»Das war ja gar nicht meine Jeansjacke«
Als einfältige Ost-Tussi ging »Zonen-Gaby« in die deutsche Mediengeschichte ein. Thomas Blum hat sie 25 Jahre danach zum Gespräch über Bananen, die intensiven Farben in der BRD und Wessi-Extremisten getroffen
Vor 25 Jahren, im November 1989, hat man Sie für das Titelbild der westdeutschen Info-Illustrierten »Titanic« abgelichtet. Auf dem Cover-Foto, auf dem Sie lachend zu sehen sind, wie Sie etwas in Ihrer Hand halten, wurden Sie seinerzeit als »Zonen-Gaby« bezeichnet und mit den Worten zitiert: »Meine erste Banane«. Wie schmeckte Ihre erste Banane im freien Westen? Was war das für ein Gefühl? Erinnern Sie sich noch?
Überraschend wässrig schmeckte das und gar nicht so süß, wie das Westfernsehen uns im Osten glauben ließ. Es gab damals aber auch noch keine Flugbananen, womöglich lag es daran.
Das Bild ging später um die ganze Welt. Auch weil mit ihm die Ostdeutschen als einfältige, konsumgeile Trottel in hässlichen Stonewashed-Jeansjacken abgestempelt werden konnten. War Ihnen diese volksverhetzende Absicht der damaligen »Titanic«-Blattmacher überhaupt klar?
Nein, nein! Das war ja gar nicht meine Jeansjacke. Die haben die mitgebracht und mir angezogen. Und wie bei allem, was aus dem Westen kam, dachte ich mir: »Wird schon passen.« Wir waren schon ein wenig naiv damals, nicht?
Die Mauer stand noch, als das Foto von Ihnen entstand. Mutige Flüchtlinge aus der Ostzone (»DDR«) wie Sie kamen damals über die sogenannte »grüne Grenze« zu Ungarn in unser Land. Wie kamen Sie? Flüchteten Sie allein?
Tja, das wissen viele gar nicht: Das Foto entstand in der DDR. So wie in unseren Gefängnissen billig Westprodukte zusammengeschraubt wurden oder neue Medikamente von kapitalistischen Pharmafirmen an unwissenden DDR-Bürgern getestet wurden, ließen auch West-Satiriker im Osten produzieren und ausprobieren. Die »Titanic« konnte sich die Preise von West-Models gar nicht leisten. Und wenn ich das damals richtig mitbekommen habe, wurde einmal ein Robert-Gernhardt-Gedicht nicht in »Titanic« abgedruckt, weil sich bei einer Probelesung in Schwerin einige Probanden übergeben mussten.
Was waren für Sie damals die Gründe, die DDR zu verlassen, Ihre Heimat aufzugeben?
Ich bin dann tatsächlich nach dem Mauerfall direkt in den Westen, habe auf eine Modelkarriere gehofft, um vielleicht später mal als Vorzeige-Ossi in Fernsehshows aufzutreten. Aber dann kamen schnell Karsten Speck, Wolfgang Lippert und so.
War das nicht ein Schock für Sie, der Grenzübertritt? Die vielen Konsumgüter, die vielen gut gekleideten Menschen, die bunten Farben im Westen?
Klar. Diese Westdeutschen besaßen zum Teil Schränke nur für Schuhe. Und das galt nicht als Luxus. Speziell die Farben waren ein Schock für mich. Ich dachte am Anfang oft »Huch, das ist aber ein grelles Grau!« - und dann war das ein Pink, Orange oder so etwas. Das gab es in der DDR ja nicht. Wir hatten doch höchstens Ocker.
Wie haben Sie den Mauerfall und die nachfolgende Freude über die Wiedervereinigung erlebt?
Den Mauerfall selbst habe ich nicht direkt mitbekommen, muss ich gestehen. Ich saß zusammen mit einer sehr langweiligen Frau in der Sauna und habe darüber die Zeit vergessen. Heute würde mir so etwas nicht passieren; dank meinem Handy kann ich immer über alles informiert werden (zeigt stolz einen Taschenrechner).
Wie hat »Titanic« Sie damals, im Oktober ’89, gefunden? Bzw. Wie fanden Sie zur »Titanic«, diesem traditionell menschenfeindlichen Magazin?
Das sind, damals wie heute, richtige Menschenfänger. Die sind im direkten Kontakt echt nett, aber später nutzen sie einen gnadenlos aus. Mich hat einer mit einem Schnauzbart auf offener Straße angesprochen, mir Komplimente gemacht. Dann hat er behauptet, er könne Buntstifte am Geschmack erkennen, das hat mich natürlich nicht so beeindruckt. Ich wusste ja nur vom Hörensagen, was Buntstifte sind und hab’ das sofort geglaubt. Aber als er mir dann eine »echte Banane« versprach, hatte er mich ...
Alle lachten damals über Sie. Aber niemand schien sich für Ihr Schicksal zu interessieren. Wie haben Sie damals Ihren Weg aus der kommunistischen Ostzone (»DDR«) in die Freiheit gefunden?
Sehr schwer. Die Straßen waren in einem miserablen Zustand, ständig wurde man von jubelnden Menschen aufgehalten, und die Betankung meines Trabants verschlang ein halbes Monatsgehalt.
Damals waren Sie 17, ein junges Ding mit der Sehnsucht nach Freiheit im Herzen! Heute sind Sie 42 Jahre alt, eine erwachsene Frau, die mit beiden Beinen … Äh, was machen Sie heute eigentlich beruflich?
Derzeit bin ich zwischen zwei Engagements. Ich habe aber auch schon einige Jobs durch: war Kassiererin bei »Schlecker«, arbeitete im Lager von »Praktiker«, hatte einen »Quelle«-Shop. Man könnte fast meinen, ich wäre eine Art Symbol fürs Scheitern. Ich falle aber zum Glück immer weich, denn ich habe reich geheiratet - in eine West-Hartz-IV-Dynastie.
Das heißt, Sie hatten seit dem Ende der DDR und dem »Titanic«-Titel keinen Erfolg mehr?
Eine Zeit lang habe ich mit Freunden von früher Ostprodukte vertrieben. Als die Ostalgiewelle auf dem Höhepunkt war, lief das ziemlich gut. Und diese Wessis haben ja nicht die geringste Ahnung von Lebensmitteln, denen kannst du irgendwelche Billigschokocreme als »Nudossi« verkaufen.
Der Mauerfall ist jetzt 25 Jahre her. Heute haben wir Freiheit und Demokratie in ganz Deutschland. Was halten Sie davon?
Mir scheint, dass zu viel Freiheit und Demokratie nicht guttut. Stichwort »Pegida«: Da versammeln sich Tausende Menschen in einer glitzernden, schuldenfreien Märchenstadt und protestieren gegen eine Gefahr, die es überhaupt nicht gibt. Hier sollte man vielleicht mal die Versammlungsfreiheit einschränken ... Andererseits ist das ein Grundrecht, und wenn man das beschneidet, gehen sie ja erst recht auf die Straße. Ich weiß es doch auch nicht!
Auch heute sind Flüchtlinge auf der Welt unterwegs, die alles unternehmen, um ein Leben in Würde und Freiheit zu führen. Auch wenn es heute keine vor einem grausamen Unrechtsregime flüchtenden Deutschen sind, sondern Ausländer: Haben Sie eine Botschaft, einen Rat für diese Menschen und ihre Familien?
Kommt alle nach Deutschland (West)! Es ist das schönste und reichste Land der Welt. Und wenn man sich mal an die Leute gewöhnt hat, kann man ganz gut hier leben.
Haben Sie das Gefühl, dass Ihre Landsleute heute - nach 25 Jahren - »in der Demokratie angekommen« sind? Oder gibt es da noch Extremisten? Diesen Gregor Gysi da zum Beispiel.
Heutzutage sind die besseren Extremisten allesamt Wessis wie Bodo Ramelow - zumindest entnehme ich das der Presse. Gregor Gysi ist als Stalin-Epigone zu liebenswürdig-verschmitzt, Sahra Wagenknecht zu verkopft und Joachim Gauck zu weinerlich.
Mögen Sie auch heute noch gern Bananen?
Ja, Schokobananen. Sie wissen schon, die kleinen runzeligen Dinger, die in Einmachgläsern in Essigwasser schwimmen.
Im November ’89 wurde sie überraschend das Seite-1-Girl von »Titanic«: »Zonen-Gaby (17) im Glück (BRD): Meine erste Banane« lautete die Schlagzeile, neben der die ostdeutsche »Gaby« zu sehen war, die stolz lächelnd eine nach Bananenart geschälte Gurke in der Hand hielt. Seither hat man – sieht man von diversen Parodien und Wiederbelebungen dieses Titelbilds ab – wenig von der Frau gehört. Wo lebt sie? Was tut sie? Wo ist ihre Stonewashed-Jeansjacke abgeblieben? Hat sie noch diese klassische Sauerkrautfrisur?
Die beiden »Titanic«-Redakteure Tim Wolff und Torsten Gaitzsch haben sich exklusiv für »neues deutschland« nach 25 Jahren auf die Suche nach »Zonen-Gaby« begeben und sie wiedergefunden. Im nd-Interview gibt sie vor grausamen Unrechtsregimes flüchtenden Menschen (sog. »Asylanten«), wie sie selbst früher einer war, einen Rat: »Kommt alle nach Deutschland (West)! Es ist das schönste und reichste Land der Welt. Und wenn man sich mal an die Leute gewöhnt hat, kann man ganz gut hier leben.«
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