Deutsche Ernsthaftigkeit, französische Leichtigkeit
Arte zeigt in zwei Filmen deutsche und französische Sichtweisen auf das Thema Atomkraft
Gorleben in Niedersachsen und Bure in Lothringen. In beiden Orten sollen Endlager für den Müll der Atomkraftwerke errichtet werden. Doch die Reaktionen der Bevölkerung sind höchst unterschiedlich. Während Gorleben seit Jahrzehnten wegen der Proteste gegen das Zwischenlager in den Schlagzeilen ist, bleibt es bei den Franzosen relativ ruhig. Seit 1994 erforschte die ANDRA, Frankreichs Institution für die sogenannte Entsorgung des strahlenden Materials, dort die Gesteinsschichten in 500 Meter Tiefe. 2025 soll das Endlager in Betrieb gehen. In Deutschland ist dagegen offen, wo die Hinterlassenschaften der Energiegewinnung aus Atomkraft bleiben.
Die unterschiedliche Sichtweise auf die Gefahren spiegelt das Projekt Tandem wieder, das erste gemeinsame Fernsehfilmprojekt von Deutschen und Franzosen nach mehr als 20 Jahren des gemeinsamen Kultursenders Arte. Was an sich schon erstaunlich ist. Der SWR verantwortete für die ARD auf deutscher Seite den Thriller »Tag der Wahrheit« der deutschen Regisseurin Anna Justice, TV5 Monde trug die Verantwortung jenseits des Rheins für die Komödie »Das gespaltene Dorf« von Gabriel Le Bomin.
Der deutsche Beitrag lief schon am Donnerstag auf Arte, kann aber noch eine Woche lang in der Arte-Mediathek im Internet angesehen werden. Vicky Krieps spielt in dem Thriller die Staatsanwältin Marie Hoffmann. Der Fund der Leiche des französischen Atomphysikers Bernhard Feyermann führt sie und ihren Kollegen, Kommissar Jean-Luc Laboetie (Benjamin Sadler), ins Atomkraftwerk Haute-Rhine. Dort werden sie Zeugen eines Terrorangriffs. Ein Mann (Florian Lukas) hat den Steuerungsraum unter seine Kontrolle gebracht. Hoffmann erkennt ihn sofort. David Kollwein, ein ehemaliger Mitarbeiter des Werkes, erhob einst schwere Vorwürfe gegen die Verantwortlichen des Werkes nach dem Leukämie-Tod seiner Tochter. Nun hat er das Kühlsystem des AKW abgeschaltet, um die verantwortlichen Betreiber und Politiker zu zwingen, vertuschte Unfälle des AKW mit dem Austritt radioaktiver Strahlung öffentlich zu machen. Ein Happy End verweigert der Film. Es sind aber die Menschen, die ihr Gesicht wahren und ihre Profite sichern wollen, die Menschenleben leichtfertig riskieren, und es ist nicht die Technik, die versagt.
Krieps hat eine kleine Rolle in der Komödie, die am heutigen Freitag zu sehen ist, ebenso ist Laurent Stocker in beiden Filmen zu sehen. Er spielt den Pariser Ingenieur Antoine Degas, der mit dem Geld seiner Auftraggeber die Mehrheit der Bewohner von Saint Lassou von einer blühenden Zukunft überzeugt. Bürgermeisterin Anna (Katja Riemann), deutschstämmige Grüne, fürchtet eine strahlende Zukunft. Sie greift zu allerlei Tricks, um die Anlage zu verhindern. Als ihre Betrügereien auffliegen, hilft nur die Einsicht Degas’, dass die Anlage ein Paradies zerstört, in der der Mensch in Einklang mit der Natur lebt.
Der Film endet in einer deutschen Wunschvorstellung. Mit seiner deutsch-französischen Familienkonstellation spiegelt er die unterschiedlichen Empfindsamkeiten und Einstellungen zur Technik wieder. Mehr als 50 AKW bleiben in Frankreich am Netz, während Deutschland den Ausstieg aus der Technik bis 2022 beschlossen hat. Im Kontext der Misstöne zwischen beiden Ländern zur Wirtschaftspolitik provoziert der Film sogar. Viele Franzosen empfinden die Ratschläge der Deutschen als hochnäsige Einmischung.
»Das gespaltene Dorf«, Arte, 20.15 Uhr; »Tag der Wahrheit«, arte.tv
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