Pyrrhussieg für den Senat
Mieter in der Beermannstraße müssen umziehen - aber erhalten Entschädigung
Bis zum heutigen Montag müssen die verbliebenen Mieter der Beermannstraße 20 und 22 ihre Häuser verlassen haben. Das Urteil der Berliner Enteignungsbehörde, welches den Mietern bereits vergangenen Montag durch einen Kurier zugestellt wurde, war soweit erwartbar. Völlig überraschend jedoch sind die weiteren Entscheidungen im Urteil. Der Senat muss den Mietern für 191 Monate die Differenz von alter zu neuer Miete begleichen. Damit wird den Mietern Recht gegeben, die die vom Senat angebotenen Ersatzwohnungen stets als zu teuer zurückgewiesen hatten.
Mit einem sogenannten Besitzeinweisungsverfahren ist der Senat, vertreten durch die internationale Großkanzlei White & Case, gegen die sechs verbliebenen Mieter vorgegangen. Mit der Einbeziehung der Enteignungsbehörde wollte der Senat die Übergabe der Häuser beschleunigen und langwierige Räumungsklagen umgehen. Das Ziel hat der Senat erreicht, allerdings muss er jetzt die Mieter für fast 16 Jahre entschädigen. Der Abriss der Häuser ist für den weiteren Ausbau der A 100 von Nöten, welcher die Autobahn vom Dreieck Neukölln bis an den Treptower Park verlängern wird.
Das Urteil hat jedoch eine Einschränkung: Die Mietdifferenz muss nur beglichen werden, bis ein rechtskräftiges Urteil im schwebenden Verfahren zur Kündigung der Mietverhältnisse vorliegt. Der Senat hatte den Mietern bereits 2013 gekündigt, aber den Rechtsweg nicht ausgeschöpft, da er den Weg über die Enteignungsbehörde als erfolgversprechender einschätzte.
Für den Mieter Benjamin S. ist das Urteil eine Genugtuung. »Das Urteil zwingt den Senat dazu, uns das zu liefern, was er uns 2011 versprochen hat: adäquaten Ersatzwohnraum zu ähnlichen Konditionen.« Alle bisherigen Wohnungsangebote des Senats waren mit 120 bis 160 Prozent teurer als die Miete in der Beermannstraße. S. empfand den ständigen Druck seitens des Senats zudem als sehr belastend, wie er berichtet. So wurden er sowie die weiteren verbliebenen Mieter von Staatssekretär Gaebler (SPD) als »sich illegal in den Wohnungen aufhaltende Personen« bezeichnet, obwohl erst jetzt mit der Entscheidung der Enteignungsbehörde ein rechtskräftiges Urteil gegen sie vorliegt. Die Anwaltskanzlei drohte willkürlich mit der Räumung, musste aber nach einem Eilantrag von S. gegenüber dem Verwaltungsgericht zusagen, diese bis zu einem endgültigen Urteil auszusetzen. Mieter S. ärgert am meisten, wie mit ihm von Seiten des Senates umgegangen wurde. »Wir wurden immer behandelt, als wären unsere Forderungen völlig abwegig.« Auch in der mündlichen Verhandlung wurde S. vom White & Case Anwalt Henning Berger und der Vertreterin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, Katrin Vietzke, ausgelacht und als weltfremd abgetan, als er die Begleichung der Mietdifferenz für die durchschnittliche Dauer eines Berliner Mietverhältnis forderte, welches derzeit bei 191 Monaten liegt. Die Behörde sah die Forderung hingegen als angebracht an. Harald Moritz, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, ärgert sich schon lange über die herablassende Haltung des Senates gegenüber den Mietern. »Der Senat hätte schon vor zwei Jahren auf die Mieter zugehen müssen«, so Moritz. Stattdessen wurde Druck aufgebaut, und darauf spekuliert, dass sich keiner wehren wird. Moritz freut sich über den Sieg für die Mieter, und fordert, dieses Urteil auch für diejenigen Mieter anzuwenden, die sich nicht gewehrt haben und deren Mietdifferenz deshalb nicht beglichen wird.
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Dies ist auch die Forderung des Bündnisses »Besetzen statt Räumen«, dass zur Besetzung der Häuser in der Beermannstraße aufruft. »Es kann nicht sein, dass intakter Wohnraum zerstört und an den Interessen der Bürger vorbei eine milliardenteure Autobahn gebaut wird, die kein Mensch braucht«, so ein Teilnehmer einer Demonstration am Sonntag. Rund 150 Personen waren dem Aufruf des Bündnisses gefolgt, die Häuser zu besetzen. Sie wurden von einem Großaufgebot der Polizei jedoch daran gehindert. Die Initiatoren sehen dies nicht als Misserfolg; stattdessen sei die »Demonstration Teil einer sich formierenden Bewegung, die den verfehlten Wohnungsbau in Berlin nicht akzeptiert«, so ein Sprecher des Bündnisses. Sowohl an die Bürger Berlins als auch an die Politik gewandt versprach das Bündnis, den Protest weiterzuführen: »Wir werden dieses Jahr Häuser besetzen und erfolgreich verteidigen!«
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