Freude, Genugtuung und große Sorgen
Warum SYRIZAs Wahlerfolg noch kein Sieg ist und es jetzt europaweit auf die sozialen Bewegungen ankommt
Was haben Sie beim Sieg von SYRIZA empfunden?
Freude, Genugtuung und auch große Erleichterung. Denn von unseren Partnern in Griechenland wissen wir, dass die Kraft für den alltäglichen Kampf ums Überleben nachgelassen hat. Viele haben daher alle Hoffnungen auf SYRIZA gesetzt. Wie es weiter gegangen wäre, wenn der Regierungswechsel nicht geklappt hätte, mag ich mir nicht ausmalen.
Die Griechen haben eine linke Alternative zu Angela Merkel gewählt. Sehen Sie die Linke in Deutschland dadurch ebenfalls in der Offensive?
Da fragen Sie den Falschen. Für solchen Optimismus bin ich schon zu lange politisch aktiv. Früher hat man bei Revolutionen in anderen Ländern geglaubt, jetzt geht es auch bei uns los. Aber das kann man eben nicht übertragen. Merkel müssen wir schon selber loswerden.
Andreas Hesse arbeitet im Berliner Solidaritätsbündnis für Griechenland mit. Zusammen mit einer gewerkschaftlichen Gruppe hat er Solidaritätsreisen nach Griechenland unternommen. Mit dem 64-jährigen gelernten Schriftsetzer und ver.di-Mitglied sprach Ines Wallrodt.
Ist es mit der Freude angesichts des rechten Koalitionspartners schon wieder vorbei?
Die Koalition mit den Unabhängigen Griechen (ANEL) trübt natürlich die Freude. Sie ist Ausdruck der Zerstrittenheit in der griechischen Linken. Die Kommunistische Partei mit ihrer dogmatischen und sektiererischen Haltung verweigert sich jeglicher Zusammenarbeit mit SYRIZA, so dass die gezwungen ist, sich einen anderen Koalitionspartner zu suchen. Da die PASOK als auch POTAMI Befürworter der Sparmaßnahmen sind, blieb nur ANEL übrig.
Welchen Preis wird das haben?
Viele linke Griechen sagen, die Koalition mit ANEL sei nicht so furchtbar, wie sie gerade im Ausland dargestellt wird. SYRIZAs Priorität ist, den Sparkurs der Troika zu stoppen und die demokratischen Rechte wiederherzustellen. Die Unabhängigen stimmen dem zu. Wie es heißt, hätten sie auch kein Problem damit, die illegalisierten MigrantInnen mit Papieren zu versorgen, auch wenn sie dies aus eigenen, populistischen Gründen tun - damit die Flüchtlinge weiter reisen.
Kein Grund also, alle Hoffnungen sofort zu begraben?
So schnell begraben wir unsere Hoffnungen nicht. Die Troika wird auf erheblich mehr Widerstand auch auf zwischenstaatlicher Ebene stoßen. Zumal es auf andere Dinge ankommt als auf parlamentarische Schachzüge. Ich bin dennoch vorsichtig mit dem Wort Sieg. Es ist zunächst ein Wahlerfolg, vom Siegen kann man sprechen, wenn es der neuen Regierung gelingt, wesentliche Verbesserungen für die verarmte Bevölkerung durchzusetzen.
Wovon hängt das jetzt ab?
Es muss gelingen, nicht nur im Parlament, sondern auch im Staatsapparat einen politischen Wechsel durchzusetzen. Da sitzen ja noch die alten Leute. Zudem wird entscheidend sein, ob sich die zahlreichen Initiativen des Widerstands bemerkbar machen. Sie müssen die SYRIZA-Regierung in den Verhandlungen mit der Troika unterstützen und sie zugleich kontrollieren. Nur so lässt sich verhindern, dass die neue Regierung des kleinen Griechenlands vor der mächtigen Troika einknickt.
Wie groß ist diese Sorge?
Diese Sorge ist tatsächlich sehr groß. Ohne internationale Unterstützung wird eine linke Regierung auf die Dauer keinen Bestand haben. In den Ländern Südeuropas sieht es dabei ganz gut aus, wie das Beispiel Spanien zeigt, wo PODEMOS nach Wahlumfragen stärkste politische Kraft ist. In Deutschland, Frankreich oder England verschieben sich dagegen die Kräfteverhältnisse nach rechts. Der Nationalismus auf Kosten anderer Länder und vor allem der Flüchtlinge nimmt rapide zu. Das erleben wir derzeit doch jeden Montag deutlich mit Pegida in Dresden.
Brauchen die Menschen in Griechenland die Solidaritätsgruppen in Deutschland noch?
Wir haben uns nie als Wahlkampftruppe von SYRIZA verstanden, sondern als Initiative von unten, als Kolleginnen und Kollegen, die weder im Parteiauftrag noch im Auftrag von Gewerkschaftsvorständen nach Griechenland gefahren sind. Wir wollten den vielfältigen Widerstand dort unterstützen. Der rechtpopulistische Koalitionspartner bestätigt uns noch in unserer Unterstützung, beispielsweise der sozialen Kliniken. Viele von ihnen haben ihre Arbeit begonnen mit der kostenlosen Betreuung von Flüchtlingen.
Es kommt jetzt darauf an, ob eine linke, europaweite Bewegung gegen die Austeritätspolitik genügend außerparlamentarischen Druck ausüben kann. Entscheidend wird sein, ob sie die abhängig Beschäftigten und damit deren Gewerkschaften erfassen kann. Insofern hat sich an unseren Aufgaben nichts geändert. Die Soligruppen treffen sich weiter.
Was ist konkret geplant?
Am 11. Februar wird es in 150 Städten Europas die Kinopremiere von »Wer Rettet Wen?« geben, auch in Berlin und Köln. Der Film behandelt die Krise als Geschäftsmodell auf Kosten von Demokratie und sozialer Sicherheit. Zudem wollen wir im März oder Anfang April unsere griechischen Freundinnen und Freunde einladen, hier zu informieren, zu diskutieren und auch gemeinsam auf die Straße zu gehen. Zentral werden die Blockupy-Proteste in Frankfurt am Main, die unter dem Eindruck der Verhandlungen mit der griechischen Regierung stattfinden werden. Weitere Aktivitäten werden die Soligruppen Ende Februar bei einem bundesweiten Koordinierungstreffen beraten.
https://griechenlandsoli.wordpress.com
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.