Kapital ohne Grenzen

John Urry nimmt das Offshoring unter die Lupe

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 2 Min.
Ohne Offshoring würde der globalisierte Neoliberalismus kaum funktionieren. Eine Publikation geht dem Problem auf den Grund.

Für den marktradikalen Kapitalismus unserer Tage ist die Möglichkeit, Devisen in Steuerparadiese zu verschieben, ebenso wichtig wie das Auslagern von industrieller Produktion und Arbeit, um Gewerkschaften sowie Sicherheitsbestimmungen zu umgehen. Der britische Soziologe John Urry bezeichnet dies als »Klassenkampf von oben«. Ohne Offshoring ließe sich das nicht bewerkstelligen.

Die Soziologie hat sich bisher kaum damit beschäftig, obwohl es dieses Phänomen schon seit Jahrzehnten gibt. Die Entstehung von Sonderwirtschaftszonen vor allem in China geht auf eine UN-Initiative der 1970er Jahre zurück. Das wichtigste Instrument des Offshorings entstand also in der fordistischen Krise und mit dem Beginn des neoliberalen Umbaus der Weltwirtschaft. Hier lassen sich jene nationalstaatlichen Regelungen umgehen, die aus marktradikaler Sicht profithemmend wirken. Das Offshoring ermögliche, so Urry, ein »Regime-Shopping«, bei dem Konzerne und hochvermögende Einzelpersonen mit ihren Devisen, mit Arbeit und Produktion den für sie günstigsten Standort aussuchen. Neben der industriellen Fertigung wird mittlerweile auch der Dienstleistungsbereich ausgelagert, etwa bei Call-Centern. Denn ob der Berater bei der »Ohr-zu-Ohr«-Dienstleistung im indischen Bangalore sitzt oder im britischen Kent, ist dem Kunden in der Londoner City egal.

Beim Devisen-Offshoring werden letztlich die gleichen Instrumente angewendet, die zum Einsatz kommen, wenn Geld aus kriminellen Geschäften gewaschen wird. Wie eng das beieinanderliegt, zeigt gerade der Skandal um die Schweizer Filiale der Großbank HSCB, zu der sich auch in Urrys Buch etwas findet. Dabei ist die Aufrechterhaltung der seriösen Fassade essenziell. Oft sind die Offshore-Zonen ehemals bitterarme Kolonien, die plötzlich zu schicken Urlaubsparadiesen ausgebaut wurden. Um Geld aus den Industrienationen anzulocken, braucht es gute Transportwege, ein funktionierendes Kommunikationssystem, soziale Stabilität und vergleichsweise lasche Regulierungen im Finanzmarkt- und Devisenbereich.

Gleichzeitig werden die Offshore-Plätze zu Orten, an denen Konsumträume wahr werden. Bestes Beispiel ist Dubai, das mit dem höchsten Gebäude der Welt, extrem teuren Immobilien, dem einzigen 7-Sterne-Hotel und Massenprostitution den Lebensstil westlicher Eliten in der Superlative vorhält. Die Kehrseite des Dienstleistungs- und Luxuswunders sind entrechtete, im Wüstenghetto lebende Arbeitsmigranten. 250 000 Lohnsklaven leben in dem Emirat. In Dubai schlug dann die Immobilien- und Finanzmarktkrise 2007/8 besonders hart zu. Denn die für den Neoliberalismus so typische spekulative Verbindung von Kapital und Immobilien ist auch in höchstem Maße krisenanfällig.

John Urry: Grenzenloser Profit - Wirtschaft in der Grauzone, Wagenbach-Verlag, Berlin, 2015, 192 S., 17,90 €.

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