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»Tarif«-Akten sind wieder da - wie weiter?

Verfassungsschutz-V-Mann-Akten, die nach Auffliegen des NSU geschreddert wurden, ließen sich rekonstruieren

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.
Fast 1000 Seiten brisanter Akten zu einem V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) aus dem NSU-Umfeld sind aufgetaucht - trotz der Aktion »Konfetti« 2011. Wie geht die Aufklärung weiter?

Angedeutet hat sich die unerwartete Fundsache bereits Mitte Dezember. Als die in Sachen NSU-Aufklärung erfahrene Thüringer Bundestagsabgeordnete Martina Renner (LINKE) den Innenstaatssekretär Günter Krings (CDU) in Sachen V-Mann »Tarif« auf den Zahn gefühlt hat. Der gab zu, dass im Bundesamt für Verfassungsschutz inzwischen wieder 157 sogenannte Treffberichte vorliegen würden.

Das ließ aufhorchen, denn bislang war bekannt, dass alle Akten zu »Tarif« und angeblich sechs weiteren Spitzeln restlos geschreddert worden sind. Die Aktenvernichtungsaktion lief just zu dem Zeitpunkt, als die Behördenleitung eine Sichtung aller Akten mit Bezug auf die mutmaßlichen Neonazi-Terroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe, die in München angeklagt ist, angeordnet hatte.

Nun, so gab Krings Auskunft, verfüge man wieder über 171 sogenannte Deckblattmeldungen. Es handelt sich um »983 Seiten oder - je nach Ausdruck ca. zwei bis drei Aktenordner« zum ehemaligen V-Mann »Tarif«, heißt es in der Antwort auf eine Kleine Anfrage. Die erste wiedergefundene Deckblattmeldung - so werden in der Regel Treffberichte bezeichnet - stammt aus dem Januar 1995, die letzte vom August 2001.

Konkret werden will der Geheimdienst beim Thema Quellenführung nicht und schiebt einmal mehr die Begründung »operatives Kerngeschäft der Nachrichtendienste« vor.

Zur Rekonstruktion geschredderter Dokumente wurden die »dezentral in verschiedenen Arbeitsbereichen des BfV vorliegenden Aktenbestände herangezogen«. Fleißig. Nur: Warum hat man vor dem Bundestagsuntersuchungsausschuss zum NSU-Skandal behauptet, dass dies nicht möglich sei? Seinerzeit waren lediglich 39 Quellenberichte von »Tarif« vorgelegt worden, bestätigte Staatssekretär Krings jetzt. Auch die Bundesanwaltschaft, die ja die Anklage gegen Zschäpe und Helfer erarbeitet hat und nun vertreten muss, hatte bis 2015 keinen kompletten Zugriff auf die Akten. Erst im Oktober 2014 hatte BfV-Präsident Hans-Georg Maaßen die Anweisung gegeben, nach »Tarif«-Akten zu suchen.

1994 soll sich der Neonazi dem Geheimdienst angedient haben. »Tarif« ist nicht irgendein V-Mann. Der 1974 Geborene kommandierte in den frühen 1990ern die Kameradschaft Leinefelde im thüringischen Eichsfeld, leitete deren Wehrsportgruppe. Er hielt enge Kontakte zur »Kameradschaft Jena« und dem »Thüringer Heimatschutz«, aus dem der NSU erwuchs. Verbindungen zum »Blood& Honour«-Netzwerk und zu »Combat 18« sind belegbar. Im Kreis Göttingen kandidierte er für die NPD.

Ursprünglich hieß der Mann Michael See, nach seiner Heirat ist er Michael Doleisch von Dolsperg. Mit dem Geld, das er vom Verfassungsschutz kassierte, gab er jahrelang die rassistische Nazipostille »Sonnenbanner« heraus. Ein Exemplar wurde auch in der 1998 ausgehobenen Bombenwerkstatt des NSU-Trios in Jena gefunden. In Artikeln der Zeitschrift wird das - vom NSU später realisierte - Konzept autonomer Zellen propagiert, die aus dem Untergrund heraus den Rechtsstaat bekämpfen.

In einem von V-Mann von Dolsperg verfassten Text heißt es: »Daher haben wir den Weg gewählt, der am schwierigsten, am unbequemsten und am steinigsten ist: den Untergrund, die autonomen Zellenstrukturen (…) Wir wollen die BRD nicht reformieren - wir wollen sie abschaffen.«

Von Dolsperg, der in Schweden lebt, hat dem »Spiegel« erzählt: »Das BfV bekam alle Ausgaben von mir vorab.« Änderungswünsche vom Bundesamt habe es bis auf eine Ausgabe, bei der es um die Gestaltung des Titelblatts ging, nicht gegeben.

»Tarif« behauptet in einer Vernehmung durch die Bundesanwaltschaft im März 2014, seinem V-Mann-Führer 1998 einen Hinweis auf das untergetauchte NSU-Trio gegeben zu haben. Ein Thüringer Neonazi habe ihn angesprochen, ob er den Dreien eine Unterkunft besorgen könne. Das BfV aber habe die Möglichkeit ausgeschlagen, das spätere mutmaßliche Mördertrio zu schnappen.

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