Kindische Spiele griechischer Oligarchen

Im Fußball zeigt sich die Einflussnahme der Milliardäre exemplarisch. Die neue Regierung wird es schwer haben

  • Nikolas Leontopoulos, Athen
  • Lesedauer: 9 Min.

Es war ein ungewöhnlich kalter Februarabend in Athen, als sich Tausende vor dem Parlament versammelten, um – dem Wetter trotzend – der neugewählten Regierung den Rücken zu stärken, die in Brüssel mit den EU-Partnern in der Eurogruppe verhandelte. Zur selben Zeit versammelte sich nur ein paar Kilometer entfernt eine noch deutlich größere Menschenmenge: 30 000 füllten das Karaiskaki-Stadion in Piräus, Olympiakos Piräus spielte zuhause gegen AEK Athen – im Viertelfinale des nationalen Pokals.

Die Hauptdarsteller dieses klassischen Derbys (Piräus ist der Hafen der Stadt Athen) waren indes nicht auf dem Platz zu sehen, sie saßen auf der Tribüne: Vangelis Marinakis, Olympiakos-Besitzer und Dimitris Melissanidis, Eigentümer von AEK Athen, deren Gesichter die Sporttageszeitung »Goal« am Morgen des Derby auf Seite eins gegenüberstellte unter dem Titel: »Ein Kampf um die Macht«.

Noch am Vorabend des Spiels, hatte Griechenlands Anti-Korruptions-Minister Panayotis Nikoloudis bewusst jene »Handvoll von Familien« angeprangert, »die denken, dass Staat und öffentlicher Dienst nur ihren eigenen Interessen zu dienen haben.« Den Begriff Oligarch, den die internationale Presse stets verwendet, nutzte er indes nicht.

George Sourlas, konservativer Politiker und bis vor kurzem Generalsekretär für Transparenz im Justizministerium, hat einst eine recht originelle Typologie für den griechischen Oligarchen vorgeschlagen: »Der Oligarch ist ein Großunternehmer. Meist besitzt er Medienunternehmen, eines oder mehrere. Meist hat er starke Verquickungen mit einer Bank und beste Verbindungen zum politischen System. Am wahrscheinlichsten aber ist, dass er einen Fußballverein besitzt.«

Seit den frühen 1980er Jahren wechseln sich die mächtigsten Familien an der Spitze der griechischen Top-Clubs ab. Ihre Rechtsbrüche sind mannigfaltig: Einer soll einst für die DDR-Staatssicherheit spioniert haben und illegal Hochtechnologie in Warschauer-Pakt-Staaten verschoben haben, ein anderer steht in Zypern wegen des dortigen Bankenskandals vor Gericht und ein weiterer soll als Bankier mehrere Hundert Millionen Euro unterschlagen haben.

Olympiakos-Eigner Marinakis und AEK-Besitzer Melissanidis sind zwei der mächtigsten Menschen in Griechenland und sogar darüber hinaus: »Lloyd’s List«, seit 1734 führendes Leitmedium der Marineindustrie, reiht die beiden unter den »100 wichtigsten Menschen in der Weltschifffahrt« ein. Beide Vereinsbosse lieben dicke Zigarren und deftige Worte und noch etwas anderes haben sie gemein. Sie wurden schon viele Male schwerer Straftaten beschuldigt, um am Ende jedes Mal ohne Bestrafung davonzukommen.

Dimitris Melissanidis, 63, Zeitungen nennen den streitlustigen AEK-Boss gerne »Tiger«, ist laut US-Börsenaufsichtsbehörde SEC in der Vergangenheit in Griechenland wegen Ölschmuggels angeklagt worden, aber trotz einiger erstinstanzlicher Verurteilungen am Ende immer wieder freigesprochen worden. Selbst im Fußball wurde Melissanidis schon straffällig. »Im Jahr 1982 wurde Herr Melissanidis der Vergehen der Bestechung zweier Spieler in einem Amateur-Fußballspiel verurteilt«, heißt es in einem Bericht der SEC.

Olympiakos-Eigner Vangelis Marinakis, 47, plagen indes sogar aktuelle rechtliche Probleme. Er wird mit gewerbsmäßiger Spielverschiebung in Verbindung gebracht. Laut Staatsanwaltschaft hat Marinakis dabei »versucht, ... Polizeibeamte, Richter, Politiker und andere mächtige Individuen zu manipulieren.« Der Prozess läuft.

Marinakis und Melissanidis mögen keine Kritik. Und schon gar keine Kritiker. Als Journalist Lefteris Charalambopoulos im Magazin »Unfollow« über Melissanidis' Ölschmuggel berichtet hatte, erhielt er einen Anruf von einem Mann, der sich als Dimitris Melissanidis vorstellte und drohte, den Journalisten und seine Familie zu töten. Melissanidis bestreitet, der Anrufer zu sein, wurde aber verklagt.

Vieles, was Journalisten kaum zu schreiben wagen, haben die beiden Ölmagnaten indes selbst in aller Öffentlichkeit schon ausgesprochen. Marinakis nannte seinen Kontrahenten Melissanidis einen »Schmuggler«, was Melissanidis damit beantwortete, dass er Marinakis' rechte Hand beschuldigte, in einen Heroinskandal verwickelt zu sein. Olympiakos Piräus, der Marinakis-Klub, teilte umgehend in einer Erklärung mit, Melissanidis sei an einem »geplanten Mordversuch« gegen einen Schiedsrichter beteiligt gewesen. Der Referee war zusammengeschlagen worden.

Eine noch größere Feindschaft herrscht allerdings zwischen Panathinaikos Athen und Olympiakos Piräus, das in den vergangenen 18 Jahren 16 Mal den Meistertitel errang. Dass Panathinaikos Ende Februar das große Match 2:1 gewinnen konnte, interessierte nach den gewalttätigen Ausschreitungen der Panathinaikos-Fans kaum noch jemanden. Die Anhänger aus der Hauptstadt hatten sich über Marinakis’ Verhalten am Spielfeldrand so sehr erregt, dass sie den Platz stürmten. In Griechenlands Liga passiert so etwas nicht selten.

Panathinaikos wurde mit dem Abzug von drei Punkten bestraft, ein paar Tage später sollten die Chefs der beiden Klubs ihre Fehde bei einem Treffen des Ligaverbandes der »Super League« beilegen. Hier ein kleiner Auszug dessen, was dabei so ausgetauscht wurde.

Marinakis (Olympiakos): »Sie sind ein Gauner, verurteilt für Schmuggelei! Sie sind ein Versager, ein paranoider, kleiner Mann. Wer sind Sie, um über Ethik und Fußball zu reden?« Panathinaikos-Boss Yannis Alafouzos, Schiffs- und Medieneigner, entgegnete: »Atmen Sie tief durch und beruhigen Sie sich, Sie können ja bei all dem Fett kaum sprechen.« Daraufhin warf Marinakis ein Glas Wasser in Richtung Alafouzos.

Stavros Kontonis, Sportminister der gerade gewählten SYRIZA-Regierung, ordnete an, die Meisterschaft für eine Woche zu unterbrechen. An diesem Wochenende darf in Griechenland nun wieder gespielt werden, allerdings vorerst unter Ausschluss des Publikums.

Die harte Haltung des Ministers ist ein Statement, das über den Fußball hinaus wirken soll. Denn im Fußball zeigen sich die gleichen Auswüchse der Korruption, die SYRIZA »zerstören« will, wie es Finanzminister Yanis Varoufakis ausdrückte. Wie weit kann das Linksbündnis dabei gehen? Die bisherigen Erfahrungen besagen, dass man sich einen Verbündeten dafür suchen sollte: die EU-Partner, die so scharf darauf sind, das Land zu »reformieren«. Aber ist Europa wirklich bereit, die Oligarchie zu bekämpfen?

In der jüngsten Forbes-Liste, die die reichsten Menschen auf der Erde benennt, schafften es nur drei Griechen in die Top 1000. Nur einer von ihnen hat sein Unternehmen in Griechenland.

In gewisser Weise sind die »griechischen Oligarchen« nicht mehr als Stellvertreter – kleine Fische, die die Interessen der dickeren Fische vertreten. Dimitris Melissanidis, der AEK-Eigner, zum Beispiel gilt als der große Nutznießer der Privatisierung von OPAP, dem staatlichen Glücksspielmonopolisten. Und doch besitzt er nicht mehr als elf Prozent an der Gesellschaft – durch seinen Sohn. Der Hauptaktionär ist ein internationaler Fonds, PPF. Der Fonds hatte Melissanidis als lokalen Partner für die Ausschreibung ausgewählt.

Nichtsdestotrotz können sich griechische »Oligarchen« als Partner vor Ort oder als Meinungsmacher über ihre einflussreichen Medien nützlich machen. Panathinaikos-Chef Yannis Alafouzos beispielsweise ist zwar einer der leiseren Oligarchen, dennoch bündelt er in seinem Familienunternehmen (TV, Radio, Print) ungeheure Macht. Seine Zeitung »Kathimerini« gilt als Qualitätszeitung und Leitmedium. »Kathimerini« war einer der engagiertesten Verteidiger des Spardiktats.

Und auch die herzlich verfeindeten Marinakis, Melissanidis und Alafouzos waren sich in einem stets einig: Sie waren leidenschaftliche Anhänger der bisherigen Regierungen, die sich dem EU-Austeritätsdiktat unterwarfen. Sie sind in der Presse immer wieder als Freunde des ehemaligen Premierministers zitiert worden – zumindest bis zu den Wahlen.

Wenig überraschend erwiderte die Troika diesen Gefallen gerne: Sie quetschte mit den Reformen jeden möglichen Cent aus Rentnern und Arbeitern heraus, drückte Millionen unter die Armutsgrenze oder in die Arbeitslosigkeit, ließ aber das System der Oligarchie unberührt: Alle Privilegien von Medieneignern und Steuerbefreiungen von Schiffsbesitzern blieben bestehen. Prüfungen von unvorteilhaften Staatsverträgen wurden verworfen, besonders wenn sie ausländische (meist deutsche) Firmen betrafen. Seltsame Bettkumpanen sind das: die Troika und die Oligarchen. Oder doch nicht?

Um das zu beantworten, ist ein Crashkurs der jüngerer politischen Fußballgeschichte in Griechenland nötig. Das Problem der Oligarchie in Griechenland anzugehen, stand nicht exklusiv auf der linken Agenda. In der Vergangenheit versuchten sich schon zwei Regierungen daran, eine konservative und ein Mitte-Links-Bündnis. Beide scheiterten.

2001 etwa erschütterte die Korruption im heimischen Fußball die Fans so sehr, dass der damalige Sportminister in einem mutigen Schritt Untersuchungen und eine staatsanwaltliche Verfolgung veranlasste. Doch schnell zerfiel das Ganze wieder. FIFA und UEFA schritten ein – unter Berufung auf ihre Statuten: Es sei nicht Aufgabe der griechischen Regierung, den Fußball in Ordnung zu bringen. Griechischen Mannschaften wurde der Ausschluss von internationalen Wettbewerben angedroht. Ein FIFA-Sprecher sagte: »Es scheint ein Problem mit einer Einmischung der Regierung in den griechischen Fußball zu geben, was den FIFA-Statuten widerspricht.«

Wenige Jahre später verabschiedete eine konservative Regierung 2004 ein Gesetz, das es Medieneignern verbot, Staatsverträge einzugehen. Dies, so dachten die Abgeordneten, würde die Nabelschnur zwischen Wirtschaft und Politik trennen. Doch EU-Vertreter verlangten die Rücknahme, da das Gesetz gegen Wettbewerbsregeln verstoße. Selbst wenn dies zugetroffen hätte, vermuteten Kritiker dennoch hinter der Kommissionsforderung die Angst von multinationalen Firmen mit engen Kontakten zu lokalen Geschäftsleuten, ihren Zugang zum griechischen Markt zu verlieren. Letztlich war es reine Erpressung: Entweder ihr zieht das Gesetz zurück, oder der Geldfluss aus Strukturfonds für Griechenland versiegt. Die Regierung knickte ein, das Gleichgewicht war wieder hergestellt.

Zurück ins Jahr 2015: Eine gewählte linke Regierung ist an der Macht – erstmals in Griechenland. erstmals überhaupt irgendwo in der westlichen Hemisphäre. Die gegenwärtige Bedrohung gegen SYRIZA kommt nicht aus dem Lager der Oligarchen. Die Regierung steht vielmehr mit ihren »Verbündeten« im Konflikt, den EU-Partnern. Die erste Verhandlungsrunde ergab einen schmerzhaften Kompromiss, da SYRIZA gezwungen wurde, die meisten Wahlversprechen hintenanzustellen. In den kommenden Wochen wird erwartet, dass die »Geber« den Druck sogar noch erhöhen: indem dem griechischen Finanzsystem die dringend nötige Liquidität verwehrt wird.

Selbst wenn sie die nächsten Monate überstehen sollte: Kann sich die Regierung eines schuldengetriebenen Staates noch eine zweite Konfliktlinie neben dem Streit mit der EU leisten? Einen Konflikt mit jenem System, das Griechenland über Jahrzehnte regiert hat? Vielleicht können die Geschäftemacher im griechischen Fußball noch Jahre ihre kindischen Wettbewerbe im gegenseitigen Beschimpfen fortsetzen.

Im Juni läuft die Vereinbarung Griechenlands mit seinen Kreditgebern aus. Das Finale in der Champions League wird am 6. Juni in Berlin ausgetragen. Ob Griechenlands Regierung bis dahin noch an der Macht ist? Wer darauf wetten wollte, riskiert sehr viel.

Der Autor Nikolas Leontopoulos, Jahrgang 1971, lebt in Athen. Er ist Chefredakteur der englischsprachigen Internetseite »ThePressProjekt«, die mit hintergründigen Analysen über Griechenland berichtet. Zudem schreibt Leontopoulos auch für die britische Tageszeitung »The Independent« und die »New York Times«. Seine letzte große Arbeit waren die Recherchen für die vielbeachtete Dokumentation »Macht ohne Kontrolle – Die Troika«, die Ende Februar auf »Arte« zu sehen war.

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