Sind radikale Linke auch linksradikal?

Ein Buch über die Fundamentalopposition in Deutschland seit 1989/90

  • Markus Mohr
  • Lesedauer: 4 Min.
Markus Mohr wird oft als Alt-Autonomer bezeichnet, versteht sich selbst aber als junger Kommunist. Er lebt seit dem 1. Januar 2005 von Leistungen der Arbeitsagentur, die umgangssprachlich nach einem Straftäter benannt sind.
Markus Mohr wird oft als Alt-Autonomer bezeichnet, versteht sich selbst aber als junger Kommunist. Er lebt seit dem 1. Januar 2005 von Leistungen der Arbeitsagentur, die umgangssprachlich nach einem Straftäter benannt sind.

»Die radikale Linke aufbauen!« - Diese unmissverständliche Aufforderung prangte auf einem großen Transparent an der Wand des Saales in der Berliner Urania. Es gehörte einer Gruppe, die sich vor Kurzem in der Stadt unter diesen Namen gegründet hatte. Etwa 10 Meter Luftlinie von dem Transparent entfernt stand der ehemalige parlamentarische Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium Willy Wimmer und ergriff auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz der »Jungen Welt« das Wort. Er sprach sich in engagierter Weise gegen die im Quantensprung kriegerisch gewordenen Verhältnisse in Europa aus.

Wird nun der in der sozialliberalen Regierungsepoche der alten Bundesrepublik in gelungener Weise sozialisierte Christdemokrat eben dieser neu gegründeten Gruppe einmal beispringen? Das muss an dieser Stelle ebenso offen bleiben, wie die Antwort auf die Frage, ob die aufbauwilligen AktivistInnen vorher einmal ein gerade veröffentlichtes dickes Buch zu dem Subjekt ihrer Begierde studiert haben. In seinem Titel wird schon deutlich, dass die radikale Linke nicht noch mühsam aufgebaut werden muss, sondern im Grunde schon seit wenigstens 25 Jahren in diesem Land existiert: Jedenfalls ist das die Grundlage von rund 750 Seiten, die der Antifaschist Ulrich Peters unter dem frei von Ironie gewählten Untertitel »Unbeugsam & Widerständig« über die radikale Linke in Deutschland seit dem Mauerfall geschrieben hat.

Dabei basiert das Buch über eine Vielzahl von politischen Ereignissen aus den letzten zwei Dekaden auf Feldern wie Antifaschismus, Antirassismus, Antiglobalisierung und soziale Kämpfe zentral auf der Lektüre der Monatszeitung »konkret«, der Wochenzeitung »Jungle World« und der Tageszeitung »Junge Welt«. Als organisatorischen Fokus orientiert sich die Darstellung wesentlich auf die Gruppen, Zirkel und Parteien, die immer auch im jährlichen Verfassungsschutzbericht ihre Würdigung gefunden haben. Und in diesem Bezug sah es früher, sprich Ende der 1980er Jahre, mit etwa 102.000 vom Verfassungsschutz irgendwo in einer Unterabteilung des »Linksextremismus« einsortierten AktivistInnen um einiges besser aus als in der Gegenwart: Wenn wir hier dem VS-Bericht zu 2013 Glauben schenken wollen, sind davon gerade mal 27.700 übrig geblieben, in die allerdings auch noch »das Personenpotential der offen extremistischen Zusammenschlüsse der Partei Die Linke« eingerechnet sind. Doch halten wir uns mit solchen Formalien nicht allzu lange auf. Wer die Zeit findet das Buch von Peters zu studieren, wird verblüfft darüber sein, wie eine Vielzahl der durch stupende Lektürekenntnis geschöpften Zitate aus den besagten Printorganen immer wieder ein enormes Ausmaß an systemischer Intelligenz illustriert, die sich darin versammelt. Und so etwas macht eigentlich immer Hoffnung.

Allerdings: Der Modus, der von Peters ausgiebig genutzten Periodika, die er radikalen Linken mehr oder minder umstandslos zuschreibt, ist eigentlich nicht in eins zu setzen mit dem Takt, der Grammatik und dem Rhythmus von politischen Gruppen und Organisationen. Die Zeitungen erscheinen eben auch dann, wenn es nichts zu sagen gibt, schon allein deshalb, um ihre AbonnentInnen nicht zu beunruhigen. Wenn aber politische Assoziationen gegen die Last der herrschenden Verhältnisse nichts mehr zu sagen wissen, verschwinden sie, ohne dass es zunächst bemerkt wird. Evident ist hier doch, dass die linken Printmedien den komplexen Prozessen der Selbstorganisation politischer Bewegung äußerlich sind.

Guckt man sich das vom Autor präsentierte Personaltableau der besagten radikalen Linken an, so handelt es sich bei der Abhandlung fast ausschließlich um eine Fortschreibung der außerinstitutionellen Linken aus dem Westdeutschland der Jahre zwischen der Studentenrevolte 1967/68 bis zum Mauerfall. Und überhaupt handelt es sich bei der vom Autoren komponierten radikalen Linken um eine zutiefst männliche Veranstaltung, kurz: Auf zehn radikale Linke kommt bei Peters gerade mal eine Genossin, und das stimmt doch schon jetzt in einer Weise traurig, die eigentlich ein vertieftes Nachdenken darüber provozieren müsste, warum Frauen schon instinktiv merken, in dieser Anordnung nichts für sich gewinnen zu können.

Fast am Ende seines Opus deutet Peters mit dem wichtigen Begriff der »weichen Themen in den Klassenauseinandersetzungen« aber etwas an, was in Richtung der doch immer beunruhigenden Querschnittsfragen in der Konstitution zwar nicht radikal linker aber doch linksradikaler rebellischer Subjektivität weist: Offenkundig hier doch allemal, dass sich das Joch der kapitalistischen Barbarei eben leider nicht allein mit einer von Peters zurecht eingeforderten intelligenten Imperialismustheorie hinwegfegen lässt. Wenn man es nur so beschränkt zu denken vermag, dann sind eben diese radikalen Linken wohlmöglich schlau und klug, aber letztlich nicht eigentlich linksradikal. Das kann man doch nur dann sein, wenn es in schöpferischer Kreativität gelingt, in der akkurat bestimmten Negation das schüren eines Klassenhasses von unten, mit dem vollendet humanen Streben nach Antiautoritarismus, Feminismus und glücklicher Autonomie zu verknüpfen. Natürlich wäre das nicht ganz vorhersehbar für alle daran Beteiligten. Aber die kapitalistischen Verhältnisse lassen sich nun mal nicht mit der von Peters in seinem lesenswerten Buch so anständig wie belesen porträtierten Gegen-Ordnung einer radikalen Linken wegsortieren.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.