Zauberer in Mannheims Geisterstadt
Seit 2014 ist die einst größte US-Wohnsiedlung in Deutschland verwaist - für eine neue Nutzung sind umfangreiche Umgestaltungen vonnöten
Mannheim. Verwaiste Spielplätze, Häuserzeilen ohne Bewohner, leere Straßen und Basketballfelder: Nach dem Abzug der Amerikaner wirkt das ehemalige Armeegelände Benjamin Franklin Village in Mannheim wie eine Geisterstadt. Besucher brauchen viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass es an dieser Stelle in einigen Jahren ein buntes, quirliges Viertel geben soll. Wenn alles nach Plan läuft, werden dann 8000 Menschen hier ein neues Zuhause finden. Entstehen soll ein Mix aus neuem und saniertem Wohnraum, Gewerbe, Freizeitangeboten und Bildungseinrichtungen, durchzogen von Grün. Vor den Planern liegt eine Mammutaufgabe. Das Areal, zusammen mit zwei benachbarten Flächen kurz Franklin genannt, misst 144 Hektar - ungefähr soviel wie Mannheims Innenstadt. Laut Bundesanstalt für Immobilienaufgaben ist es die größte ehemalige US-Wohnsiedlung Deutschlands. Eine besondere Herausforderung wird die Gestaltung der Quartiermitte. »Ein solches Gelände braucht eine lebendige Mitte, sonst ist es eine tote Stadt«, sagt Mannheims Konversionsbeauftragter Konrad Hummel.
2014 räumten US-Soldaten auf Franklin das letzte Gebäude. Fast 60 Jahre lang lebten und arbeiteten hier bis zu 10 000 Menschen, vor allem Soldaten und ihre Familien. Durch den US-Abzug werden im Südwesten nach und nach teils riesige Areale frei. Betroffen ist vor allem das Rhein-Neckar-Gebiet mit Flächen von gut 800 Hektar. Der Geschäftsführer des Deutschen Mieterbundes Baden-Württemberg, Udo Casper, sieht eine historische Chance. Der Wohnraum sei in dem Gebiet knapp und teuer, die zusätzlichen Flächen könnten Entspannung bringen. »Unser Wunsch wäre, dass es eine stabile soziale Durchmischung der Bevölkerung gibt und nicht nur teure Wohnungen entstehen.« Städte würden schließlich immer bunter - diese Vielfalt müsse auch in den neuen Quartieren zum Ausdruck kommen. Die Planer versichern, dass ein buntes Viertel genau das ist, was sie möchten - mit ausreichend erschwinglichem Wohnraum. Im Herbst sollen auf Franklin die Bauarbeiten beginnen, nach der Vorstellung von Hummel ziehen schon Mitte 2016 die ersten Pioniere ein. Die Strukturen des Quartiers sollen in knapp zehn Jahren weitgehend stehen. »Wir werden die größte Baustelle der Stadt haben, dort zu wohnen ist anfangs nicht ganz ohne.« Im Detail gebe es noch einige Schwierigkeiten, sagt Hummel bei einer Rundfahrt über das Gelände.
Zum Beispiel ist keines der Häuser barrierefrei - und dabei soll in der geplanten Siedlung Inklusion, also die Integration Behinderter, großgeschrieben werden. Auch in Sachen Umweltschutz ist viel zu tun: In dem Viertel soll der Energieverbrauch intelligent gesteuert und mit einem elektromobilen Verkehrskonzept verknüpft werden. Und: Der riesige Supermarkt steht an der falschen Stelle, er würde viel Autoverkehr direkt in die Stadt locken - und gerade das möchten die Entwickler nicht. »Das ist einer der vielen Widersprüche von Franklin, die mit der amerikanischen Stadtplanung zu tun haben«, sagt Hummel. Ebenso wie die große Basketballhalle ohne Umkleiden - die Amerikaner kamen einfach in Sportklamotten zum Training.
Mannheims Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD) sagt: »Es ist ein Projekt, das uns helfen kann und ist mehr Chance als Herausforderung.« Bislang ziehe Mannheim zwar zahlreiche Menschen zwischen 20 und 30 Jahren an, verliere aber zu viele im Alter zwischen 30 und 40. Das soll sich mit Franklin ändern. dpa/nd
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