungsbeschränkungen, sondern auch die Wiederverstaatlichung der Bahn und der Energieproduzenten, was sonst nur von den Grünen unterstützt wird. Sie klagen über soziale Ungerechtigkeit, fühlen sich aber auch von Labour verraten. Und weil Schattenjustizministerin Emily Thornberry patriotisch gesinnten Bürgern auf Twitter mit missbilligender Ironie und Verachtung zu begegnen schien, feuerte sie der entrüstete Ed Miliband zwar umgehend, doch der Schaden blieb: Statt von der konservativen Niederlage zu schreiben, schossen sich Zeitungen wie die »Daily Mail« auf Labours angeblich arrogante Allüren ein. Aber auch Premier David Cameron hat Sorgen.
Jede Konzession mit Blick auf die Kippers und die eigenen EU-feindlichen Hinterbänkler - Volksabstimmung zum EU-Verbleib, Forderung nach Einschränkung der Freizügigkeit - wird zwar mitgenommen, aber seine Parteifreunde sind in ihrer Ausländerfeindlichkeit unersättlich. Auch Camerons eigentlich angekündigte Rede zur Einwanderungsfrage dürfte so ins Wasser fallen. Denn eine neue Studie hat bestätigt, dass Migranten unterm Strich für die britische Wirtschaft ein Plus bedeuten - nur darf er das nicht zugeben. Also verkündet Cameron in Thatcher-Manier Steuersenkungen von umgerechnet neun Milliarden Euro - nur hat er das Geld gar nicht und bekommt es nur zusammen, wenn er den Sozialstaat abschafft.
Trotz markiger Worte und spottbilligem Populismus wird Farage nicht Premierminister, dafür sorgt das Mehrheitswahlrecht. Aber den beiden Kontrahenten Cameron und Miliband wird er es zumindest schwerer machen. Dafür stehen die nach neuesten Umfragen 40 Prozent der Wähler, die keine der beiden Großparteien wählen wollen: Minderheitsregierungen von der Gnade eines Farage, der neuen Führerin der schottischen Nationalisten, Nicola Sturgeon, und den nordirischen Protestantenparteien zeichnen ab.
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