Macht des Rauschs
65. Berlinale: »Knight of Cups« von Terrence Malick
Immer wieder schnappt der Hund zu - vergeblich. Das riesenhafte Maul bekommt die unter Wasser schwimmenden Bälle einfach nicht zu fassen. Je intensiver er versucht zuzupacken, umso vergeblicher ist sein Unterfangen. Das Bild, das Terrence Malick in seinem handlungslosen und symbolschwangeren Bewusstseinsstrom »Knight of Cups« erschaffen hat, strahlt verschwenderische Kraft und ergreifende Schönheit aus. Außerdem fasst die Szene des sich »sinnlos« bemühenden tierischen Kraftpakets das simple Dilemma des Protagonisten zusammen: Je krampfhafter man sich einer Suche hingibt, umso weniger wird man finden - gerade wenn es um »den Sinn des Lebens« geht. Und darunter macht es Malick nicht.
Rick (Christian Bale) arbeitet erfolgreich in der Hollywood-Filmfabrik. Doch die innere Leere frisst ihn auf. Er befindet sich auf einer Pilgerreise - ohne sich dessen bewusst zu sein. Denn, so eine Stimme aus dem Off, »der König hatte vergessen, dass er König war«. Also gibt sich Rick der verdrängenden Macht des Rauschs hin: Fetisch-Partys, Ketamin-Sessions, massenweise austauschbar-wunderschöne Frauen, die scheinbar nur darauf warten, von ihm benutzt zu werden.
Der ungeordnete, mit einer Überdosis Küchenphilosophie angereicherte Trip durch die Bars, Industriedenkmäler und Wüstenperipherien des L.A.-Valleys ist nach den Namen von Tarotkarten benannt und geordnet: »der Eremit«, »das Gericht«, »die Hohepriesterin«, »der Tod«. Der namensgebende »Ritter der Kelche« ist bei Malick extrem schnell gelangweilt, braucht die Stimulation von außen, ist aber auch ein Künstler und Abenteurer.
Der 71-jährige Terrence Malick hat sich bereits seit einigen Jahren vom konventionellen Geschichtenerzählen verabschiedet. Die Ingredienzien, die er dem virtuosen »Tree of Life« (2011) und dem heillos verkitschten »To the Wonder« (2012) beigab, mischt er auch in den zweistündigen Bilderrausch »Knight of Cups«: eine predigende Stimme aus dem Off, umwerfend schöne und aufwendig produzierte Einzeleindrücke, die zu einem strukturlosen Strom kombiniert werden - und die den Hintergrund für die hilflosen Posen makelloser Menschen in der Midlifecrisis darstellen.
Diese schönen Menschen geben sich in »Knight of Cups« das Sektglas in die Hand: Cate Blanchett, Natalie Portman, Ben Kingsley, Antonio Banderas und weitere Mitglieder des Hollywood-Hochadels.
Hauptdarsteller Christian Bale ist gleichzeitig perfekt und doch falsch für diese Rolle. Er ist einerseits ein gefeierter Muskelprotz und Actionheld (»Batman«), hat aber andererseits in »The Machinist« oder in »Auge um Auge« anspruchsvolle Charakterdarstellungen hingelegt. Er erfüllt also die Malick-Kriterien, die stets einen Superstar mit Tiefgang in der Hauptrolle verlangen. Die kühle Distanz aber, die Bales Auftritten sonst ihre geheimnisvolle Kraft verleiht - hier wirkt sie übertrieben und aufgesetzt. Bale vermag es, Ricks Entfremdung von der schrillen Hollywood-Welt überdeutlich darzustellen. Doch Bales Gesicht erzählt nichts darüber hinaus, es ist die personifizierte Leere. Das ist, auch wenn es zum Teil sicher genau das war, was Malick wollte, auf Dauer höchst unbefriedigend. Genau gegenteilig verhält es sich mit Brian Dennehy, der Ricks vom Alter gebeugtem Vater eine intensive, gequälte Note verleiht.
»Knight of Cups« ist ein Film, den viele Menschen ein Meisterwerk nennen, während andere gelangweilt oder gar wütend aus dem Kino kommen. Der philosophische Unterbau mag nervig, gar lächerlich sein - ein umwerfendes Ensemble an (Alb-)Traumbildern schafft Malick aber allemal. Außerdem ist der Film ein seltenes, berauschendes Beispiel richtungsloser Verschwendung - in Zeiten von gnadenlos auf ihre »Markttauglichkeit« abgeklopften Filmprojekten. Terrence Malick hebelt diesen Markt aus, wenn er für seine auf dem Papier wohl absolut rätselhaften Ideen blinde Zusagen von den größten Stars und den knickrigsten Geldgebern erhält. Dadurch sorgt er für das Entstehen sperriger Hollywood-Filme. Und das ist fast schon ein Wert für sich.
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