»Wir müssen umdenken«
EU-Rechtsprofessor Philippe de Bruycker fordert legale Wege der Einwanderung in die EU
Warum werden Flüchtlinge in Europa in Lagern interniert?
Das Konzept gibt es seit etwa 20 Jahren. Internierung verfolgt eigentlich das klare Ziel, den Internierten in sein Land zurückzuführen. Dadurch stellt man sicher, dass diese Personen für die Rückführung bereitstehen. Bei Asylsuchenden haben wir aber eine ganz andere Situation. Die Menschen kommen zu uns, weil sie in ihren Ländern nicht bleiben können. Bei der Frage, wie und ob Internierung genutzt wird, geht es letztlich um die Kompatibilität von EU-Recht mit der Konvention zum Schutz der Menschenrechte.
Welche Konsequenzen hat eine Internierung für die Betroffenen?
Das hängt von den Leuten und den genauen Umständen ab. Klar ist, dass sich eine Internierung negativ auf die Psyche und das körperliche Wohlbefinden auswirkt. Aber viele Menschen nehmen sie auch in Kauf. Sie denken, es ist ein Teil des Prozesses. Wer sein Leben riskiert, um herzukommen, akzeptiert drei oder sechs Monate Internierung.
Wie viele Flüchtlinge werden interniert? Sind es mehr als in Auffanglagern untergebracht sind?
Nein. Die meisten Asylsuchenden sind in Auffanglagern und können sich frei bewegen. Aber die neue EU-Richtlinie »zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen« von 2013, die noch von den Mitgliedsstaaten umgesetzt werden muss, erlaubt Internierung. Das allein ist noch kein Problem, aber es könnte eines werden, wenn es den Mitgliedsstaaten einen Anreiz gibt, mehr Asylsuchende zu internieren.
Wie kann das verhindert werden?
Europa ist ein Kontinent der Einwanderung. Aber wir haben Probleme, das zuzugeben und es richtig zu managen. Wir verwenden alle Energie darauf, so genannte illegale Einwanderung zu verhindern, obwohl wir wissen, dass wir in der Zukunft Migranten brauchen. Die europäischen Völker werden kleiner und älter. Wir wollen ein mächtiger Kontinent bleiben, aber das schaffen wir nicht mit einer alternden und schrumpfenden Bevölkerung. Wir müssen umdenken, den Schalter umlegen, wir müssen weg von dem Fokus auf illegale Migration und hin zu der Idee, Migration besser zu managen und Gesetze für legale Einwanderung zu implementieren. Wir müssen uns auch fragen, ob wir eine gemeinsame Politik auf EU-Ebene wollen, oder ob wir nur etwas Vages formulieren, das den Mitgliedsstaaten erlaubt, zu machen, was sie wollen. Wir haben ein gewisses Level an Harmonisierung der EU-Gesetzgebung erreicht, aber die Mitgliedsstaaten bleiben weitgehend autonom.
Wie weit sind wir entfernt von einer gemeinsamen Politik? Erkennen sie einen gemeinsamen Willen, vor allem im Kontext der jüngsten Entwicklungen im Mittelmeerraum?
Da ist Fortschritt, aber nicht so viel, wie wir erwartet haben. Die Richtung ist auch nicht klar. Wir hatten noch nie eine ernsthafte Diskussion darüber, wo wir hinwollen und was möglich ist in der Migrationspolitik. Europa ist nicht die Lösung für alles, einige Kompetenzen sollten in den Mitgliedsstaaten bleiben, aber wir hatten noch keine Diskussion darüber, wer was machen kann und soll.
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