Schäuble: Werden nicht über neues Programm verhandeln
Tsipras stellt sich Vertrauensvotum - Abstimmung im Parlament in Athen am Abend / Streit um Merkels Krisenkurs geht weiter / Kanzlerin will »belastbaren Vorschlag« / Finanzminister Varoufakis nennt Sparprogramm »toxisch«
Update 19.20 Uhr: Das Ergebnis der Vertrauensabstimmung kommt heute erst am späten Abend. Warum? Hier die Antwort: Wenn es um Vertrauensfragen oder ein Misstrauensvotum geht, müssen die griechischen Abgeordneten bis spät in die Nacht hinein warten, um ihre Stimme abgeben zu dürfen. Das hat in Griechenland eine lange Tradition. Das Statut des Parlaments sieht in diesen Fällen vor, dass die Debatte drei Tage lang dauert. Am dritten und letzten Tag muss »bis spätestens Mitternacht« abgestimmt werden, heißt es wörtlich. Theoretisch könnte die Abstimmung viel früher beginnen, wenn es nicht einen Haken gäbe. Viele Abgeordnete sehen die Debatten als Gelegenheit, zu einem zentralen Thema sprechen zu dürfen und damit auch - zumindest in ihren Wahlkreisen - im Fernsehen gesehen zu werden. Ergebnis: Dutzende Abgeordnete tragen sich als Sprecher ein. Die Debatte zieht sich in die Länge. Kurz vor Mitternacht unterbricht der Parlamentspräsident und es wird abgestimmt. Es gab nur selten Fälle, in denen ein Votum vor 23.00 Uhr (24.00 Uhr Ortszeit) begann. Die namentliche Abstimmung dauert etwa eine Stunde lang. Die Namen der Abgeordneten werden aufgerufen, jeder muss sich erheben und mit »Ja«, »Nein« oder »Präsent« (Stimmenthaltung) stimmen.
Update 17.55 Uhr: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat sich erneut hart gegenüber der griechischen Forderung nach einer Änderung der bisherigen Krisenpolitik gezeigt. Bei dem Eurogruppentreffen am Mittwoch werde kein neues Hilfspaket ausgehandelt, sagte Schäuble am Dienstag nach Abschluss des G-20-Finanzministertreffens vor Journalisten in Istanbul. Schäuble reagierte mit seinen Äußerungen auf Meldungen über eine neue Strategie der griechischen Regierung. Demnach will Athen in einer neuen Einigung mit den EU-Partnern festschreiben, dass im Gegenzug für konkrete Reformversprechen ein Teil der Sparauflagen der Geldgeber erlassen wird. »Wir werden nicht über ein neues Programm verhandeln«, sagte der Minister. »Wir haben ein Programm.« Der Reformkurs der vergangenen Jahre habe Griechenland schneller vorangebracht als erwartet. Der Bundesfinanzminister betonte, derzeit gehe es um die Erfüllung von Zusagen, die Griechenland eigentlich schon bis zum vergangenen Dezember erfüllen sollte. Auf die Möglichkeit angesprochen, dass Griechenland die noch ausstehende Kredittranche von 1,8 Milliarden Euro nicht in Anspruch nehmen wolle, erwiderte Schäuble: »Schön. Wir haben das niemandem aufgedrängt. Aber dann ist es auch vorbei.« In diesem Fall werde es kein neues Paket geben.
Update 17 Uhr: Wie stark die umstrittenen Reformen in Griechenland und den anderen Euro-Krisenländern gewirkt haben, zeigt eine Studie des Unternehmensnahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Die Regierungen hätten ihre Arbeits- und Produktmärkte »umfassender umgekrempelt« als bislang angenommen, teilte das IW am Dienstag in Köln mit. Die Arbeitsmärkte dort seien inzwischen »flexibler« als in Deutschland - was in der Regel weniger Rechte für Beschäftigte bedeutet. Portugal und Spanien haben etwa ihre Zahlungen für Arbeitslose reduziert und Griechenland hat unter anderem »festgeschriebene Abfindungszahlungen« der Unternehmen »gekappt«. Letzteres betrifft zum Beispiel Taxifahrer. Neue Unternehmer mussten im griechischen Taximarkt zuvor sehr hohe Beträge zahlen, um eine Lizenz zu erhalten. Alle vier Länder hätten zudem ihre Lohnverhandlungen »deutlich flexibler und betriebsnäher« gestaltet sowie den Kündigungsschutz gelockert. In der Rangliste der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zur Beschäftigungsregulierung lägen die Länder nun vor Deutschland.
Update 13.30 Uhr: Die EU-Kommission hält es für unwahrscheinlich, dass es in dieser Woche zu einem Durchbruch im Schuldenstreit mit Griechenland kommt. Die Erwartungen an das Sondertreffen der Euro-Finanzminister am Mittwoch und den EU-Gipfel am Donnerstag seien mit Blick auf eine abschließende Einigung mit Athen »niedrig«, sagte eine Kommissionssprecherin am Dienstag in Brüssel. Das Sondertreffen der Eurogruppe diene einem »ersten Austausch« mit der neuen griechischen Regierung. Es gebe »sehr intensive Kontakte« zwischen EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und dem griechischen Regierungschef Alexis Tsipras sowie den anderen Mitgliedern der Eurozone, sagte die Sprecherin. Diese seien bisher aber »nicht sehr fruchtbar« gewesen. Junckers Ziel sei es, »Griechenland fest in der Eurozone zu halten«. Bei dem Sondertreffen der Euro-Länder am Mittwoch soll die Ende Januar gewählte Regierung in Athen ihre Vorschläge für den künftigen Umgang mit ihrem internationalen Hilfsprogramm vorlegen. Die SYRIZA-geführte Koalition in Athen wehrt sich gegen die bisherigen Spardiktate und will einen Teil der Reformen, die den Gläubigern zugesichert wurden, rückgängig machen. Beobachter gehen davon aus, dass bei der Suche nach einem Kompromiss das reguläre Treffen der Euro-Finanzminister am Montag kommender Woche eine entscheidende Etappe sein wird.
Update 12.30 Uhr: Griechenland könnte sich für seine Finanzierung an die USA, Russland oder China wenden, wenn es mit der EU nicht klappen würde. Dies erklärte am Dienstag der griechische Verteidigungsminister Panos Kammenos im griechischen Fernsehen. Kammenos ist der Chef der nationalistischen Partei der Unabhängigen Griechen (ANEL.), die als Juniorpartner mit der Linken von Alexis Tsipras Griechenland regiert. Kammenos sagte weiter, Athen und er wollen ein neues Abkommen mit der EU über den griechischen Schuldenberg. Aber wenn Deutschland nicht nachgibt und »Europa auflösen will«, dann werde Griechenland »einen Plan B« verfolgen. »Und das ist Geld aus anderen Quellen zu bekommen. Es können die USA im besten Fall sein. Es könnte Russland, es könnten China oder andere Staaten sein«, sagte Kammenos.
Streit um Merkels Krisenkurs geht weiter
Berlin. Zwei Wochen nach dem Wahlerfolg der linken SYRIZA in Griechenland stellt sich der Regierungschef Alexis Tsipras am Dienstag einer Vertrauensabstimmung des Parlamentes in Athen. Die Abstimmung über die Regierung mit der nationalistischen ANEL soll am späten Abend beginnen. Das regierende Bündnis hat eine Mehrheit von 162 Abgeordneten im Parlament mit 300 Sitzen. Tsipras hatte am Sonntagabend in einer Regierungserklärung seine Pläne skizziert und klargestellt, dass er trotz des Widerstands vor allem aus Deutschland an seinen Wahlversprechen festhalten wolle - darunter ein soziales Sofortprogramm zur Lösung der humanitären Krise aber auch die Forderung nach einem grundlegenden Wechsel in der europäischen Krisenpolitik.
Am Rande eines Besuchs in Washington betonte dagegen die deutsche Kanzlerin Angela Merkel am Montagabend, dass die mit Griechenland vereinbarten Rettungsprogramme Basis der Beratungen über das weitere Vorgehen in der Schuldenkrise bleiben. Diese Programme seien die Grundlage für die Diskussionen. »Ich warte darauf, bis Griechenland mit einem belastbaren Vorschlag kommt, und dann werden wir darüber reden.« Entscheidend sei, was die neue Regierung in Athen bei der Sitzung der Eurogruppe am Mittwoch oder einige Tage später auf den Tisch lege.
Mit Blick auf dieses Sondertreffen der Eurogruppe soll es hinter den Kulissen bereits Bewegung geben. Wie die Deutsche Presse-Agentur aus Kreisen des Finanzministeriums in Athen erfuhr, werde an einem Zehn-Punkte-Plan für Griechenland gearbeitet. Beteiligt seien Mitarbeiter des griechischen Finanzministeriums und des EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker. Auch Washington spiele eine Rolle. Die Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) soll es danach in der Form nicht mehr geben. Die Troika-Geschichte sei vorbei, hieß es. Die EU Kommission dementierte allerdings die Berichte. »Wir kennen einen solchen Plan von der EU Kommission nicht«, sagte eine Sprecherin in Brüssel. Es gebe intensive Kontakte zwischen Brüssel und Athen, die aber bislang erfolglos gewesen seien.
Regierungschef Tsipras hatte bei der Vorstellung seines Regierungsprogramms am Sonntag seine Abkehr vom Sparkurs bekräftigt. Er hielt trotz Widerstands der Gläubiger daran fest, aus dem bisherigen Hilfsprogramm auszusteigen und stattdessen durch eine Überbrückungsfinanzierung eine neue Lösung für die Schuldenkrise auszuhandeln. Finanzminister Yanis Varoufakis bezeichnete das Sparprogramm als »toxisch«. Mit der Troika werde Griechenland nicht mehr verhandeln. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sagte: »Ich habe noch nicht verstanden, wie die griechische Regierung das stemmen will.« Auch EU-Kommissionspräsident reagierte reserviert.
Derweil macht die Lobby des exportorientierten Kapitals in Deutschland Front gegen die SYRIZA-geführte Regierung. Außenhandelspräsident Anton Börner forderte die Bundesregierung auf, gegenüber Athen kompromisslos zu bleiben. »Wir unterstützen den harten Kurs der Bundesregierung gegenüber Griechenland ohne Wenn und Aber«, sagte der Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen der »Rheinischen Post«. Sonst ändere »sich in den Krisenländern nie etwas«. Angeblich würden ausländische Investoren zunehmend »verständnislos« auf die Vorstellungen der neuen griechischen Regierung reagieren, behauptete Börner. »Griechenland manövriert sich immer mehr in die Ecke.« Agenturen/nd
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