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Gewalt!
Erwartet haben wir das so nicht. Wer die Blockupy-Demonstrationen der vergangene Jahre kannte, wusste, dass die Polizei es 2013 und 2014 vermochte, in Frankfurt nahezu jeden größeren Angriff auf sie oder die eigentlichen Ziele der Veranstaltung zu unterbinden, indem sie größere Menschenmengen von vornherein zerstreute, AktivistInnen schon festsetzte, bevor die überhaupt aus dem Bus gestiegen waren oder aber durch exzessive Gewalt das Drohpotential so hochschraubte, dass den meisten die Lust auf Riots verging, bevor der erste Stein aus dem Pflaster gebrochen wurde.
Dieses Jahr funktionierte das nicht. Obwohl noch mehr an Mensch und Material angekarrt worden war, als die Jahre davor – von Hubschrauber über Wasserwerfer bis zu Flugzeugen, Booten und NATO-Draht -, gelang es dem Team Green nicht, zwischen 6 Uhr und 12 Uhr irgendeine Kontrolle herzustellen, auch danach wirkte es planlos und überfordert. Es passierte also, was viele von uns gehofft und viele auf der Gegenseite gefürchtet hatten: Es gab tatsächlich wirkungsvolle Attacken auf Polizeiketten und -fahrzeuge.
Der »Terror« der »Chaoten«
Es ist früh, sehr früh. In der Nähe des Bahnhofs »Zoo« sammeln sich AktivistInnen, als wir ankommen, sind schon viele vermummt, es geht los. Einzelne Bullenautos, die gesichtet werden, werden sofort angegriffen, entgegen unserer Erwartungen ziehen sie von dannen, ohne dass ein größerer Nachschub versucht, sie zu rächen. Die Masse wächst an, auf 700, vielleicht gar 1000 Leute, die Stimmung ist gut, geladen, voller Zorn. Man zieht los, irgendwann in die Hanauer Landstraße.
Dort klirren scheiben, die Sparkasse wird entglast, Graffitis werden hinterlassen, Gegenstände auf die Straße gezogen. Am Ende der Straße der Showdown. Eine Bullenabsperrung mit Wasserwerfern, Cops, Autos und dahinter auch Nato-Draht trennt den Mob von der Europäischen Zentralbank. Es wird nicht gezögert. Die etwa sechs Beamten, die von ihren Kollegen achtlos vor der Frontlinie hingestellt wurden, bekommen Steine und Pyrotechnik ab, ihre Autos gehen in Flammen auf. Der Angriff geht weiter, mit einer für deutsche Verhältnisse unüblichen Entschlossenheit. Irgendwann entscheiden die Bullen hinter der Absperrung Tränengaskartuschen einzusetzen und stoppen so die Offensive – aber lange noch nicht den Riot, der sich jetzt wieder über die Hanauer Landstraße zurückbewegt. Hier ist viel Scheisse passiert, aber davon später.
Da es brannte, da Beamte verletzt wurden, da Scheiben klirrten musste kommen, was kam: Eine Gewaltdebatte. Vom »Tag der Gewalt« schrieben die Stuttgarter Nachrichten, ganz so, als ob es an anderen Tagen keine »Gewalt« gäbe. »Abstoßend, besorgniserregend und erschreckend«, nannte der CDU-Rechte Thomas Strobl die Proteste, »volles Verständnis dafür, wenn der Schlagstock bei der Polizei heute lockerer sitzt«, äußerte der SPD-Hinterbänkler Erik Donner. Spingers Bild, die ukrainische FaschistInnen auf dem Maidan mit Macheten, Knarren und Baseballschlägern, als couragierte Freiheitskämpfer porträtierte, sprach von »Chaoten«, »Randalierern«, der Berufsdummkopf Fran-Josef Wagner gar von »Terror«.
Ihre Gewalt …
Fangen wir mit den einfachsten Feststellungen an, fast schon zu trivial, um von ihnen zu schreiben. Hat uns wirklich zu interessieren, was die Hausschreiberlinge der herrschenden Klasse und die Charaktermasken aus SPD und CDU zu sagen haben? Muss uns wirklich interessieren, was ein Thomas Strobl, der einst das »Panzerlied« der Nazis in der CDU-Broschüre »Lied.Gut« abdrucken ließ (»Für Deutschland zu sterben / Ist uns höchste Ehr.«), über »Gewalt« zu sagen hat? Kaum. Denn diejenigen, die hier von »Gewalt« reden, sind diejenigen, die ein politisches und ökonomisches Gesellschaftssystem stabilisieren und fortschreiben, das in seinen wesentlichen Zügen so gewaltförmig ist, dass es vieler Trilliarden Blockupys bedürfte, um annähernd aufzuschließen.
Man schämt sich fast, das Selbstverständliche notieren zu müssen. Aber ja, ihre Kriege, in Jugoslawien, in Afghanistan, in Libyen und in dutzenden anderen Weltgegenden sind Gewalt.Ja, Gewalt ist auch schon die Unterwerfung des Menschen unter den endlosen Zyklus der Kapitalakkumulation. Ja, ihre Austeritätspolitik, die Millionen Menschen in Armut, Arbeitslosigkeit und Verzweiflung stürzte, ist Gewalt. Ja, ihr Hartz IV, ihre Agenda 2010, ihr Arbeitsregime ist Gewalt. Ja, ihre geheimdienstliche Überwachung, ihre polizeiliche Repression ist Gewalt. Man könnte endlos so weitermachen, aber man wird bei denen, die jetzt wegen einiger Steine an das Prinzip der »Gewaltlosigkeit« appellieren, kein Verständnis ernten.
Denn ihre Gewalt ist »normal« und »unabänderlich«. Man kann eben nichts machen, wenn TextilarbeiterInnen in Sweatshops in Bangladesh krepieren, wenn Flüchtlinge an den EU-Außengrenzen ersaufen, wenn GriechInnen auf »Austerität« darben, wenn Hartz-IV-BezieherInnen in einer Spirale aus Elend und Perspektivlosigkeit vor sich hinsiechen, wenn afghanische Jugendliche von deutschen Offizieren per Knopfdruck ausradiert werden. So ist eben der Lauf der Dinge, das ist doch keine »Gewalt«, das ist eben so, eine Art Schicksal. Das kann man doch nicht mit den steineschmeißenden ChaotInnen vergleichen, sagen sie uns.
… und unsere Gewalt
Und sie haben recht. Das kann man nicht vergleichen. Denn »revolutionäre« Gewalt, wird sie richtig gedacht, ist dazu da, genau diese vermeintliche Unabänderlichkeit der »normalen«, »alltäglichen« Gewalt zu unterbrechen und zu sagen: Halt, so nicht. Aber was ist eigentlich mit dieser Gewalt? Müssten wir, die wir eine lebenswertere Gesellschaft wollen, nicht in unseren Mitteln auf Gewalt verzichten? Sollten wir nicht »friedlich« unsere Anliegen artikulieren, so wie uns das diverse Grüne und SozialdemokratInnen aus ihren schicken Dienststuben uns das nun anempfehlen und auch noch die rechte Backe hinhalten, nachdem man uns schon mit dem Stiefel in die Fresse getreten hat?
Belügen wir uns nicht selbst. Noch jedes Mal, wenn es darum ging, die Gesamtscheisse von Grund auf umzuwühlen, gab es Gewalt – und zwar von jenen, die ein Interesse daran hatten, dass das Schlechte Bestehende so bleibt, wie es ist. Erinnern wir uns an Salvador Allende, den demokratisch gewählten Präsidenten Chiles, der ohne Gewalt an die Macht kam und durch die Gewalt der Konterrevolution selbige und sein Leben verlor. Erinnern wir uns an Oktoberrevolution, spanischen Bürgerkrieg, kurdischen Befreiungskampf – an jeden beliebigen Versuch auszubrechen aus einer Ordnung von Unterdrückung und Ausbeutung. Es ging nie ohne Gewalt. Seien wir realistisch, auch zukünftig wird es nicht ohne gehen. Und zwar nicht, weil wir es nicht so wollten, sondern weil diejenigen, die uns »Gewaltlosigkeit« vorschreiben wollen, es nicht so wollen. Doch halten wir inne. Wir sind ja noch lange nicht so weit, dass wir von revolutionärer Gewalt zu reden hätten, die die Verhältnisse, »in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist« (Karl Marx), umzuwerfen in der Lage ist.
Gegenmacht und Gewalt
Neben allerlei Gedankenlosigkeiten und klischeehaftem Blödsinn, den der Piraten-Politiker Oliver Höfinghoff im postmodernen Spaßmagazin Vice unter dem Titel »Randale als Selbstbefriedigung« verzapft, hebt er einen Punkt hervor, der nicht falsch ist. »Ganz offensichtlich liegt die Macht derzeit nicht auf der Straße. Sie liegt an verschiedenen Stellen—in Parlamenten, Amtsstuben, Redaktionsräumen und Vorstandsbüros. Da kann sie ohne entsprechenden Rückhalt einer kritischen Masse nicht einfach mit Gewalt herausgeholt werden.«
Das ist wahr. Als Marx schrieb, »die Waffe der Kritik« könne »allerdings die Kritik der Waffen nicht ersetzen«, »die materielle Gewalt« müsse »gestürzt werden durch materielle Gewalt« fügte er hinzu: »Allein auch die Theorie wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift«. Das, was hier Macht, Gegenmacht, ist, geht nicht im Potential auf, Krawall zu schieben. Es meint, eine organisierte Kraft in Betrieben, Stadtteilen, kulturellen Milieus – woran uns später Antonio Gramsci erinnerte – aufzubauen. Diese organisierte Gegenmacht, früher nannte man sie »Sowjets«, kürzlich in der Türkei, Spanien und Griechenland auch mal »Foren«, schlägt Kerben in die bestehende Macht, sie ist eine eine reale Kraft, keine simulierte. Man kann sogar die mathematische Gleichung aufstellen: Je größer die organisierte Gegenmacht ist, und damit die Risse im Netz aus Staat und Kapital, desto geringer wird der Aufwand an Gewalt sein, den wir brauchen werden, um es zu zerreissen.
Daran kranken - bei aller Wichtigkeit - Events wie Blockupy. Sie simulieren den Aufstand, den wir in Deutschland nicht haben und noch nicht haben können, weil wir eben dort, wo Gegenmacht entsteht keine ausreichende Verankerung haben. Diese wird in kleinen, weniger sichtbaren Kämpfen errungen, die heute noch viel zu wenig geführt werden. Hätte man den Rückhalt aus der Verankerung in der Klasse, hätte Gewalt eine andere Bedeutung. Sie würde dann vor allem dazu dienen müssen, die errungenen gesellschaftlichen Stellungen, da wo sie angegriffen werden, zu verteidigen. Sie müsste aber auch offensiv eingesetzt werden, um weiter zu gehen, die Risse zu vertiefen und den Gegner zurückzudrängen.
Bahnhöfe stürmen ohne Fahrschein
Was ist aber nun mit jener Gewalt, die gestern während der Blockupy-Demonstrationen ausgeübt wurde? Höfinghoff und mit ihm viele reformistische Linke meinen, solange es keinen Rückhalt im überwiegenden Teil der Bevölkerung für Angriffe auf die Polizei oder sonst irgendwas gibt, sollte man sie lieber ganz lassen, denn sie spalten nur. Blödsinn. Gerade in Deutschland, wo die Linke so handzahm ist, wie sonst vielleicht nirgendwo in Europa, geht es um die Bestärkung einer Kultur der Konfrontation. Militanz ist nicht allein der Akt auf Straße, sondern die Haltung der Unversöhnlichkeit mit dem schlechten Bestehenden. Es muss, auch in der Tat, der Bevölkerung gezeigt werden, dass Widerstand gegen dieses System legitim ist und dieser sich nicht in den Bahnen zu bewegen hat, die uns der Feind als einzig »erlaubte« vorschreibt. Lenin wird das Zitat zugeschrieben: »Wenn die Deutschen Revolution machen und einen Bahnhof stürmen wollen, dann kaufen sie vorher eine Bahnsteigkarte.« Kaum je war es richtiger als heute.
Wenn nun die gesamte bürgerliche Journalistenriege betont, man halte zwar selbstverständlich die Äußerung von Kritik für legitim, aber bitte, bitte, bitte doch nicht so, dann muss die Antwort lauten: »Wie wir Kritik äußern, das habt ihr, die ihr in überwiegender Zahl euer täglich Brot durch kritiklose Affirmation verdient, uns schon mal gar nicht zu erklären.« Riots und Rebellion sind ein wichtiger Bestandteil des Erlernens einer Kultur der Konfrontation, die auf unser Verständnis, wie wir Politik machen zurückwirkt. Wer das nicht begreifen kann, dem sei eine Woche Istanbul-Okmeydani oder Athen-Exarchia als Bildungsreise ans Herz gelegt. Zugleich sind sie zwar nicht, wie Höfinghoff in schönem Einklang mit Springer meint »Selbstbefriedigung« (das gibt es bei einigen auch, dazu später), wohl aber »Selbstermächtigung«. Sie durchbrechen, wenn auch nur für eine Sekunde und symbolisch, die Alltagserfahrung unveränderlicher Verhältnisse und eines übermächtigen Staates, gegen den »man ja eh nichts tun kann«.
Errico Malatesta und die zwei falschen Alternativen
Nach all diesem Lob militanter Aktionen darf das große Aber nicht fehlen. Der Italiener Errico Malatesta machte in einer kleinen Schrift von 1918, »Anarchismus und Gewalt« einige wichtige Bemerkungen. Seine strategischen und politischen Schlussfolgerungen muss man nicht teilen, die Fragestellung, die sich innerhalb der Linken stellt, hat er pointiert herausgearbeitet. Er schreibt: »Die Frage, in welcher Weise oder in welchem Massstab die Anwendung der Gewalt berechtigt oder nützlich ist, ist bislang leider nur sehr wenig diskutiert worden.« Aus dem Fehlen dieser Diskussion haben, so Malatesta, sich in der anarchistischen Bewegung zwei – einseitige und falsche – Strömungen entwickelt. Die erste Strömung kann als diejenige gelten, die heute in der deutschen Linken die wahrscheinlich dominante ist: »Einige Genossen, abgestossen durch die Brutalität und Nutzlosigkeit verschiedener dieser Akte, erklären sich gegen jede Gewalt, ausgenommen in solchen Fällen, wo man uns direkt und unmittelbar attakiert.«
Die zweite verliert sich dagegen im anderen Extrem: »Andere Genossen sind wieder ganz entgegengesetzter Meinung. In ihrer Verbitterung über den unablässigen Kampf und die unausgesetzte Verfolgung durch die Regierung, mehr oder weniger beeinflusst von den alten jacobinischen Ideen, in deren Umkreis die junge Generation erzogen wurde, wird jede Tat von ihnen gutgeheissen, was immer ihr Charakter oder ihre Wirkung auf die breiten Volksmassen sei, solange ihre Ausführung im Namen des Anarchismus stattfand. Diese Sorte von Anarchisten hat die Grundidee des Anarchismus so wenig verstanden, dass sie wirklich das Recht für sich beansprucht, über Leben und Tod jener zu urteilen, welche keine Anarchisten oder nicht solche sind wie sie.« Diese Worte sind so aktuell, das man meint, sie wären auf die heutige Situation bezogen. Wer das Auftreten einiger »nihilistischer« Strömungen etwa in Griechenland kennt, weiß, dass exakt diese Beschreibung zutrifft.
Sinn und Unsinn von Militanz
Zurück zu Blockupy. Wir haben oben vom Rückweg durch die Hanauer Landstraße gesprochen. Hier, der Angriff auf die Polizeikette war vorbei, spielten sich Szenen ab, die genau in Malatestas zweite Kategorie fallen – wenngleich auch auf niedrigerem Eskalationsniveau als dem, das dem italienischen Anarchisten vorschwebte. Hier wurde nun völlig sinnfrei alles angegriffen, was entweder aus Glas bestand oder blinkte. Mittelstandsautos wurden zerstört, eine Straßenbahn, in der Menschen saßen, mit einem Hammer entglast, sogar eine Rettung soll angegriffen worden sein (das haben wir selber nicht gesehen, aber zwei GenossInnen, denen wir vertrauen). Kleine Läden, deren Ladenbesitzer sogar nachher noch uns gegenüber Verständnis für Blockupy äußerten, wurden mit Steinen beworfen.
Diese Ziele sind sinnlos, kontraproduktiv und nicht nur deshalb abzulehnen, weil – wie Malatesta schreibt – den durchführenden AktivistInnen offenbar völlig egal ist, »was immer ihr Charakter oder ihre Wirkung auf die breiten Volksmassen sei«, sondern darüber hinaus, weil man nicht einmal sich selber eine schlüssige politische Rechtfertigung für diese Dummheiten geben könnte. Wer eine radikale, militante Linke wiederaufbauen will, kann zu diesen Verirrungen nicht schweigen. Das hat nichts mit den unterwürfigen Entschuldigungsgesten reformistischer Möchtegernlinker zu tun, sondern ist eine Frage der eigenen politischen Zielsetzungen. Wem es um nichts anderes geht, als die Bestärkung der eigenen Coolness durch den Sieg über wehrhafte Straßenbahnscheiben, der sollte freundlich, aber bestimmt darauf hingewiesen werden, dass er auf der faschen Demonstration ist. Was glücklicherweise auch durch Unmutsbekundungen umstehender AktivistInnen geschah.
Bei jenen, die ohne irgendeine Überlegung zu richtigen und falschen Zielen auf das Erzeugen von Trümmerhaufen stehen, verkehrt sich Militanz in »Randale« und wird leer. Zwischen den beiden Extremen einer illusorischen »Gewaltlosigkeit«, die es im kapitalistischen Alltag ohnehin nicht gibt, und dem wutentbrannten Nihilismus verläuft der Grat, auf dem zu balancieren ist. Er ist schmal, aber nur auf ihm kann man tanzen.
Peter Schaber ist Redakteur des linksradikalen Blogs Lower Class Magazine
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