Das Klima steht hintenan
EU-Staats- und Regierungschefs beraten über Griechenland und die Energieunion
Für den EU-Gipfel hatten sich die ranghohen Politiker in der Europäischen Union an diesem Donnerstag hohe Ziele gesteckt. Ganz oben auf der Tagesordnung des Treffens der Staats- und Regierungschefs stehen die jüngst von der EU-Kommission vorgelegten Pläne zum Aufbau einer »Energieunion«. Das Vorhaben gilt als Kernprojekt der neuen Kommission unter Jean-Claude Juncker. Der für Energiepolitik zuständige Kommissar Maroš Šefčovič verglich den im Februar vorgelegten Fahrplan so auch mit der Gründung der Montanunion, die 1951 zum Gründungsstein der Europäischen Gemeinschaft wurde.
Doch die ehrgeizigen Pläne aus Brüssel werden erneut durch hektisches Krisenmanagement zwischen Griechenland und den übrigen Regierungen der Währungsunion überschattet. Der griechische Ministerpräsident Alexis Tspiras hatte um ein Sondertreffen am Rande des Gipfels unter Leitung von EU-Ratspräsident Donald Tusk gebeten. Der Grund: Athen muss bis Ende des Monats Staatsanleihen und Kredite des Internationalen Währungsfonds in Milliardenhöhe bedienen. Die Finanzminister der Eurogruppe weigern sich jedoch, weitere Gelder freizugeben, solange die SYRIZA-geführte Regierung keine weiteren Reformen durchs Parlament bringt - darunter auch Gewinne über 1,9 Milliarden Euro, die die Europäische Zentralbank im vergangenen Jahr durch den Handel mit griechischen Anleihen erzielt hat.
Gabi Zimmer, Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion im EU-Parlament GUE/NGL, kritisierte gegenüber »nd« den Umgang mit Athen: »Die konservativen und sozialdemokratischen Regierungen bestehen auf dem Kürzungsdiktat.« In dem Hilferuf Athens im Vorfeld des Gipfels sieht Zimmer auch ein Scheitern des niederländischen Eurogruppenchefs Jeroen Dijsselbloem. Er habe »wie der Statthalter von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäube gehandelt und so den Konflikt weiter zugespitzt«, so Zimmer.
Kontroverse Debatten sind jedoch auch zu erwarten, wenn der Fahrplan der Kommission zur Energieunion auf dem Tisch der Regierungschefs liegt. Bislang ist die Energieversorgung Sache der Mitgliedsstaaten. Die Folge: Die Stromnetze der einzelnen Länder sind kaum verbunden. Zwölf von 28 EU-Ländern sind von der Außenwelt faktisch abgeschottet - darunter Inselstaaten wie Irland, Zypern und Großbritannien, aber auch Spanien und Portugal. Klima-Kommissar Miguel Cañete will in den kommenden fünf Jahren deshalb 200 Milliarden Euro in den Ausbau europäischer Netze investiert sehen.
Ein Dorn im Auge ist der Kommission vor allem die Abhängigkeit von russischem Gas. Um Ländern, die besonders intensiv mit Russland zusammenarbeiten, zu günstigeren Preisen zu verhelfen, will Brüssel deshalb in Zukunft Einkaufsgemeinschaften fördern und Einblick in laufende Verhandlungen einfordern. Gegen die Vorschläge hat Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel bereits Einspruch eingelegt. Die Sozialdemokraten, darunter auch die energiepolitische Sprecherin der SPD im EU-Parlament, Martina Werner, wollen Geschäftsgeheimnisse geschützt sehen und zweifeln, ob gemeinsame Gaseinkäufe mit europäischem Wettbewerbsrecht vereinbar seien.
Grüne und Linke im EU-Parlament dagegen bemängeln die fehlende ökologische Ausrichtung der Energieunion. Die Kommission baue auf die Zusammenarbeit mit autoritären Regimen wie Turkmenistan oder Iran, um sich gegenüber Russland unabhängiger zu machen, äußerte der luxemburgische Grüne Claude Turmes. Der Plan der Kommission mache aus der EU keine Energie- und Klimaunion, sondern eine »Gas- und Atomunion«, so Turmes. Mehr als die Hälfte des europäischen Energiehungers wird aus Drittstaaten gedeckt. Die sächsische Europaabgeordnete Cornelia Ernst (LINKE) forderte deshalb die Aufstockung von Forschungsgeldern für erneuerbare Energietechnologien. Denn: »Die beste Energie ist jene, die nicht verbraucht wird.«
Angesichts der unterschiedlichen Positionen ist es zweifelhaft, ob dieses Treffen den Aufbau einer echten Energieunion einleiten kann. Tatsächlich haben die Regierungschefs in den vergangenen fünf Jahren bereits bei sechs energiepolitischen Gipfeln beraten. Doch trotz guter Vorsätze in Brüssel wehrt sich Tschechien gegen Windkraftimporte aus Deutschland, Polen setzt unbeirrt auf Kohle und Ungarn schloss zuletzt ein Abkommen über den Ausbau seines Atomkraftwerks in Paks ab - mit Russland.
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