Hoch auf dem klapprigen Gaul
Wolfgang Storz über Selbstgerechtigkeit und bröckelnde Glaubwürdigkeit klassischer Medien
Die deutschen Massenmedien haben Glück: Ihre schärfsten Kritiker weisen ihnen mit der »Lügenpresse« den Ausweg, um erneut der Selbstkritik auszuweichen und stockend vor Empörung Verleumdete zu sein: nein, so nicht, wir, Diener der Demokratie, nicht verdient .... .
In das blütenweiße Gewand des Qualitätsjournalismus gehüllt führen die meisten Medien seit einigen Wochen die Dresdner Demonstranten als überzeugte rechtsradikale Hetzer gegen Ausländer beziehungsweise ahnungslose rechtsradikale Hetzer gegen Ausländer vor. Wenn das Politiker tun, ist das etwas anderes - demokratische Medien sollten, bevor sie mit Häme und Verachtung über etwas oder jemanden herfallen, erst einmal vorurteilsfrei berichten. Gerade über Themen und Aktivitäten, die einem selbst nicht in den Kram passen. Die Berichte sind jedoch - abgesehen von den berühmten Ausnahmen - sehr wertend verfasst, im Duktus jener arroganten Herablassung von Mittel- und Oberschichten-Journalisten, die sich aufgrund ihrer herausragenden Intelligenz als Idealbesetzung für die Rolle des notengebenden Oberlehrers sehen: pah, keine Argumente, und wie die schon reden, Gebrüll, Gestammel, alles diffus, was wollen die überhaupt ...
Vor einigen Jahrzehnten charakterisierte der CSU-Politiker Franz-Josef Strauß linke Intellektuelle als »Ratten und Schmeißfliegen« - heute nähern sich allen voran der SPD-Bundesjustizminister im Verbund mit den meisten Medien dieser Sprachwelt. Die Krönung des Ganzen: Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger wandte sich mit einem offenen Brief an die Öffentlichkeit, in dem er indirekt Verbindungen zwischen dem Attentat in Paris zu den Dresdner Demonstranten zog. Die anständigen Medien sehen im Kampf gegen den widerlichen Rechts-Mob ihre Pflicht zur Berichterstattung erfüllt. Gratulation!
Was sie in der Regel nicht leisten, was sie als Qualitätsmedien jedoch tun müssten: neben aller Kritik fair über diese diffusen Sorgen berichten, die deutsche (nicht-religiöse) Bürger beim Zusammenleben mit Muslimen umtreiben; Positionen, wie denen des Autor Samuel Schirmbeck, langjähriger Algerien-Berichterstatter, mehr Raum geben, der aus Erfahrung und einer aufgeklärten Position heraus in der »FAZ« erläutern durfte, wie gefährlich es sei, den Zusammenhang zwischen Gewalt und Islam zu leugnen; auch Raum zu öffnen für eine kritische Berichterstattung und Debatte über die Rolle von Religionen in einer Demokratie.
Und: Wie ist es um die Glaubwürdigkeit der Medien bestellt, die den Dresdner Demonstranten Politikverachtung und Islamfeindlichkeit vorwerfen? Noch vor drei Jahren promoteten »Spiegel« - Titelgeschichte: »Volksheld Sarrazin« - und »Bild« Arm in Arm via Vorabdrucke das latent islamgegnerische Buch von Thilo Sarrazin und trugen damit ihr Scherflein bei, damit aus ihm ein Millionen-Bestseller werden konnte. Bereits 2007 glänzte der »Spiegel« mit dem Titel »Mekka Deutschland. Die stille Islamisierung.«
Eine Untersuchung zeigt, wie ausgerechnet die feine, meinungsprägende »Frankfurter Allgemeine Zeitung« vor allem in ihrem Wirtschaftsteil ein teilweise herablassendes, gar verächtliches Bild von Politik pflegt.
Es gab - ein Beispiel - in den Jahren 2005/06 repräsentative Untersuchungen, die belegten, dass große Mehrheiten für Mindestlohn, starke Gewerkschaften, den Abzug aus Afghanistan, gegen die Rente mit 67 und für mehr soziale Gerechtigkeit waren - Positionen und Interessen, die von den meisten Medien in den letzten anderthalb Jahrzehnten in die Nische gepackt worden waren. Das Beispiel zeigt, wir haben es mit einem Prozess der tiefgehenden Entfremdung zwischen Medien und Teilen ihres Publikums zu tun, rechts ebenso wie links orientiert. Das ist viel mehr als ein aktueller Aufreger. Wie sonst ist zu erklären, dass von den Medien ignorierte Bücher wie das von Udo Ulfkotte »Gekaufte Journalisten« oder von Mathias Bröckers und Paul Schreyer »Wir sind die Guten« zu Bestsellern werden. Das ist kein Nischen-Publikum mehr, das sich abwendet, das sind starke Minderheiten, die sich in eigenen Öffentlichkeiten einrichten und abschotten.
Die klassischen Medien saßen und sitzen Kritiker und Kritik gerne aus - auf dem stolzen Ross. Die Nase hoch im Wind sehen sie nicht, wie es zum klapprigen Gaul zu werden droht.
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