Geschichte eines extremistischen Staates

Was bei der Geschichtsschreibung zur RAF auch in der sechsteiligen TV-Serie vergessen wird

Es gibt einen Grund, sich die sechsteilige ZDF-Serie »Die Geschichte der RAF« anzusehen: um zu erfahren, wozu ein demokratischer Rechtsstaat fähig ist. Ein paar Beispiele: lebensgefährdende Isolationshaft gegen Gefangene aus der RAF im Toten Trakt der JVA Köln-Ossendorf, Sondergesetze zur Einschränkung der Rechte der Verteidiger, Abhören von Gesprächen zwischen Angeklagten und ihren Rechtsanwälten durch Bundesregierung, BND und Verfassungsschutz. Der damalige Stammheimer Gefängnisdirektor, der zuständige Abteilungsleiter im BKA und Justizminister Hans-Jochen Vogel (SPD) rechtfertigen in Interviews noch heute das verfassungswidrige Abhören der Gefangenen. Ein letztes Beispiel: Während der Schleyer-Entführung 1977 regt Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) an, auch exotische Ideen vorzutragen, woraufhin im von Politikern besetzten Krisenstab der Vorschlag kommt, mit der Erschießung der RAF-Gefangenen zu drohen.

Einziger kritischer Interviewpartner von staatlicher Seite ist Gerhart Baum (FDP), damals parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium. Er reflektiert unter anderem das frühe staatliche Eskalieren, analysiert, dass sich das BKA verselbstständigte und sich die Politiker in einen Kriegszustand hineinredeten, obwohl seiner Meinung nach eine Notstandsituation niemals gegeben war.

Der erste Teil der Serie erläutert die Revolte von 1967/68 und erwähnt mit dem Vietnamkrieg auch die internationale politische Dimension dieser Radikalisierung. Die erklärende Erzählung endet aber dort, wo es mit der RAF beginnt. Es ist sicher legitim, die RAF in den schwärzesten Farben zu malen, wie es so oft passiert und schon langweilt, aber genauso muss die Frage gestattet sein, ob sie nicht eine Legitimation hatte. Ihr Anschlag auf das US-Hauptquartier in Heidelberg im Mai 1972 wird im Film kurz erwähnt, nicht aber der Anlass: Die anhaltende Bombardierung Vietnams durch die USA. Ein Gebäude, in dem sich die Computerzentrale befand, wurde fast völlig zerstört. Dort wurde der Bombennachschub für die gewaltigen Flächenbombardierungen berechnet. Wäre es damals nicht jedermanns Pflicht gewesen, gegen den Völkermord in Vietnam Widerstand zu leisten? Ist die Zerstörung von solchen Computeranlagen nicht eine vorbildliche Aktion? In Hanoi jedenfalls soll man den revolutionären Internationalisten der deutschen Stadtguerilla gedacht haben, indem ihre Fotos auf den Straßen ausgehängt wurden.

Die Filmautoren Anne Kauth und Bernd Reufels, beide knapp über 40, möchten mit ihrem Filmbeitrag die Geschichte der RAF für eine junge Zuschauerschaft, die diese Zeit nicht miterlebt hat, erzählen. Sie führten dafür zahlreiche Interviews mit Zeitzeugen und Publizisten, die durch weitgehend unbekannte historische Aufnahmen ergänzt werden. Schwerpunkt des Sechsteilers sind die ersten sieben Jahre der RAF bis zum Ende der Schleyer-Entführung 1977, die sich bis in die fünfte Folge zieht. Nach der Abhandlung über die »DDR-Aussteiger« vermittelt der Film - wie schon in der ersten Folge, als der Westberliner Verfassungsschutzspitzel Peter Urbach erwähnt wird -, dass politischer Widerstand ohne Hilfe der Geheimdienste in West und Ost nicht denkbar scheint.

Wenn man die RAF zudem als eine Hand voll Leute darstellt, die einen anderen Weg als viele 1968er eingeschlagen und die bewaffnete Konfrontation mit dem Staat gesucht haben, wird das dieser Gruppe nicht gerecht. Eine immerhin vierstellige Zahl von Personen wurde wegen Mitgliedschaft und Unterstützung verurteilt und war damit direkt oder indirekt an dem Projekt RAF beteiligt. Darüber hinaus erzählt Claus Peymann im zweiten Teil der Serie, dass selbst hohe politische, juristische, medizinische und künstlerische Kreise darüber diskutierten, gesuchten Genossinnen und Genossen der RAF Unterschlupf zu gewähren. Aber das ist nicht alles. Eine Umfrage des Allensbacher Meinungsforschungsinstituts im Jahr 1970 ergab sogar, dass 25 Prozent der Befragten unter 30 Jahren gewisse Sympathien für die RAF hatten. Jeder zwanzigste wäre dazu bereit gewesen, einem Illegalen eine Unterkunft für eine Nacht zu bieten: Die RAF war populär.

Neben Sympathie gab es auch Zuspruch. Der »Abschuss von Buback«, wie ein Student aus einer Göttinger Sponti-Gruppe die Erschließung des Generalbundesanwalts 1977 bezeichnete, stieß auf auf »klammheimliche Freude«, weil Siegfried Buback »bei der Verfolgung, Kriminalisierung, Folterung von Linken eine herausragende Rolle spielte«. Es stimmt nicht, wie der vom ZDF zum »RAF-Experten« ernannte Butz Peters behauptet, dass alle schockiert gewesen seien, als sie von der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten und früheren Nazis Hanns Martin Schleyer erfahren haben. Parolen wie »Buback, Ponto, Schleyer - der nächste ist ein Bayer« (eine Anspielung auf den bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß) wurden auf Demonstrationen gerufen, eine Schulband aus dem Taunus verfasste nach dem Tod von Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen 1989 einen Song mit der Textzeile »Wer das Geld hat, hat die Macht, bis es unterm Auto kracht«. Auch der spätere Spruch »Wo ist die RAF, wenn man sie braucht?« steht für ein nach ihrer Selbstauflösung 1998 noch existentes Einverständnis in einem zugegeben kleinen Teil der Gesellschaft, was aber - ebenso wie die kritische Solidarität mit der RAF - zur ihrer Geschichte und der der Linken gehört.

Wie aber könnte eine Gegenerzählung zur herrschenden Geschichtsschreibung aussehen? Eine Voraussetzung, um eine Geschichte der RAF von unten zu schreiben, wäre es, RAF-Mitgliedern ausführlich Raum zu geben, die in der Lage sind, den Entstehungs- und Entwicklungsprozess, das Denken und Handeln der RAF begründet zu schildern und politisch einzuordnen, - anstatt Randfiguren wie Silke Meier-Witt, die aufgrund ihrer Kronzeugenaussagen ihre eigene Geschichte an die Vorgaben der Staatsschutzorgane angeschmiegt haben. Für das Verständnis einer politischen Gruppe sind zudem ihre eigenen Dokumente von zentraler Bedeutung. In einem 500-seitigen Buch sind die Texte und Erklärungen der RAF zugänglich.

Der ZDF-Film beinhaltet die übliche Individualisierung bzw. Personalisierung, greift Einzelne, insbesondere Andreas Baader (und auf staatlicher Seite BKA-Präsident Horst Herold) heraus und bedient die bekannten Klischees: Baader sei »Führer« oder »absoluter Herrscher«, die RAF ein hierarchischer Haufen. So werden Vorstellungen geäußert und nacherzählt, wie sie viele aus der großen Parteipolitik oder dem Militär kennen. Aber so funktionierte die RAF, ebenso wie viele andere linke Gruppen, nicht.

Um das zu vermitteln braucht es ein Verständnis von politischer Bewegung, ihres gesellschaftlichen und internationalen Kontextes in der jeweiligen Zeit. Natürlich gibt es immer Menschen, die Ideen entwickeln und einbringen und damit die gemeinsame Sache mehr voranbringen als andere. Sicher streitet man, teils auch sehr heftig (in den 1970ern und 1980ern viel mehr als heute), aber das gehört zur gemeinsamen Diskussion und ist Teil eines kollektiven Entscheidungsprozesses. Wer aber dies berücksichtigen und ein anderes Bild der deutschen Stadtguerilla zeichnen möchte, muss damit rechnen, dafür keinen mehrstündigen Sendeplatz in einem deutschen Fernsehsender zu erhalten.

Geschichte der RAF. Vollständige Ausstrahlung der sechsteiligen Reihe in ZDFinfo am 27. Februar ab 20.15 Uhr. Von 23.15 bis 0.45 Uhr werden erstmals die Folgen 5 und 6 gesendet.

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